Die Wettingerin Maren Tromm begleitet seit über zehn Jahren Eltern und Fachpersonen bei Erziehungsthemen im Raum Baden und online im deutschsprachigen In- und Ausland. Sie führt Einzelgespräche, hält Vorträge und leitet mehrteilige Elternkurse. «Schon oft fragten mich die Teilnehmenden, ob ich das, was ich erzähle, nicht aufschreiben könne, weil sie es gern zu Hause noch einmal nachlesen oder ihrem Partner zeigen möchten», erzählt die 51-Jährige.
Das ermutigte die diplomierte Beraterin im psychosozialen Bereich, Erziehungs-, Einzel- und Paarcoachin, Familientherapeutin, Autorin, Podcasterin und zweifache Mutter, ihren Kindheitstraum «Ich schreibe mal ein Buch» tatsächlich zu verwirklichen. Als dann eines Morgens der Wiley Verlag anfragte, ob sie nicht einen ideenreichen und praxisnahen Elternratgeber schreiben könne, war die Sache klar. Am Abend erzählte sie ihrer damaligen Podcastpartnerin Nicole Huser von der Idee. Diese war sofort begeistert und bot ihre Mitarbeit an.
Nicole Huser ist klinische Musiktherapeutin, Elterntrainerin, Coachin für Multifamilienarbeit und Pädagogin. Sie arbeitet als Fachberaterin für Autismus, wo sie Lehrpersonen und Eltern bei Fragen der Erziehung von autistischen Kindern begleitet. Rund 18 Monate später liegt das erste Buch der beiden vor: «Elternratgeber – Erziehen ohne Schimpfen für Dummies» heisst das 316-seitige Werk, das im April im Wiley Verlag erschien.
In ihrem Buch zeigen die beiden Fachfrauen anhand zahlreicher Beispiele konkrete Ideen und Lösungen für typische Alltagssituationen auf, die dabei helfen können, den Teufelskreis aus schreienden Kindern und schimpfenden Eltern zu durchbrechen. Ziel des Buches ist es, dass Eltern lernen, in fordernden Situationen ruhig und gelassen zu bleiben und ihre Kinder zu glücklichen und selbstbewussten Menschen zu erziehen, ohne sich dabei selbst zu vernachlässigen. Im Fokus steht die bindungsorientierte Erziehung, ergänzt durch neueste Erkenntnisse aus der Autoritäts-, der Hirn- und der Glücksforschung.
Das Buch ist zudem ein interaktives Mitmachbuch. Es enthält zahlreiche Übungen für die ganze Familie, einen Downloadbereich mit vielen Beispielvideos und Karten, die man sich zum Beispiel an den Kühlschrank hängen kann. Dort finden sich Listen wie «Zehn Dinge, die Sie tun können, anstatt zu schimpfen» oder «Zehn Wege, wie Ihr Kind Selbststeuerung lernt».
Die «Rundschau» hat sich mit Maren Tromm über ihr Erstlingswerk unterhalten:
Maren Tromm, Sie schreiben, das Buch sei eine «Herzensangelegenheit». Was muss man sich darunter vorstellen?
Als ich mit meiner Familie in die Schweiz zog, sah ich mich mit meinen zwei kleinen Kindern vor grossen Herausforderungen, denn ich hatte überhaupt kein Umfeld, das mich unterstützen konnte. Zunächst dachte ich noch, Kindererziehung sei einfach, zumal ich mich seit jeher für Menschen, Psychologie und Kommunikation interessierte.
Dem war nicht so?
Nein, ich musste mir schnell eingestehen, dass meine Kinder mich an meine Grenzen brachten. Ich war überfordert und schämte mich dafür. Zum Glück fand ich schnell den Weg in einen Elternkurs. Dort lernte ich Wichtiges über Entwicklungsschritte, altersgerechtes Verhalten, meine eigenen Erwartungen sowie wie und wann Kinder Dinge wie Empathie und planerisches Denken und Handeln überhaupt lernen können. Und ich hörte, dass es vielen Müttern und Vätern ähnlich ging. Das tat unendlich gut.
Hatte das Auswirkungen auf Ihren Erziehungsalltag?
Ja, ich merkte schnell, wie viel einfacher mir die Erziehung fiel. Wir hatten viel weniger Stress und Konflikte, weil ich mein eigenes Verhalten und das der Kinder besser verstand. Denn wenn ein Kind haut, beisst oder die Eltern beschimpft, liegt das weder am Kind noch an den Eltern. Vielmehr ist es meist ein altersgerechtes Verhalten, womit uns etwas Wichtiges mitgeteilt wird. Nämlich: Hey, ich bin gerade überfordert und/oder verletzt. Und das ist etwas ganz anderes.
Was erhoffen Sie sich von der Verbreitung dieser Erkenntnisse?
