Es waren schwierige Jahre für Dölf Keller. Der 59-jährige Wettinger, der wegen Geburtskomplikationen unter einer starken Zerebralparese leidet, musste sich 2022 wegen starker Schmerzen einem komplizierten Eingriff am Rücken unterziehen, um einen verschobenen Wirbel durch eine Gelenkverschraubung zu stabilisieren. Doch es gab Komplikationen, die 2023 drei Nachoperationen erforderten. «Schmerzen habe ich immer noch. Vielleicht muss ich nochmal unters Messer», sagt der feingliedrige Mann mit dem schütteren Haarwuchs. Nach wie vor vermisst er seine Mutter, die vor sechs Jahren starb und mit der er eng verbunden war. Er wünscht sich seit Langem eine Freundin. «Für Menschen mit Behinderung sind Partnerschaft und Sexualität genauso wichtig wie für alle anderen», meint er. Doch die Suche auf verschiedenen Datingplattformen verlief erfolglos. «Sobald ich den Frauen mitteile, dass ich behindert bin, melden sie sich nicht mehr», berichtet er aus Erfahrung. An die grosse Liebe glaubt er weiterhin. «Wahrscheinlich aber einfach nicht für mich.» Mit Hilfe der Spitex, die ihm täglich das Essen bringt, lebt er immer noch autonom in seiner eigenen Wohnung in Wettingen. Finanziell ist er unabhängig. Das ist sein Glück. «Ich habe mich provisorisch in den Alterszentren St. Bernhard und Kehl angemeldet. Man weiss ja nie …», meint er sinnierend. Seit einigen Jahren braucht er zum Gehen einen Stock. Das Alter fängt an, ihm zu schaffen zu machen. Für mehr Mobilität sorgt sein knallrotes E-Mobil, mit dem er mittlerweile überall bekannt ist.
Massnahmen nur teilweise umgesetzt
Trotz fortschreitenden Beschwerden und unerfüllten Sehnsüchten ist Keller ein Kämpfer geblieben. Hartnäckig setzt er sich für die Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigung ein und wirft die Flinte nicht ins Korn. Vor 20 Jahren wurde in der Schweiz das Behindertengleichstellungsgesetz ins Leben gerufen. Es soll mit diversen Massnahmen sicherstellen, dass betroffene Menschen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, selbstständig soziale Kontakte knüpfen und einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Keller hat sich einige Jahre in einer Inklusionskommission für die Rechte und Bedürfnisse von Betroffenen starkgemacht und war Teil der Gruppe Mitsprache in Zürich, eines Selbstvertretungsvereins für Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen. «Gebracht hat es leider noch viel zu wenig», meint er und befürchtet, dass die vielen «schön ausformulierten Massnahmen» teilweise lediglich «Papiertiger» bleiben werden. «Einiges wurde gemacht. Aber viele Bushaltestellen und Bahnhöfe sind bis heute nicht behindertengerecht umgebaut», nennt er einen Bereich, in dem weiter Handlungsbedarf besteht. «Schon ein kleiner Absatz kann einem Rollstuhlfahrer den Einstieg in ein öffentliches Verkehrsmittel verunmöglichen.» Auch Ladenlokale und Kulturbetriebe seien längst nicht alle rollstuhlgängig. Keller, der eine kaufmännische Ausbildung hat, fordert des Weiteren, dass Menschen mit Beeinträchtigung vermehrt in den normalen Arbeitsprozess integriert würden. Das hat selbst er trotz zahlreichen Bewerbungen nie geschafft. Lange Zeit war er für die Arwo-Stiftung in Wettingen tätig. «Ich war dort zufrieden, hätte mir aber manchmal einen Bürojob in einem anderen Unternehmen gewünscht», gesteht er.
Freche Fragen an prominente Leute
«Es muss sich noch vieles ändern», findet Dölf Keller und klingt einen Moment resigniert, als er sagt: «Die meisten Projekte scheitern an den Finanzen. Und manchmal an den Leuten. Die Gesunden müssen mitmachen wollen, aber viele interessieren sich nicht wirklich für unsere Anliegen.» Dann klingt er wieder entschlossen: «Ich kämpfe weiter und versuche, an der Basis anzusetzen: bei Kindern und Jugendlichen. Sie sind offen und neugierig. Vielleicht ist da ein Perspektivenwechsel möglich.» Keller ist mit einer Kirche in der Region in Verhandlung und möchte in verschiedenen Schulen den Religionsunterricht besuchen, um über sein Leben und die Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigung zu berichten. Jeden zweiten Samstag im Monat von 18 bis 19 Uhr ist er auf Kanal K mit seiner Talkshow «Der flotte Zweier» zu hören. Die Sendung läuft seit etwa sieben Jahren, und er hat bereits so manchen Schweizer Promi interviewt. In der letzten Ausgabe gab ihm Kabarettist und Satiriker Simon Enzler die Ehre. Aber auch Maja Brunner, Pepe Lienhard, Toni Vescoli und Steff la Cheffe fühlte er auf den Zahn und scheut dabei keine unbequemen Fragen. «Brunner habe ich gefragt, ob Volksmusik Volksverdummung sei. Und Enzler, was er pro Auftritt verdiene. Beide antworteten souverän und locker.» Sogar wenn er mit seiner Hartnäckigkeit und Unangepasstheit manchmal aneckt, bleibt Dölf Keller sich selbst treu. Schicksalsschläge hat er genug gemeistert, und verbiegen lassen will er sich bestimmt nicht.