Im Vorfeld des zweiten Wahlgangs der Ersatzwahl für den Brugger Stadtrat hatte der Quartierverein Lauffohr am 1. Februar zu einem Podiumsgespräch eingeladen. Unter der Moderation von Peter Belart, ehemaliger Chefredaktor des «General-Anzeigers», sprachen Yvonne Buchwalder-Keller (FDP) und Heini Kalt (SP) im Foyer des Berufs- und Weiterbildungszentrums über drei zentrale Punkte der Verkehrsentwicklung: Das kantonale Projekt Zentrumsentlastung (ZEL), die Gebietsentwicklung Aufeld sowie Tempo 30 standen auf dem Programm.
Die Tatsache, dass der Vorstand des Quartiervereins Lauffohr ein Podium organisiert hat, spiegelt nicht nur die grosse Bedeutung, die das Thema Verkehr für den Brugger Ortsteil hat. Es zeugt auch vom Bewusstsein für die Wichtigkeit von Diskussionen, in denen die Bevölkerung einbezogen wird und ein sachbezogener Diskurs und Austausch stattfinden kann, welcher der Meinungsbildung dient.
Auf Peter Belart und seiner Moderation lagen einige Erwartungen. Durch die Besetzung des Podiums bot sich die Gelegenheit, Yvonne Buchwalder-Keller und Heini Kalt auf den Puls zu fühlen.
Die Begegnung auf dem Podium ging nicht über ein Gespräch hinaus; eine eigentliche Diskussion wurde nicht angestossen, und die Stadtratskandidierenden konnten kaum Akzente setzen. Buchwalder-Keller und Kalt legten zwar ihre Standpunkte dar, mussten diese jedoch nicht in direktem Abtausch auf den Prüfstand der Argumente ihres politischen Gegenübers stellen. Möglich, dass das von den Veranstaltern nicht anders angedacht war. Schade trotzdem, denn beide, die FDP-Politikerin sowie der SP-Politiker, wären spürbar bereit für eine Debatte gewesen.
Kompetenz oder Partei?
Das Podium begann mit einer Feststellung. Belart verwies anhand der Farben der Stühle, vor denen Kalt und Buchwalder-Keller am Stehtisch physisch Position bezogen hatten, auf die Parteifarben – Kalt hatte einen roten gewählt, Buchwalder-Keller einen blauen. «So viele Lorbeeren sind im Stadtrat nicht zu holen, weshalb wollen Sie sich das antun?», fragte der Moderator zunächst die 43-jährige Yvonne Buchwalder-Keller nach ihrer Motivation, im Stadtrat wirken zu wollen. Die aktive Einwohnerrätin sagte, das Anforderungsprofil für die Aufgaben im Stadtrat hätte auch mit Herz, Verstand und Leidenschaft tun. Sie betonte ihre beruflichen Kompetenzen und vor allem ihr umfangreiches Fachwissen im Bereich Finanzen. Dass sie aufs Finanz- und Kulturressort hofft, sollte sie gewählt werden, ist kein Geheimnis. Mit Leo Geissmanns (Die Mitte) Rücktritt als Finanzvorsteher wird im Stadtrat eine ausgewiesene Finanzkompetenz mit politischer Erfahrung fehlen.
Langjährige politische Erfahrung führte Belart ins Feld, als er sich Heini Kalt zuwandte. «Du bist seit 40 Jahren parteipolitisch, lokalpolitisch und Lauffohr-politisch tätig», stellte er den 59-jährigen Stadtratskandidaten vor, der den freiwerdenden Sitz in der Brugger Stadtregierung für die SP besetzen will. «Der Stadtrat ist eine grosse Herausforderung, aber ich bringe den Rucksack für dieses Amt durch meine lange Führungserfahrung mit und bin das, was man wohl einen Politiker, insbesondere einen Lokalpolitiker, nennt.»
Dass die SP im Stadtrat nicht vertreten ist, sei seiner Meinung nach «nicht gut», befand Kalt: «Für die politische Zusammenarbeit des Einwohnerrats und des Stadtrats in Brugg sollten die grösseren Fraktionen im Stadtrat vertreten sein, der Austausch ist meiner Erfahrung nach sehr hilfreich.»
Yvonne Buchwalder-Keller war, gefragt von Belart, anderer Meinung. «Um das Amt auszuführen, steht die Partei nicht im Vordergrund.» Es sei eine Persönlichkeitswahl mit dem Ziel, als Gremium zu funktionieren.
