Eine riesige Welle der Solidarität erlebt

Jörg Buckmann ist aus familiären Gründen oft in der Ukraine. Seit Kriegsbeginn betreut er Geflüchtete aus der Heimat seiner Frau.
Wegen enger familiärer Verbundenheit mit der Ukraine engagiert sich der Ennetbadener Jörg Buckmann seit Ausbruch des Kriegs vor Ort und in der Schweiz für Geflüchtete. (Bild: zVg)

Für die Gesprächsreihe «Treffpunkt Ennetbaden» im Ennetraum hat Jörg Buckmann sein privates Fotoalbum geöffnet. Das erste Bild, das er dem Publikum zeigt, wurde drei Monate vor Kriegsbeginn aufgenommen. Zu sehen ist eine Hochhaussiedlung in Kiew. Dort besitzt der in Ennetbaden wohnhafte Marketing- und Kommunikationsberater eine Wohnung. Mit der Ukraine verbindet ihn viel. Seine Frau Olga stammt von dort, und er hat Angehörige und zahlreiche Freunde, die im Krisengebiet leben. Eine App auf seinem Handy zeigt ihm regelmässig die Luftalarme an, die bei Angriffen ausgelöst werden. Oft mehrmals pro Tag – auch während seines Vortrags im Ennetraum. Die nächsten Bilder gehen unter die Haut. Buckmann zeigt einen Chat mit seinem ukrainischen Freund Vlad, der ihm am 24. Februar 2022 schrieb: «The war has started.» Es folgen erste Bilder von Explosionen und dem völlig zerstörten Haus des Rentners Volodymyr. Er hat ein Leben lang für seinen Alterssitz gespart. Heute lebt er mit seiner Frau Lena in Ennetbaden und hat sich gut inte­griert. Auch dank der Initiative von Buckmann.

Jörg Buckmann nach seinem Vortrag im Ennetraum, wo unter anderem Deutschkurse für Geflüchtete aus der Ukraine stattfinden. (Bild: ub)

Unbürokratische Hilfe
Wegen der engen familiären Bande war Buckmann auch während des Kriegs mehrmals in der Ukraine. Hier halfen seine Frau und er in den vergangenen zwei Jahren 25 geflüchteten Menschen in schwerwiegenden Notlagen. Er zeigt ein Foto des Schülers Mischa, der mit seinen Eltern ein Jahr lang bei ihm wohnte. «Die meisten Schutzsuchenden kamen mit einem kleinen Rollköfferchen und ein oder zwei Plastiksäcken an. Das hat mich sehr berührt, denn es war ihr einziges Hab und Gut, das sie hatten mitnehmen können.» Das alles sei aber nur dank der Unterstützung der Gemeinde Ennetbaden, beherzten Privatinitiativen und grosszügigen Geld- und Sachspenden aus dem Freundes- und Bekanntenkreis machbar gewesen. «Ich habe eine riesige Welle der Solidarität erlebt. Ortsansässige Hausbesitzer haben sofort Familien bei sich auf­genommen.» Er windet vor allem Gemeindeschreiber Dominik Andreatta und seinem Team ein Kränzchen: «In Notlagen waren sie quasi rund um die Uhr erreichbar und suchten nach Lösungen für Menschen, die einen Platz brauchten. Entscheide wurden rasch und unbürokratisch gefällt, ohne die vorgegebenen Richtlinien zu übertreten.»

Kritik geht an die Stadt Baden
40 ukrainische Flüchtlinge mit dem Status S sind per 1. Februar 2024 in Ennetbaden gemeldet. In der Stadt Baden werden derzeit 164 Schutzsuchende aus der Ukraine betreut. In einem Fall engagierte sich Buckmann zudem in der Nachbargemeinde zusammen mit einer Unternehmerin aus Baden für eine Frau und ihr Kind. Und machte schlechte Erfahrungen. Er spricht von wochenlangen Wartezeiten nach Kriegsbeginn, unklaren Zuständigkeiten und mangelhafter Kommunikation. Eva Bühler, Leiterin Regionaler Sozialdienst der Stadt Baden, sieht das anders und antwortet auf die Anfrage der Redaktion: «Unsere Betreuungspersonen kümmern sich intensiv um die geflüchteten Personen und sind regelmässig vor Ort in den Unterkünften und Wohnungen. Bei dringenden Angelegenheiten sind sie über verschiedene Kanäle mündlich oder elektronisch erreichbar.»

Leben in ständiger Angst
Etwa 20 Stunden dauert die strapaziöse Busfahrt vom polnischen Warschau nach Kiew zurzeit. Auf einem Foto vom Aufenthalt im letzten Sommer posiert Olga vor einem Riesenrad. Keine Spur von Bomben und Drohnen. Nur wenig deutet auf Krieg hin. Läden und Restaurants sind geöffnet. Aber der Schein trügt. «Die Wirtschaft ist total zusammengebrochen. Unzählige Menschen haben keinen Job mehr. Die Preise in den Lebensmittelgeschäften sind explodiert. Männer trauen sich teilweise nicht mehr auf die Strasse, weil sie Angst haben, eingezogen zu werden», berichtet Buckmann von seinen Erlebnissen und Erfahrungen aus erster Hand. Schon mehrfach hat er Angriffe von Drohnen und Marschflugkörpern selbst erlebt, einen besonders heftigen im letzten Mai. «Wir hatten richtig Schiss und flohen in die Tiefgarage. Eine Situation, mit der Menschen vor Ort fast täglich konfrontiert sind.»

Von den 40 Ukrainerinnen und Ukrainern, die in Ennetbaden leben, konnte die Gemeinde bisher vier in die wirtschaftliche Selbstständigkeit entlassen. «Die meisten der 25 Menschen, die ich betreut habe, gehen wieder einer Beschäftigung nach», bestätigt ebenfalls Buckmann. Doch bleiben wollen längst nicht alle. «Viele zieht es aus Heimweh, familiären Gründen oder wegen wirtschaftlicher Zwänge in ihre Heimat zurück. Selbst wenn die Umstände dort weiterhin extrem schwierig sind.»