«Es geht um mehr als nur Biodiversität»

Martin Rufer ist Direktor des Schweizer Bauernverbands. Im Gespräch erläutert er, welche Alternativen zur Initiative wir heute schon haben.
Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbands. (Bild: zVg)

Martin Rufer, wie nehmen Sie die aktuelle Diskussion über die Biodiversitätsinitiative wahr?
Momentan läuft die Diskussion nur über den Zustand der Biodiversität. Aber über Denkmal- und Ortsbildschutz wird nicht geredet, obwohl die Initiative diese Bereiche trifft. Hier besteht heute schon in den Kantonen und Gemeinden Missmut, weil man Bewilligungen nicht mehr so leicht bekommt oder überteuert bauen muss. Die Biodiversitätsinitiative würde das natürlich noch verschärfen. Das heisst, es braucht diese Initiative nicht nur nicht, sondern sie wäre sogar schädlich.

Warum?
Beispielsweise würde der Bau von Wohnbauten gerade innerhalb geschützter Ortsbilder erschwert. Das würde dazu führen, dass Wohnungen teurer würden. Aber auch Wasserkraftanlagen oder Windräder könnten nicht mehr aufgrund eines verschärften Landschaftsschutzes realisiert werden. Die Initiative würde sehr viel verhindern, gerade wenn es um den Ausbau erneuerbarer Energien oder den Umbau des Energiesystems im Allgemeinen geht. Es ist wichtig zu verstehen, dass es bei der Initiative um viel mehr geht als nur um Biodiversität.

Der Bauernverband ist ein grosser Vertreter des Komitees gegen die Initiative. Über Landwirtschaft haben Sie bis jetzt noch gar nicht gesprochen.
Weil es um mehr geht als nur um Biodiversität, ist zum Beispiel der Tourismus bei uns dabei, die Produzenten erneuerbarer Energie, der Baumeisterverband und der Hauseigentümerverband.

Als Landwirtschaft sind wir ausserdem sehr stark betroffen. Wir gehen davon aus, dass auf grossen zusätzlichen landwirtschaftlichen Flächen keine Lebensmittel mehr produziert werden könnten.

Können Sie eine Grössenordnung geben?
Die Initianten, gerade Pro Natura, haben mehrfach gefordert, dass man 30 Prozent der Landesfläche für Biodiversitätsförderflächen ausscheiden müsste. Heute sind wir nach ihrer Rechnung etwa bei 8 Prozent. Diese Forderung würde dazu führen, dass weitere 900 000 Hektar unseres Landes zu Gebieten mit sehr strengen Auflagen würden. Die Landwirtschaft wäre davon sicherlich stark betroffen. Deshalb sagen wir Nein.

Was schlagen Sie stattdessen vor?
Unser Ansatz ist folgender: Wir haben in der Landwirtschaft bereits viele Flächen. Ein durchschnittlicher Betrieb bewirtschaftet knapp 20 Prozent seiner Fläche als Biodiversitätsförderfläche. Wir sind der Meinung, dass es nicht mehr Fläche braucht, womit man nur die Nahrungsmittelproduktion reduzieren würde.

Sondern?
Man kann auf den bestehenden Flächen, die bereits für die Biodiversität reserviert sind, die Qualität erhöhen. Wir brauchen mehr Qualität, aber nicht mehr Fläche.

Laut dem Pro-Komitee geht es bei der Initiative nicht primär um Flächen, sondern darum, dass Geld für sinnvolle Massnahmen gesprochen wird. Was sagen Sie dazu?
Der Bundesrat schätzt die jährlichen Kosten auf 375 bis 450 Millionen Franken. Für uns ist die grosse Frage, woher der Bund dieses Geld nehmen soll. Wenn man Sparprogramme schnüren muss, sollte man nicht gleichzeitig mehr ausgeben. Der Bund hat dieses Geld momentan nicht, das ist ein Fakt. 

Wie geht es Ihrer Ansicht nach der Biodiversität in der Schweiz?
Ich glaube, man kann sagen, dass wir vor etwa 20 Jahren die Trendwende geschafft haben. Bis dahin verringerte sich die Artenvielfalt, aber seither geht es bei gewissen Arten wieder aufwärts, auch dank der Landwirtschaft. Das ist sicher von Art zu Art unterschiedlich, aber grundsätzlich ist die Talsohle erreicht, und ich denke, diesen Pfad, den wir jetzt eingeschlagen haben, müssen wir weitergehen. Wir brauchen dafür keinen neuen Verfassungsartikel. Die Landwirtschaft kann ihren Beitrag leisten, indem sie die Qualität auf bestehenden Flächen erhöht.

Der Bundesrat hielt in einer Botschaft zur Biodiversitätsinitiative fest, dass sich die Biodiversität in einem besorgniserregenden Zustand befinde. Welche Massnahmen schlagen Sie vor, um diese Situation zu verbessern?
Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, für ihn geht sie aus den eingangs genannten Gründen viel zu weit. In der Landwirtschaft steht die Verbesserung der Qualität der bestehenden Flächen im Zentrum, zum Beispiel mit Strukturelementen wie Steinhaufen, die Wildtieren Unterschlupf bieten. Zudem ist es wichtig, dass diese Flächen gut untereinander vernetzt sind und man so Korridore herstellt. So können wir die bestehenden 190 000 Hektar in der Landwirtschaft qualitativ verbessern. Auch dort, wo wir Nutzwiesen oder Kulturen haben, lässt sich mit angepassten Bewirtschaftungsmassnahmen viel erreichen.

Welche Massnahmen zur Qualitätssteigerung werden bereits umgesetzt?
In vielen Kantonen gibt es Spezialprogramme, im Aargau beispielsweise Labiola. Aber ebenso Labels wie IP-Suisse oder Bio-Suisse erbringen Zusatzleistungen im Bereich Biodiversität. Im Bauernverband sind wir stark im Bereich Aufklärung und Sensibilisierung tätig. Beispielsweise haben wir letztes Jahr eine Kampagne durchgeführt, um aufzuzeigen, wie man den Mähaufbereiter nutzen soll, um die Insekten zu schonen. In diesem Jahr haben wir mit einem Projekt Hochstammbäume und Strukturelemente wie Steinhaufen mitfinanziert, immer in Hinblick auf die Qualität.

Wie finanzieren Sie diese Projekte und Kampagnen?
Biodiversität wird heute schon über die Agrarpolitik gefördert, auf Bundesebene ausserdem mit den kantonalen Programmen. Das Zweite sind die erwähnten Labels, mit denen jede Konsumentin, jeder Konsument die Biodiversität zusätzlich fördern kann. Unsere Projekte und Kampagnen finanzieren wir als Verband selbst.

Potenzial zur Verbesserung der Biodiversität besteht auch im Siedlungsraum.
Das Potenzial im Siedlungsraum ist unbestritten. Die Frage ist aber, ob das der Bund verordnen muss oder ob Kantone wie Gemeinden nicht eigenständig genug sind, um Massnahmen standortgerecht umzusetzen. Ich glaube, hier läuft schon einiges, und man kann den Kantonen und Gemeinden vertrauen.