«Dekadenz und zu viele Drogen»

Krokus-Sänger Marc Storace (72) tritt mit seinem Soloprojekt Storace am Spreitenbacher Dorffest auf und spricht über seine Anfänge als Musiker.
Marc Storace war/ist Sänger der erfolgreichen Schweizer Band Krokus. (Bild: zVg | storace)

Marc Storace, Ihr gleichnamiges Soloprojekt Storace ist in den über 50 Jahren, die Sie nun im Musikbusiness sind, zu einer Marke geworden. Wofür soll Ihr Name stehen?
Als Sänger für meine Stimme, aber auch für meine Persönlichkeit. Ich habe gelernt, hartnäckig zu sein, dranzubleiben und an mich selbst zu glauben. Ich investiere meine Energie dort, wo es Sinn ergibt, und versuche, das Boot nicht zu sehr zu rocken, damit es nicht sinkt. Ich denke langfristig und bin loyal. Die meisten meiner Beziehungen zu Bands und Frauen waren von Dauer.

Woher kommt Ihr Durchhaltevermögen?
Ich habe nie etwas anderes gewollt, als Rockmusiker zu werden, und habe für diesen Traum meine Heimat Malta aufgegeben. Ich bin mit einer Schweizerin verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder, ein Haus und beide Pässe. Ich bin schon bodenständig. Wenn ich auf die Bühne gehe, bin ich jedoch nicht mehr so «laid-back» wie ein Berner, sondern ein Powerman und gebe Vollgas. (Lacht.)

War das schon immer so?
Meine Stimme ist alles, was ich habe. Als mir ein Freund in den USA erzählte, wie cool es ist, auf den Spuren des Schriftstellers Jack Kerouac «on the road» zu sein, brach ich meine Lehre als Logistiker ab. Ich packte meinen Rucksack und machte mich 1970 per Schiff und als Anhalter auf den Weg nach London.

Gelang es Ihnen, sich dort als Musiker durchzuschlagen?
Ich kam auf dem harten Boden der Realität an. Vorher hatte ich gratis bei meinen Eltern gewohnt, meine Mutter machte die Wäsche, und ich habe gut gegessen. Plötzlich musste ich auf eigenen Beinen stehen und so viel arbeiten, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen, dass ich neben den Proben mit der Coverband, die ich gegründet hatte, kaum noch Zeit fand, um in den Clubs andere Acts zu hören. Der liebe Gott hat es jedoch immer gut mit mir gemeint. Eines Tages kam eine Schweizerin in den Kleiderladen, in dem ich jobbte …

Ihre spätere Ehefrau?
Nein, sie war eine Touristin. Sie hatte ihren Pass verloren und fragte mich, ob ich wüsste, wo sie die Schweizer Botschaft finden würde. Ich führte sie dorthin, wir gingen in meiner Lieblingspizzeria essen und kamen uns näher. Schliesslich hat sie mich in die Schweiz eingeladen, wo es mir gefiel und ich 1972 Sänger der Zürcher Progressive-Rock-Band TEA wurde. Wir machten drei Alben und tourten auch regelmässig in Grossbritannien und Deutschland.

TEA waren 1974 «Special Guest» auf der ersten Deutschland-Tournee von Queen. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Die Gruppe hatte mit «Queen II» und der Single «Killer Queen» gerade in England die Charts erobert, und wir sahen weshalb, als wir sie bei jedem Soundcheck beobachteten. Sie waren damals schon «larger than life», auch physisch! (Lacht.) Neben Gitarrist Brian May wirkte ich wie ein Zwerg. Während er ein liebenswürdiger Riese ist, war Freddie Mercury ausgeflippt und ziemlich primadonnenmässig drauf. Er hat auf die Klaviertasten geschlagen und herumgeschrien, aber auch seine süsse Seite kam zum Vorschein.

