Männer zögern, wo sie beginnen, zu verstehen

«Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!»

Damit klar ist, dass keine Gnade erwartet werden kann: «Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!» So beginnt dieser Text von Ingeborg Bachmann. Ob man das liest oder hört – der Eindruck ist auf Anhieb ungeheuer. Ich stiess beim Autofahren darauf, im Radio. Auf einem Audiodokument las Bachmann selbst ihren Text. Sogleich stand ich im Bann ihrer Sprache. Grünlicht, Rotlicht, Geschwindigkeit drosseln, einspuren – egal: Da postulierte eine Frau ganz andere Regeln.

Auf lediglich acht Seiten (in gedruckter Form) bringt die Autorin Aspekte zur Sprache, woran man allenfalls denkt, wenn man über das Verhältnis zwischen Mann und Frau sinniert: wechselseitige Angst und Hingabe, unterschiedliche Verbindlichkeit, die Einbettung der Liebe ins «Restleben» (auf den ersten Blick anders bei Mann und Frau), der gegenseitige, aber unterschiedliche Betrug und Verrat: «Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!»

Darüber giesst Bachmann keine Zuckerglasur. Was ihren Blick aber abgründig werden lässt, durchsichtig wie schwarzes Eis, ist die Milde am Schluss, die sie walten lässt, ohne dass Milde versöhnt. Bachmann sucht weder Versöhnung noch Blessuren um des Kampfes willen. Sie will ein- und abtauchen, den Dingen auf den Grund gehen, aufgrund ihres eigenen Elements. Das war schon das Element Undines – Sie kennen jenes mythische Wasserwesen, den halb ­göttlichen weiblichen Geist.

Man kann, wenn man Ingeborg Bachmann liest, über Undine sich einer Hypothese nicht verschliessen: Wären die Kämpfe der Frauenbewegung in den 1960er- und 1970er-Jahren – notgedrungen vernehmlich und unnachgiebig – weniger ideologisch gewesen, flüssiger (ähnlich wie die Stimme Undines), dann hätten sich einige Streiterinnen nicht verrannt, wären heute noch wichtig statt vergessen. Wer stark werden muss, riskiert Starre. Der Geist des Menschen mutiert, wandelt sich, zerrt am Chitinpanzer, bricht mit der Enge – und wird oft ungeheuer.

Solche Ausschläge soll man cool nehmen. Das Pendel hatte während Jahrhunderten zuungunsten der Frau ausgeschlagen. Kein Wunder, schwingt es heute in die andere Richtung. Das dürfte sich ein­pendeln. Bleiben wir lieber bei der Provokation durch ­«Undine»:

Bachmann klagt den Angsthasen an, der berauscht das Nymphische der Frau erlebt und genossen hat, um sich am Ende des Tages auf das Dasein als gemütlicher Spiesser und Hausonkel zurückzuziehen, statt beherzt ins schuppenschillernde Element Undines vorzudringen.

«Verräter!», schleudert ihm Undine entgegen. Undine zu verleugnen, schafft der Mann nicht, ohne sie herabzusetzen und zu schmähen. «Dann wusstet ihr plötzlich, was euch an mir verdächtig war», sagt Undine, «Wasser und Schleier und was sich nicht festlegen lässt. Dann war ich plötzlich eine Gefahr, die ihr noch rechtzeitig erkanntet, und verwünscht war ich und bereut war alles im Handumdrehen. […] Vor euren grossen, grossen Instanzen ward ihr so tapfer, mich zu bereuen und all das zu befestigen, was in euch unsicher geworden war.»

Natürlich sind Männer feige. Alle, die in Sentimentalität dem Kitsch huldigen (Candlelight-Dinner mit Sekt, Romantikhotel mit Schokoladenherzen auf der Bettdecke), statt einmal eine Ahnung zu bekommen, wie umfassend kompromisslos Liebe sein könnte. Wie viel Einsamkeit, Mut, Unstabilität, Abkehr vom sogenannten Soliden nötig wären für einen unauslöschlichen Moment des Glücks zweier Flüchtiger.

Undine zählt nicht ohne Sarkasmus auf, wofür sie nicht geschaffen ist: «Ich bin nicht gemacht, um eure Sorgen zu teilen. Diese Sorgen nicht! […] Wie könnte ich je an die Wichtigkeit eurer Verstrickungen glauben? Wie euch glauben […], dass ihr mehr seid als eure schwachen, eitlen Äusserungen. […] Ich habe die feine Politik verstanden, eure Ideen, eure Gesinnungen, Meinungen, die habe ich sehr wohl ver­standen und noch etwas mehr. Eben darum verstand ich nicht. Ich habe die Konferenzen so voll­kommen verstanden, eure Drohungen, Beweisführungen, ­Verschanzungen, dass sie nicht mehr zu verstehen waren.»

Bitterer kann man männliche Sandkastenspiele nicht beschreiben. Und unser scheinbar gendergerechtes Zeitalter ist, trotz dreier Generationen Kampf für die Emanzipation der Frau, noch immer zugeschüttet mit Sand-Kasperlispielen.

Quellenangabe:
Aus: Max Dohner, «Liebeslauben – 77 Einflüsterungen zur Verfeinerung unserer tiefsten Passion». Verlag Rüffer und Rub, Zürich, 2007.