Lokale Kunst in ihrer ganzen Breite

Das Interesse für lokale Kunst ist ungebrochen. Bereits zum sechsten Mal findet die Jahresausstellung der Wettinger Kunstschaffenden statt.
Die Jahresausstellung für Wettinger Kunstschaffende erfreut sich grosser Beliebtheit. (Bild: jor)

Aus dem erst scheinbar undurchdringlichen Urwalddickicht werden, je länger man hinsieht, mehr und mehr Umrisse von Tierkörpern erkennbar. In der unteren linken Ecke des Bilds starrt den Betrachtenden ein Äffchen entgegen, am oberen Rand ruht sich ein Faultier aus. Dazwischen wuchern unbekannte Pflanzen mit prächtigen Blüten. Manuel Poertners «Enzyklopedia I» ist eines von vielen Kunstwerken, die die Ehre haben, Teil der diesjährigen «Kunst Schau 5430» zu sein. Zum sechsten Mal findet die Jahresausstellung der Wettinger Kunstschaffenden statt, die für viele Besucherinnen und Besucher zu den Highlights des Ausstellungsjahrs gehört. Die diesjährige Ausstellung wurde wie schon letztes Jahr auf zwei Kunsträume verteilt: das Gluri-Suter-Huus und das Alterszentrum St. Bernhard in Wettingen. Die einzige Teilnahmebedingung für die Ausstellenden ist ihr Bezug zu Wettingen. Einige wohnen oder arbeiten in Wettingen, sind dort heimatberechtigt, besitzen hier ein Atelier oder haben zuvor bereits im Gluri-Suter-Huus ausgestellt. Alle, die diese Bedingungen erfüllen, konnten sich für die Teilnahme anmelden. Dabei gab es kein Fachgremium, das die Arbeiten auswählte und bewertete. Das Ergebnis sind knapp 250 Werke von 68 Künstlerinnen und Künstlern. Der Gemeinderat und Präsident der Wettinger Kulturkommission, Philippe Rey, und die Leiterin der Galerie im Gluri-Suter-Huus, Sarah Merten, begrüssten am Sonntagmorgen zahlreiche Besucherinnen und Besucher zur Vernissage. Der Andrang war gross. Sogar auf der Treppe, die ins zweite Obergeschoss führt, stauten sich die Menschen, um den Worten der beiden zu lauschen.

Uneingeschränkte Vielfalt
Auf allen drei Etagen des Gluri-Suter-Huus tummelten sich Gäste. Von den virtuosen Violin- und Kontrabassklängen der beiden Musikerinnen Sabina Curti und Camilla Pillinger begleitet, schlenderten sie durch die Räume der Ausstellung. Aufgeregt wurde über die Sujets diskutiert, Stellen hervorgehoben und die persönlichen Lieblingswerke bekannt gegeben. Eine Frau schwärmte von Markus Kuhns Cyanotypie «Winterzauber 1», die ihr besonders gefällt, weil sie auf dem abgebildeten Weg häufig spazieren geht.

Die Vielfalt der ausgestellten Motive, Techniken und Materialien ist kaum zu übertreffen. Unter den Werken finden sich unter anderem Landschaften von Sonja Voser, die sorgfältig mit Acrylfarbe auf Ahornblättern gemalt wurden. Im Treppenhaus glotzt einem der mit Pastellkreide und Pastellstiften realistisch gefertigte Frosch von Ruth Weljatschek entgegen, daneben hängen Selbstpor­träts der etwas anderen Art: Mario Leimbacher bildet sich in seinen Werken selbst in der Spiegelung seiner Teekanne ab. Im zweiten Obergeschoss lächeln vier von Sara Forsbergs Figuren aus Papiermaschee selig vor sich hin, während sie ausgelassen Ballett tanzen, schaukeln oder Sport treiben. Bei Natalia Samsonovas Gemälde ist der Bezug zum Ort direkt erkennbar: Die Künstlerin lädt die Betrachtenden zu einem Blick über das schneebedeckte Wettingen ein. Einen Bezug zum aktuellen Weltgeschehen liefert hingegen der «Friedensstuhl» von Marianne Therese Padeste-Brühlmeier, dessen komplette Oberfläche mit den bunten Schnipseln einer Weltkarte beklebt wurde.

