Das Meistern von Lebenskrisen

Das letzte Schwerpunktthema der Trilogie «Sternstunden» war das Meistern von Lebenskrisen und der Umgang mit Trauer und Trauernden.
Powerduo: Die Zürcher Pfarrerin Anja Niederhauser und die reformierte Pfarrerin Birgit Wintzer. (Bild: isp)

Was zu Jahresbeginn angefangen hatte, wurde am Mittwoch vergangener Woche abgeschlossen: Die reformierte Kirchgemeinde Surbtal (Tegerfelden, Endingen, Lengnau, Baldingen) lud zum letzten Teil der Trilogie «Sternstunde» in den Kirchgemeindesaal Tegerfelden. Dieses Mal lautete das Thema «Lebenskrisen meistern». Pfarrerin Birgit Wintzer eröffnete den Abend in einer kleinen, aber feinen Runde mit einem Impulsgedanken zu den aktuellen Kriegswirren im Nahen Osten. Anschliessend beleuchtete Anja Niederhauser, Zürcher Pfarrerin und Coach, wie es gelingt, adäquat auf Umbruchsituationen zu reagieren und diese zu überwinden.

Was ist eine Krise?
Dafür muss zuerst definiert werden, was eine Lebenskrise überhaupt ist. Im Griechischen bedeutet «krisis» Entscheidung oder Scheideweg. Eine Lebenskrise bedeutet folglich, dass eine Situation so schwierig ist, dass sie die eigene Lebensführung infrage stellt. Gemäss Anja Niederhauser steht eine Lebenskrise, insbesondere das Verarbeiten einer Trauer, immer mit Stress in Verbindung. Dieser kann sich auf der körperlichen Ebene durch Symptome wie Niedergeschlagenheit, ­Depression, Schuldgefühle, Wut, Schlaflosigkeit, Herzschmerzen, Verdauungsprobleme oder Unruhe bis zu purer Verzweiflung zeigen. Es entsteht eine Disbalance.

Eine Krise könne aber verschiedene Dinge umschreiben, so Anja Niederhauser. «Im Allgemeinen bezieht sich der Begriff auf einen Zustand der Unsicherheit, der Verwirrung oder der emotionalen Belastung im Leben einer Person.» Es könne eine Phase sein, in der man sich mit grundlegenden Fragen zum Sinn des Lebens, zu den eigenen Zielen und Werten, zu Beziehungen, zur Karriere oder zum persönlichen Wachstum auseinandersetze.

Eine Lebenskrise kann aber ebenso durch unerwartete Ereignisse wie den Verlust eines geliebten Menschen, eine Trennung, finanzielle Schwierigkeiten oder gesundheit­liche Probleme ausgelöst werden. Wichtig sei das Bewusstsein, dass eine Lebenskrise auch eine Chance für persönliches Wachstum und Veränderung sein könne, so Anja Niederhauser.

Doch was ist Trauer? Anja Niederhauser beschrieb diesen Zustand mit einem Zitat von Queen Elizabeth II: «Trauer ist der Preis, den wir für die Liebe bezahlen.» Trauer sei eine gesunde Reaktion auf den Verlust eines geliebten Menschen. Oft komme der Schmerz in Wellen. Doch könne es durchaus vorkommen, dass sie gemäss der ICD-11 (ICD: Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) zur «prolongierten Trauerstörung» werde. Dann brauche die trauernde Person psychologische Unterstützung.

Eine solche Störung äussere sich zum Beispiel darin, dass über einen langen Zeitraum die Trauernden überaus starke Sehnsucht nach dem Verstorbenen verspürten, sich ständig mit der verstorbenen Person gedanklich beschäftigten, einen intensiven emotionalen Schmerz verspürten, eine zu starke Trauerreaktion zeigten, am liebsten selbst sterben möchten und sich eine Beeinträchtigung in verschiedenen Lebensbereichen bemerkbar mache. Hilfreich sei, sich auszutauschen und seine düsteren Gedanken mitzuteilen. In gewissen Regionen tragen Trauernde eine kleine schwarze Stoffschleife am Kragenrevers, um sich so mitzuteilen, wenn ein Gesprächseinstieg vielleicht nicht auf Anhieb gelingt. Anja Niederhauser nannte ein Beispiel aus Bayern: In früheren Zeiten trugen dort Witfrauen ausschliesslich schwarze Trachten. Von Jahr zu Jahr sei die Schürze einen Farbton heller geworden, und nach drei Jahren war es den Witwen wieder erlaubt, am Maitanz teilzunehmen.

Selbstfürsorge und Rituale
Immer hilfreich sei, sich selbst Gutes zu tun – Stichwort Selbstfürsorge. Rituale und Erinnerungen an die verstorbene Person zu pflegen, dürften im Trauerprozess ebenfalls Platz haben. Sich bewegen, im Alltag wieder Struktur finden, gar Gedanken aufschreiben. Jede Person habe das Recht, so zu trauern, wie es für sie selbst stimme. «Man muss nur den Mut haben, zur eigenen Trauer zu stehen.»

Trauernden begegne man am besten, indem man sie ernst nehme, geduldig sei und ihnen zeige, dass man da sei. «Anstatt viel zu fragen, ergibt es mehr Sinn, aktiv zu werden und vielleicht eine kleine Mahlzeit für die Trauernden zuzubereiten.» Es koste Mut, Trauernden zu begegnen, aber es sei besser, sich ihnen zu offenbaren, als die Strassenseite zu wechseln.

Im Anschluss an den rund 1 ½-stündigen Vortrag konnten sich die Teilnehmenden beim Apéro austauschen.