Missbrauch bei den Kirchen

«Theotalk» mit hochkarätigen Gästen zum Thema Missbrauch. In einem Gottesdienst und einer Podiumsdiskussion suchte die Reformierte Kirche Baden einen Ausweg aus der moralischen Krise.
Die Missbrauchsfälle in der katholischen und reformierten Kirche haben beide Organisationen in eine moralische Krise gestürzt. Wie es zu dieser Situation kommen konnte ist Thema des «Theotalk». (Bild: sim)

Eine letzte Woche veröffentlichte deutsche Studie zeigt, dass auch in der reformierten Kirche schwerwiegende Missstände zu beklagen sind. Während sich die katholische Kirche im Aargau inzwischen ernsthaft bemüht, die Missbrauchsfälle der Vergangenheit aufzuarbeiten und Betroffenen einfachen und sicheren Zugang zu Hilfe zu garantieren, hatte die reformierte Kirche ein analoges systemisches Versagen bei sich bisher ausgeschlossen. Die neue Studie des Forschungsverbunds Forum (Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland) widerlegt dieses Bild allerdings.

Schon während des Gottesdiensts am Sonntagmorgen machte der reformierte Badener Pfarrer Res Peter deutlich, dass angesichts der sich häufenden Erkenntnisse zur sexualisierten Gewalt in der Kirche Reformen unbedingt nötig seien: «Die Liebe darf nie als Rechtfertigung für Gewalt missbraucht werden.»

Marianne Binder-Keller, Christine Egerszegi, Res Peter, Luc Humbel und Dania Schiftan. (Bild: sim)

Dringend reformbedürftig
Nach der Andacht begaben sich die meisten der rund 70 Anwesenden für den zweiten Teil der Veranstaltung von der Kirche ins benachbarte Kirchgemeindehaus. Dort besprach Res Peter mit Ständerätin Marianne Binder-Keller (Die Mitte), alt Ständerätin Christine Egerszegi (FDP), Luc Humbel, dem Präsidenten der römisch-katholischen Landeskirche Aargau, und der Sexologin, Psychotherapeutin und Autorin Dania Schiftan, was nun geschehen müsse, damit die evangelische und die katholische Kirche ihren eigenen moralischen Ansprüchen wieder gerecht würden.

Die Diskussionsteilnehmenden stim­mten darin überein, dass – im Sinne einer Mindestanforderung – die Frauenordination sowie die Abschaffung des obligaten Zölibats flächendeckend eingeführt werden sollten. In einem weiteren Punkt waren sich alle Podiumsteilnehmenden ebenfalls einig: Ein zentrales Element der Aufarbeitung muss sein, den Opfern der Übergriffe wirklich zuzuhören und ihr Leiden anzuerkennen. Das soll allerdings nicht bedeuten, darüber die Rolle der – meist männlichen – Täter zu vergessen, im Gegenteil. Dass wir als Gesellschaft dazu neigen, «in unserem Streben nach Harmonie den Tätern immer wieder Verständnis entgegenzubringen», ist nach Ansicht von Marianne Binder-Keller ein Grund, weshalb es überhaupt so weit kommen konnte.

Luc Humbel fand ebenfalls deutliche Worte, wenn es darum geht, was nun geschehen muss: «Kirchlich geht es darum, einen radikalen Kulturwandel einzuleiten.» Wenn nötig, müssten Priester, Bischöfe und der Papst vom Sockel geholt werden. Das seien letzten Endes auch nur Gläubige.

Schaden für die Basis
Dass solch deutliche Worte immer wieder von Vertreterinnen und Vertretern der Landeskirchen zu hören sind, verwundert wenig. Schliesslich trifft der Reputationsverlust durch die Missbrauchsfälle all jene Menschen, die sich im Namen der Kirche tagtäglich für das Wohl ihrer Gemeinden und Mitmenschen einsetzen. «Ich rate momentan niemandem, der austreten will, davon ab», erklärt Luc Humbel, während Res Peter dafür plädiert, die Organisation nicht zu verlassen und von innen zu reparieren.

«Wir als Katholische Kirche Aargau sind zwar nur ein kleines Kieselsteinchen im Ganzen, doch wir müssen dafür sorgen, dass unser Kieselsteinchen das Problem ernst nimmt», betonte Christine Egerszegi. Sollte das in Zukunft nicht glaubwürdig geschehen, wäre eine mögliche Konsequenz der fortgesetzte Mitgliederschwund bei den Landeskirchen. Nur wenn die evangelische und katholische Kirche ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen können und beweisen, dass sie ernsthaft bemüht sind, Missbrauch in allen Formen künftig zu verhindern, können sie langfristig hoffen, ihre gesellschaftlichen Funktionen weiter wahrnehmen zu dürfen.