Neue Strassen, mehr Verkehr
Belart leitete zum Thema des Abends über: die Verkehrssituation in Brugg und Umgebung. «Welchen Stellenwert hat der Verkehr für Brugg?», wollte der Moderator wissen. «Mobilität ist zentral für die Produktivität und die Wirtschaft der Region und der Stadt Brugg», argumentierte Buchwalder-Keller. «Das Verkehrsaufkommen wird immer grösser. Wichtig ist, dass die Quartiere entlastet werden und der Wohnraum verbessert wird, gerade auf der Verkehrsachse in Richtung Lauffohr.» Sie begrüsste es, dass das Projekt ZEL angestossen wurde.
Es sei aber eine bekannte Tatsache, dass neue und verbesserte Strassen mehr Verkehr anzögen, gab Belart zu bedenken und fragte Heini Kalt: «Willst du mehr Verkehr?» Dieser verneinte: «Ein grösseres Verkehrsaufkommen wird unvermeidbar sein, das ist eine schlechte Nachricht für Lauffohr», so Kalt. Der Kern des Orts werde zu einer zentralen Nord-Süd-Verkehrsachse im süddeutschen Raum mit Richtung Mittelland. «Hier werden dann Lastwagen aus Rumänien, Polen und von überall aus Europa mit chinesischer Ware durchfahren und sich durchs Lauffohrer Dorf zwängen», so Kalt und malte damit das Zukunftsszenario bei einer Verkehrsführung über Aufeld aus. Mehr Verkehr, mehr Abgase und mehr Stau seien die Folgen. Kalt nahm mit seiner Stellungnahme die nächste Frage vorweg. «Am liebsten hätte ich auf die ZEL verzichtet», stellte der Ur-Lauffohrer klar und bedauerte: «Der Zug ist aber bereits abgefahren, weil die kantonale Planung wahrscheinlich schon einen Schritt weiter ist.»
Von zentraler Wichtigkeit stufte Kalt die Zurzacherstrasse ein. «Wenn man eine ZEL will, muss die Zurzacherstrasse radikal verändert und zurückgebaut werden.» Bei einer ZEL werde der Verkehr auf der Zurzacherstrasse nämlich um bis zu 50 Prozent sinken. «Sie muss für den öffentlichen Verkehr und für den Langsamverkehr attraktiv gestaltet werden, sonst füllt sie sich wieder mit Autos, und wir sind wieder gleich weit wie heute.» Er plädierte dafür, dass die Planung jetzt erfolgen müsse.
«Rückbau – was heisst das?»
Buchwalder-Keller konterte, als Belart sie betreffend diesen Vorschlag von Kalt befragte. «Was heisst Rückbau? Heisst das mehr Begegnungsorte, heisst das mehr Langsamverkehr oder reine Fussgängerzone?», wollte sie wissen. «Rückbau ist nicht die Lösung.» Buchwalder-Kellers Argument lautete, dass Durchgangs- und Schwerverkehr nicht mehr durch Lauffohr über die Zurzacherstrasse geführt werden sollen. Wie genau das aussehen könnte, sei ein Folgeprojekt. Die ZEL sei eine umsetzbare Möglichkeit, um das Gebiet generell zu entlasten.
«Chance müssen wir ergreifen»
Kalt brachte die Kosten ins Spiel. Ein grundsätzlicher Umbau der Zurzacherstrasse würde um die 10 Millionen Franken kosten, schätzte er. «Wenn wir das jetzt planen, würde der Kanton diese Kosten im Rahmen der ZEL unter Umständen tragen – diese Chance müssen wir ergreifen.» Erste grundlegende Konzepte gebe es bereits, informierte der SP-Lokalpolitiker. Dort liege der Ansatz, hier müsse man weitergehen. «Und zwar schnell», forderte Kalt, «bevor die Autobahn übers Aufeld da ist.»
Buchwalder-Keller wurde dazu befragt, wie sie sich zum umstrittenen geplanten Industrieanschluss beim Kabelwerk stelle. «Für diejenigen, die dort wohnen, ist das nicht die beste Lösung, und es gilt, sie zu überdenken.» Im Klartext lehnte sie das Vorhaben ab. Zum ganzen Projekt ZEL äusserte sie sich differenziert. «Das Lösung des Problems hat verschiedene Facetten.» Eine davon sieht die Einwohnerrätin der FDP-Fraktion grundsätzlich in der Verkehrsumleitung. «In den vom Grossrat festgelegten Handlungsfeldern wie Velovorzugsrouten und der Optimierung von Velowegen erkenne ich einen Mehrwert.» Dieser werde sich positiv auf Verkehr und Klimaschutz auswirken.
