Grossartige Schauspielkunst

Mit einem minimalen Bühnenbild inszenierten drei Frauen die Geschichte einer Familie, die aus der Türkei in die Schweiz migrierte.
Die Grossmutter (Eleni Haupt), die Mutter (Beren Tuna) und die Tochter (Monika Varga) (von links) betrachten gemeinsam Familienfotos und rekonstruieren ihre Familiengeschichte. (Bild: af)

«Türkei, Sommer, 1963, Schwarzmeerküste», so beginnt das Stück «Und dann fing das Leben an», basierend auf Interviews mit einer Einwandererfamilie in der Region Brugg. Bei den drei Protagonistinnen handelt es sich um Grossmutter, Mutter und Tochter. Diese schwelgen mithilfe ihrer Fotoalben in Erinnerungen, in sowohl schönen als auch weniger guten Erinnerungen. Mit dem abwesenden Grossvater beginnt die Geschichte, er wollte unbedingt auswandern. Seine Frau, die im Stück die Grossmutter (Eleni Haupt) spielt, reiste später nach. Mit 16 Jahren verliess sie die Türkei und reiste in die Schweiz zu ihrem Mann. Nach der Ankunft wohnten sie eine Weile bei Familie Stocker. Diese bemühte sich, den Neuankömmlingen Deutsch beizubringen. Dabei machten sie die ersten unangenehmen Erfahrungen. Beim Einkaufen wurde sie angestaunt, und sie hörte Kommentare wie: «Oh, das ist jetzt eine Türkin, sie ist hübsch.» Ihr Mann wollte, dass sie zu Hause bleibt, aber die heutige Grossmutter wollte arbeiten: in einer Wäscherei, in einem Kinderheim, bei Chocolat Frey und bei den Brugger Kabelwerken. Nachdem sie Kinder bekommen hatte, hatte sie zuerst eine Tagesmutter, später arbeitete sie im Schichtdienst abwechselnd mit ihrem Mann, um die Familie zu ernähren.

Schöne Erinnerungen
Die Mutter (Beren Tuna) erinnerte sich an ihre Kindheit in der Region Brugg, wie sie zwischen der Schweiz und der Türkei hin- und hergerissen war. In der Schweiz wurde sie dafür gehänselt, dass sie kein Deutsch sprach. Was sie dazu veranlasste, nur noch konsequent deutsch mit ihren Eltern zu sprechen. Sie hatte viele schöne Erinnerungen an ihren Vater, wie sie durch Brugg flanierten, eine Zeitung kauften und sie dann in einem Café lasen. Ihr Vater erschien ihr allerdings bald konservativer als die Menschen in der Türkei. Sie wurde aufmüpfiger. Einmal wurde sie von einem Klassenlager in der Oberstufe direkt in die Türkei in ein Internat geschickt. Als sie dort in den Ferien mit dem Sohn einer Gastfamilie Fussball spielte, erschien sie auch dort zu rebellisch. Wieder in der Schweiz wollte sie weglaufen. Es wird nicht ausgesprochen, nur angedeutet, dass es zu häuslicher Gewalt kam. Gleichzeitig entwickelte sie beinahe eine Sucht nach Familienfotos. «Ich war ein Junkie nach Familienbildern.»

Mit dem Stück identifiziert
Obwohl die Tochter (Monika Varga) einen Schweizer Vater hat und ihre Mutter mehrheitlich in der Schweiz aufgewachsen ist, beschäftigt sie das Thema Migration. «Eine türkische Grossmutter ist einfach anders als eine schweizerische Grossmutter.» Sie machte seltsame Erfahrungen, beispielsweise als ihre Lehrerin ihr verbieten wollte, einen Cervelat zu essen, obwohl sie erklärte, dass sie keine Muslimin sei und ihre Eltern ihr diesen mitgegeben hätten. Aber irgendwie sei es ja cool, nicht nur aus der Schweiz zu kommen. «Es ist cool, wenn man beides machen kann.»

Sie zählte auf, welche Sprachen sie kann, und sie lernte Türkisch. Ihre Mutter hat mit ihr nicht türkisch gesprochen, da sie das zu wenig gut kann. Um sich auf ihre Wurzeln zu besinnen, besuchte sie einen Türkischkurs. Als eine andere Kursteilnehmerin feststellte, dass sie zur Hälfte Schweizerin ist, zeigte diese eine Reaktion, als ob es ihr nicht erlaubt wäre, Türkisch zu lernen. Zum Schluss meinte sie, dass sie nach der Matur eine Reise in die Türkei machen wolle. «Oder vielleicht gehe ich nach Amsterdam.» Eine Türkin aus dem Publikum meinte nach dem Ende, dass ihr Vater sie immer anständig behandelt habe. Fast jeder im Publikum, der eine Migrationsgeschichte vorweisen konnte, konnte sich mit einer oder mehreren Erfahrungen aus dem Stück identifizieren.

Die drei Darstellerinnen, die selbst alle eine Migrationsgeschichte haben, meisterten das anspruchsvolle Thema scheinbar mühelos. Sie fanden eine Balance zwischen idyllischen Familienmomenten und negativen Erfahrungen. Sie drifteten weder in kitschige Erinnerungen ab noch verurteilten sie das Geschehene. Dennoch ist es ein ganz persönlicher Einblick, auf die Bühne gebracht vom Sogar-Theater und unterstützt von der regionalen Integrationsfachstelle.