Dass die Jahresausstellung ohne ein bestimmtes Thema durchgeführt werde, sei eine bewusste Entscheidung, offenbart Sarah Merten: «Es geht darum, das aktuelle Wettinger Kunstschaffen in seiner ganzen Breite zu zeigen.» Gerade weil es keine thematische Vorgabe gebe, sei die Vielfalt der Werke so gross, erklärt sie weiter. Die Werke sind alphabetisch geordnet. Den Künstlerinnen und Künstlern wurde anhand des ersten Buchstabens ihres Nachnamens ein Raum zugewiesen, in dem ihre Werke ausgestellt werden, dennoch wurden die Plätze der Werke innerhalb der Räume sorgfältig ausgewählt. Jedes Werk verdiene einen passenden Platz, aber auch das Zusammenspiel der Ausstellungsstücke müsse stimmen, findet die Kuratorin. «Mir ist es äusserst wichtig, jedem dieser Werke die gleiche Aufmerksamkeit zu geben, und zwar genau die gleiche Aufmerksamkeit, die ich anderen Ausstellungen widme», betont Merten. «Für mich ist das ebenfalls eine Form, das wertzuschätzen, was so viele Menschen machen.» Dennoch hielten sich hartnäckig Erzählungen, wonach Kunst elitär und überflüssig sei. Dem widerspricht Sarah Merten entschieden: «Diese Ausstellung zeigt, dass Kunst im Leben vieler Menschen eine grosse Rolle spielt.»

Raum für lokales Kunstschaffen. Wegen der Fülle von Werken findet die Ausstellung parallel im Gluri-Suter-Huus und im Alterszentrum St. Berhard statt. (Bild: jor)

Kunst als Lebenselixier
Dass Kunst für viele Menschen einen bedeutenden Teil ihres Lebens ausmacht, bestätigt Loréna Wildberger. «Kunst bedeutet mir im Moment alles», erzählt sie im Gespräch. Die gebürtige Genferin kreiert in ihrem Atelier in Rütihof vor allem Bilder mit Aquarell und Acryl. Unter ihren vier Aquarellen, die sie für die «Kunst Schau 5430» ausgesucht hat, sind zwei winterliche Sujets: ein Skifahrer, der durch den Schnee kurvt, sodass der Schnee nur so zur Seite stiebt, und ein schneebedeckter Gipfel mit vier im Vergleich dazu winzigen wandernden Menschen. Der Schnee fasziniere sie schon lang, deshalb habe sie sich in den letzten Jahren in ihren Werken intensiv mit ihm auseinandergesetzt, erklärt sie. Bei ihrem Hobby fällt es ihr leicht, sich zu entspannen: «Wenn ich male, vergesse ich alles und bin weg vom Stress.» Für die Künstlerin hält die Ausstellung auch viel Material zur Inspiration bereit. Sie experimentiere häufig mit neuen Materialien. Für lokale Kunstschaffende sind Ausstellungen wie diese von grosser Wichtigkeit, da sie die Möglichkeit bieten, Werke einem grösseren Publikum zu präsentieren.

Die Ausstellung im Gluri-Suter-Huus ist über die Feiertage vom 24. Dezember bis 2. Januar geschlossen, im Alterszentrum St. Bernhard hingegen täglich zugänglich. Ausstellungsorte: Galerie im Gluri-Suter-Huus, Wettingen, und Alterszentrum St. Bernhard, Wettingen. Weitere Informationen zur «Kunst Schau 5430 – 2023» und zu den Öffnungszeiten sind unter glurisuterhuus.ch zu finden.