Weshalb liessen Sie sich 1979 von Krokus engagieren?
Nachdem wir mit TEA nicht den Hit landeten, der für den Durchbruch nötig gewesen wäre, gelang mir mit meiner Band Easy Money ein Chart-Erfolg. Als uns die Plattenfirma mit Genesis auf US-Tournee schicken wollte, fehlte mir jedoch der richtige Glaube, während ich bei Chris von Rohrs Anfrage dachte: «Die Schweiz ruft wieder!» (Lacht.) Die ersten drei Krokus-Alben überzeugten mich zwar nicht, doch als er mir die «Metal Rendez-vous»-Demos schickte, reiste ich nach Solothurn, ass Schnipo, bestellte mir eine Stange und fühlte mich wieder zu Hause.

1980 starb AC/DC-Sänger Bon Scott, doch Sie wollten nicht sein Nachfolger werden …
Als ich eine Einladung zu den Auditions erhielt, dachte ich mir: Ich bin so happy, dass ich mit Krokus gerade eine Neugeburt erlebe, dass ich nicht weiss, weshalb ich dieser aufsteigenden Band für eine Handvoll Australier den Rücken kehren sollte.

Haben Sie es manchmal bereut, dass Sie sich so entschieden haben?
Logisch. Was passiert wäre, wenn ich mich beworben und gewonnen hätte, ist jedoch hypothetisch, auf Englisch sagt man «If pigs could fly» (wenn Schweine fliegen könnten). Man sollte immer auf dem Boden bleiben.

Was hat Krokus einen noch grösseren Erfolg gekostet?
1983 war für mich unser bestes Jahr. Mit «Headhunter» ist es uns in jeder Hinsicht gut gelaufen, auch in den USA, wo es Goldstatus erreichte und wir mit Superstars wie Def Leppard und Judas Priest auf Tour waren. Dann begannen jedoch die Querelen, innerhalb der Band und mit dem Management. Ich habe Chris nicht mehr verstanden. Da waren einfach zu viel Dekadenz und zu viele Drogen im Spiel. Ich hatte damals auch noch zwei Bühnenunfälle, weswegen ich bis heute Ischias- und Nackenschmerzen habe.

Was waren die Ursachen für die Dissonanz?
Wir und unser Umfeld haben vergessen, was uns stark gemacht hat. Wir sind als Street Warriors (Strassenkrieger) bekannt geworden, die auf ihren endlosen Tourneen jede andere Band in Grund und Boden spielen konnten und die wildeste Show hatten – mit Henkern, Äxten und Fernando von Arb, der Gitarren zertrümmerte. Nun wollte das Management aber, dass wir einen auf sexy machen, um wie Def Leppard die Girls für uns zu gewinnen und mehr Geld mit dem Merchandising verdienen zu können. Statt geiler Riffs sollten wir nun radiogenen Mainstream-Hardrock liefern.

Was erwartet die Leute bei Ihrem Konzert in Spreitenbach?
Ich spiele dort mit meinem Soloprojekt Storace, das entstanden ist, nachdem die Krokus-Abschiedstournee wegen Corona vorzeitig zu Ende gegangen war und ich während des Lockdowns mit meiner Tochter Juliana Duette für Youtube aufnahm. Die Songs auf dem Album «Live And Let Live» habe ich aus dem Chaos in meiner Schublade mit alten Texten und Demos entwickelt.

Die Familie ist Ihnen ebenfalls sehr wichtig. Wie haben Sie Ihre Ehefrau kennengelernt?
Als ich meinen Freund Vic Vergeat, den ehemaligen Toad-Gitarristen, in Basel besuchte und wir im Musiklokal Atlantis noch ein Feierabendbier tranken, kam Cornelia herein, worauf Atlantis-Patron Eddie Cassini spontan zu mir sagte: «Jetzt will ich dir jemanden vorstellen, der zu dir passen würde …» Eddie hat es gewusst. Das war vor 33 Jahren. Ich werde es ihm nie vergessen.

Und Cornelia hat Sie gezähmt?
(Schmunzelt.) Andere Frauen anschauen darf man ja. Es ist wie in einem Museum. Da kannst du auch alle Bilder anschauen, aber nach Hause nehmen darfst du keines.