In unserem Buch übersetzen wir viele Verhaltensweisen von Kindern und Eltern, erweitern Perspektiven, vermitteln Wissen und verschenken hoffentlich jede Menge Mut, anders auf sich, das Kind und/oder die Situation zu schauen. Dieser andere Blick soll Ruhe und Gelassenheit bringen und es Eltern ermöglichen, anders zu denken, zu fühlen und zu handeln. Zudem ist es mir ein Anliegen, dass uns Eltern bewusst ist, wie bedeutsam unsere elterlichen Antworten und Reaktionen für die spätere Entwicklung und die psychische Gesundheit eines jeden Kindes sind.
Es gibt viele Erziehungsratgeber. Wieso sollte man sich für Ihren entscheiden?
Das Buch enthält aus meiner Sicht die besten Ratschläge aus vielen Erziehungsratgebern und genau die Informationen, die meiner Kundschaft in den Beratungen am schnellsten und besten weitergeholfen haben. Es nimmt Eltern mit auf eine Reise durch 18 Jahre Elternschaft und behandelt Themen, die wohl alle Eltern beschäftigen, wie den Umgang mit schwierigem Verhalten, starken Gefühlen, Streit, Eifersucht und vieles mehr. Das Buch ist handlungsorientiert, praxisnah und eignet sich zum Nachschlagen und Querlesen. Denn Erziehung ist Überforderung mit Ansage – immer wieder und jeden Tag anders.
Worauf basieren die Tipps im Buch?
Dem Buch liegen diverse Theorien zugrunde. Allen voran die bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung, daneben aber auch Theorien zur gewaltfreien Kommunikation, zur neuen Autorität, zur systemischen und lösungsorientierten Erziehung und viele weitere.
Gibt es «Erziehungsfehler», die häufig auftreten beziehungsweise die viele Eltern machen?
Man sollte unbedingt versuchen, das Verhalten der Kinder nicht persönlich zu nehmen und nicht als Angriff zu verstehen und zu werten. Eltern haben oft das Gefühl, dass Kinder sich absichtlich querstellen. Nehmen wir zum Beispiel ein Kind, das die Jacke auf den Boden wirft, anstatt sie an den Hacken zu hängen. Viele Eltern denken dann, dass das Kind das eigentlich können müsste und dass sie schon so viel für das Kind geleistet hätten, dass sie ein Recht darauf hätten, dass das Kind ihrem Wunsch nachkomme.
Was es aber nicht tut …
Genau, das führt zu Wut und Gefühlen der Hilflosigkeit. Viele Eltern befürchten dann, dass ihr Kind ohne ihre Erziehung unordentlich, egoistisch und «asozial» bleiben könnte. Und weil sie das auf keinen Fall wollen, verstricken sie sich mit aller Kraft in einen Machtkampf mit dem Kind und landen – ehe sie sich versehen – in der «Brüllfalle». Am Ende fühlen sich alle schlecht: Kinder und Eltern.
Ginge das besser?
Wenn wir nun das Verhalten des Kindes anders erklären, beispielsweise mit einem schwierigen Morgen in der Schule, und wenn es erst einmal alles abwerfen und selbstbestimmt losspielen konnte, kann man ganz anders auf die nicht aufgehängte Jacke reagieren. Zum Beispiel so: «Schatz, wie schön, dass du da bist. Ich habe mich auf dich gefreut.» Und erst im weiteren Verlauf des Tages sucht man nach einer Lösung für die Jacke, die für beide passt. Vielleicht ein Korb im Eingangsbereich, in den das Kind die Jacke «verstauen» kann.
Kernaussage Ihres Buches ist, dass es nie zu spät für eine liebevolle Kindererziehung ist. Kann man somit Kinder nacherziehen?
Klar, man kann nacherziehen. Wir Menschen lernen schliesslich immer wieder Neues dazu. Normalerweise stehen bei der «Nachbeelterung» Themen wie Sicherheit, Zugehörigkeit und Bindung im Vordergrund. Wenn zum Beispiel jemand in der Kindheit von seinen Eltern mental und emotional zu wenig gestärkt und gefördert wurde. Übrigens kann man nicht alles «anerziehen». Kinder bringen ihre eigene Persönlichkeit mit, die es anzunehmen und zu akzeptieren gilt.
Gibt es goldene Regeln in der Kindererziehung?
Hm, das ist eine gute Frage: Kinder sind Menschen wie wir alle. Sie haben dieselben im Grundgesetz verankerten Rechte auf Freiheit und eine eigene Meinung. Auch wenn wir Erwachsenen das auf einer intellektuellen Ebene wohl alle verstanden haben, fällt es vielen im Alltag immer mal wieder schwer, ihre faktische Macht nicht doch auszunützen. Wenn man Erwachsene fragt, was sie an ihren Eltern am meisten geschätzt haben, erhält man in der Regel folgende Antworten: Sie haben mich machen lassen. Sie haben mir Grenzen gesetzt. Und Sie haben an mich geglaubt.
So einfach?
Das klingt einfach, ist es aber nicht. Denn Kinder sind lustorientiert und streben nach Spiel, Spass, Spannung. Wo also lässt man sie machen, wann, wo und wie setzt man Grenzen, und wie vermittelt man Kindern das Gefühl, dass man an sie glaubt?
