Neues Rechnen

In der Rubrik «Querbeet» beleuchten namhafte Autorinnen und Autoren ein von ihnen gewähltes Thema – und sorgen damit wöchentlich für Inspiration.

Wir haben doch seinerzeit in der Schule gelernt, mit Zahlen zu rechnen. Mit arabischen und spasseshalber auch mal mit römischen, obwohl sich diese bestenfalls zum Jassen eignen. Dann kam in der Oberstufe noch Algebra dazu, das Rechnen mit Buchstaben. Nicht meine Stärke, obgleich ich Buchstaben eigentlich sehr mag und sozusagen von ihnen lebe. Aber zum Schreiben sind sie mir eben doch sehr viel lieber als zum Rechnen.

Das Leben hat mich allerdings gelehrt, dass man nicht nur mit Zahlen und Buchstaben rechnen kann, sondern noch mit ganz anderen Dingen rechnen muss! Da heisst es zum Beispiel im Radio: «Auf der A1 ist zwischen dem Limmattaler Kreuz und Zürich Affoltern mit Stau zu rechnen.» Diese Rechenart haben wir aber in der Schule nicht gehabt! Rechnet man das in Kilometer mal Zeiteinheit, geteilt durch den Unterhaltungswert der laufenden Radiosendung?

Um nicht als Opfer einer radio-logischen Dyskalkulie zu enden, wollte ich auf den öffentlichen Verkehr umstellen, weil man da nicht vor so schwierige Rechenaufgaben gestellt wird. Dachte ich jedenfalls, bis mir der Lautsprecher auf dem Bahnsteig klar machte: «Aufgrund der aktuellen Lage ist mit grösseren Verspätungen und Zugsausfällen zu rechnen». Wie zum Hohn bat man zugleich höflich um Verständnis. Hätte ich doch noch so gerne, wenn ich nur wüsste, wie sich die Rechenaufgabe damit lösen liesse!

Zuhause wollte ich meine Frau damit natürlich nicht belasten – sie, die mich bisher in Rechenfragen für unfehlbar hielt. Immerhin gelang es mir noch, mit einer gemurmelten Ausrede von strubem Tag und so auszuweichen. Wie hätte sie ahnen können, dass sie mir mit ihrer Neuigkeit noch den mathematischen Gnadenschuss verabreichen würde: «Meiers sind übrigens heute Abend verhindert – mit ihrem Besuch ist nicht mehr zu rechnen …»

Seither lautet jedenfalls mein unverbrüchlicher Leitsatz: «Zählen Sie ohne Weiteres auf mich, aber rechnen Sie ums Himmelswillen nicht mit mir!»

ernst.bannwart@bluewin.ch