«Möglicherweise bringt das eine Entlastung – für Brugg», gab Belart zu, «aber für die anderen betroffenen Gebiete?» Durch seinen Einwand forderte er Buchwalder-Keller auf, sich zur Projektsteuerung zu äussern. «Genau solche kritischen Punkte sollen jetzt im Projekt aufgenommen werden und die Argumente der Arbeitsgruppen und Interessengemeinschaften sowie der Bevölkerung angehört werden.» Buchwalder-Keller verlieh ihrer realistischen Einschätzung Nachdruck: «Es ist noch nicht optimal gelöst, wie es jetzt angedacht ist.»
Gebietsentwicklung Aufeld
«Wird durch das Projekt nicht den Gebieten Aufeld und Aegerten etwas von ihrer Attraktivität entzogen», stellte Peter Belart zuerst dem einen, dann dem anderen seiner beiden Podiumsgäste die nächste Frage. Er lieferte Stichworte wie Freiflächen und Naherholungsraum und wollte wissen: «Geht es nicht in jeder Stadtplanung darum, einzelne Gebiete aufzuwerten anstatt sie abzuwerten?»
Heini Kalt ergriff das Wort: «Wenn die ZEL wirklich kommt, dann gibt es nur eins, nämlich so früh wie möglich in den Boden mit dem Verkehr und nicht auch noch einen Anschluss bei der Aegerten machen.» Potenzielle Steuerzahlende würden nicht dadurch angelockt, dass sie einen Autobahnanschluss vor der Tür hätten. «Das kann es nicht sein, dass eine Strasse quer durchs Aufeld gebaut wird.» Kalt brachte das Gebiet bei der Zurzacherstrasse erneut zu Sprache. Sollte es gelingen, sie zu entlasten, wäre dort eine attraktive Wohnlage vorhanden – sofern keine Autobahn entstehe. Er sei zwar kein Strassenbauexperte, aber Kalt sagte, er stelle es sich schwierig vor, einen Tunneleingang bei Lauffohr zu realisieren: «Zweimal im Jahr stünde er nämlich unter Wasser.»
Im Zusammenhang um die Diskussion rund um Aegerten und Aufeld erinnerte Kalt an die Klimaziele. Die Schweiz hat in Paris den Vertrag zu Netto-Null bis 2050 unterschrieben. «Wir müssen daran denken, in Richtung Netto-Null zu kommen, und deshalb autoarme Quartiere für Wohnen und Gewerbe planen.»
Zu den Verbesserungsmassnahmen für den Langsamverkehr, die zurzeit weniger kontrovers diskutiert werden, wurde Buchwalder-Keller befragt. Ob solche Massnahmen vorzuziehen oder ob die verschiedenen Projekte gleichzeitig zu realiseren seien? Betreffend die Realisierungsabläufe vertrete sie ein ganzheitliches Planungsvorgehen, das den Langsamverkehr mitdenke, sagte Yvonne Buchwalder-Keller. «Das Warten auf das ganze optimierte Projekt dauert lang, wir reden von Jahrzehnten, bis das realisiert werden würde.» Es gebe jedoch definitiv Möglichkeiten, einzelne Teilprojekte vorzuziehen und situativ abgestimmt voranzutreiben, auch wenn man das grosse Ganze im Auge behalte.
Pro und Kontra Tempo 30
Den gleichen Standpunkt vertrat Buchwalder-Keller, als sich die Podiumsteilnehmenden dem Thema Tempo 30 zuwandten. «Tempo 30 ist immer ein Thema. Das muss aber pro Quartier, pro Gegend angeschaut werden», sprach sie sich gegen grossflächige Massnahmen aus. Anders Heini Kalt. Er plädierte für eine Ausdehnung von Tempo 30 in Lauffohr.
Beim Gespräch fiel auf, dass Belart mehr mit Heini Kalt redete, mit dem er per Du ist und einen kameradschaftlichen Ton pflegte. Yvonne Buchwalder-Keller, gegenüber der er das professionelle Sie einhielt, wurde weniger oft zu Wort gebeten. Das verlieh dem Podium eine unausgewogene Präsentation der Voten.
Als die Publikumsfrage zum Finanzhaushalt der Stadt gestellt wurde, kam Buchwalder-Keller zum Zug. Sie gab differenziert, fundiert und kompetent Auskunft und ging kompakt auf die Frage ein. «Im Vordergrund steht die Frage: Für was wird Geld ausgegeben, wo kann gespart werden? Hier müsste man über die Bücher.»