Und wie geht das?
Kinder wünschen sich glückliche Erwachsene und Vorbilder, die in Krisen beharrlich bleiben können und Zuversicht und Hoffnung ausstrahlen. Konkret könnte das so klingen: «Selbst wenn du jetzt eine 3 in Mathe geschrieben hast, sagt das nichts über deinen Wert als Person aus. Du bist gut, wie du bist. Und Mathe schaffen wir auch noch.» Das ist manchmal ziemlich schwer.
Gibt es Möglichkeiten für Eltern, darin besser zu werden?
Allerdings, eine weitere goldene Regel lautet nämlich: Übernehmen Sie selbst die Verantwortung für Ihre Gefühle. Ihr Kind ist vielleicht der Auslöser für Ihre Ohnmachtsgefühle, aber es ist nicht dafür verantwortlich. Sie als Elternteil haben die Möglichkeiten, sich selbst zu steuern. Kinder haben diese Fähigkeit häufig noch nicht. Deshalb kann es sich lohnen, sich selbst professionelle Hilfe zu holen. Schliesslich gibt es in allen Berufen Aus- und Weiterbildungen. Nur Eltern sein, das soll man ohne Weiteres können. Und das, obwohl unsere Kinder unser wichtigstes Gut sind und der Mensch ein äusserst komplexes Wesen ist.
Das Klingt nach einem wiedersprüchlichen Zustand.
Das ist es. Mir fällt gerade eine weitere goldene Regel ein: Wir Eltern sollten nicht immer so kritisch und streng mit uns selbst sein. Eltern müssen nicht perfekt sein, dürfen Fehler machen und auch mal mit ungewaschenen Haaren und einem stehen gelassenen Frühstück auf dem Tisch aus dem Haus, wenn das Kind heute einfach partout nicht mitmachen wollte. Das gibt es und darf sein.
Was empfehlen Sie Eltern in solchen Situationen?
Denken Sie gerade dann: Ich bin eine gute Mutter, ein guter Vater. Und auch wenn die Situation im Moment nicht so ist, wie ich mir das wünsche, bleibe ich ruhig und gelassen. Bestärken Sie sich, drücken Sie ein Auge zu und lachen Sie über all die stillen Erwartungen, die Ihnen das Leben gerade schwer machen.
Sie betreiben eine eigene Praxis, unter anderem für Erziehungsberatung. An wen richtet sich das Angebot?
Mehrheitlich kommen Eltern zu mir, die an ihre Grenzen stossen und nicht weiterwissen. Aber ebenso Eltern, denen auffällt, dass ihre Kinder scheinbar anders sind als andere oder deren Kinder sich plötzlich anders verhalten. Ausserdem berate ich Eltern, die entgegen ihrer eigenen Idealvorstellung von Erziehung oft laut werden, strafen oder drohen. Daneben kommen Eltern zu mir, die selbst eine schwierige Kindheit hatten und es anders als die eigenen Eltern machen wollen. Und natürlich Paare, die sich in der Kindererziehung nicht einig sind.
Wie präsentiert sich die Kindererziehung heute im historischen Vergleich?
Vielleicht kann man das ein wenig mit dem Kreissaal vergleichen. Früher gingen Männer etwas trinken, während die Frau gebar. Heute sind Männer im Kreissaal eine Selbstverständlichkeit. Während die Frauen nach einer Geburt früher eher zu Hause blieben, wollen heute viele früher wieder arbeiten; und mehr und mehr Männer treten beruflich kürzer, um einen grösseren Beitrag im Haushalt und in der Kindererziehung zu leisten.
Sind wir also auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Geschlechter in der Kindererziehung?
Viele Frauen fühlen auch heute noch, dass die emotionale Verantwortung für die Kindererziehung mehrheitlich bei ihnen liegt. Aber während früher die Gesellschaft bei der Kindererziehung mehr mit- und dazwischengeredet hat, sprechen sich heute viele Paare intern ab, tauschen sich mit anderen Paaren aus und streiten deswegen. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich glaube, wir sind auf dem Weg zu einer gleichwürdigeren Elternschaft und dabei, das Wort Autorität neu aufzuladen.
Was würden Sie sagen, was für eine Mutter Sie selbst sind?
Ich bin eher geplant und organisiert. Das heisst, ich schaffe Strukturen, gebe Orientierung und setze, wenn es sein muss, Grenzen durch. Ausserdem bin gern wissend. Das heisst, ich habe mir das Teenagerwissen bereits angeeignet, als meine Kinder noch nicht zwölf Jahre alt waren. Bei Streitigkeiten probiere ich, die Gefühle, Bedürfnisse und Perspektiven aller zu sehen und zu verbalisieren. Natürlich gelingt mir das nicht immer, und auch ich bin manchmal gestresst oder so entspannt, dass ich einen Erziehungsgrundsatz über Bord kippe, weil es gerade so schön ist und wir das Leben feiern dürfen.