AEW und Kantonalbank privatisieren?

Der Staat Aargau engagierte sich für die Versorgungssicherheit auf dem Strommarkt. Sind solche Beteiligungen heute noch sinnvoll?
AKB (Bild: zVg)

Seit Jahrzehnten lodert in der Aargauer Politik das Thema Privatisierung von Staatsanstalten immer wieder von Neuem auf. Primär geht es dabei um die Kantonalbank und die AEW Energie AG, aber ebenso um 45 weitere Unternehmen, die zumindest teilweise im Eigentum des Staats sind und öffentliche Aufgaben erfüllen. Ordnungspolitisch stellt sich aus Sicht der Wirtschaftsorganisationen Aargauische Industrie- und Handelskammer (AIHK) und Aargauischer Gewerbeverband (AGV) die Frage, ob die Privatwirtschaft hier nicht oft günstiger und besser arbeiten würde. Eine neue Studie zeige auf, so die Wirtschaftsverbände, dass das Engagement der öffentlichen Hand zu Wettbewerbsverzerrungen führen könne. So heisst es: «Die AEW hält heute Beteiligungen an Unternehmen, die in direkter Konkurrenz zu privaten Anbietern stehen. Dies ist nicht ihr Auftrag.»

Auf dem Fuss folgte die Reaktion der SP Aargau, die das Papier als «unseriös» bezeichnet. Die Studie könne nicht als Beurteilungsgrundlage herangezogen werden, «da sie nicht aus der Perspektive des Gemeinwohls, sondern nur aus der Sicht der privaten Unternehmen verfasst wurde und deren Interessen ins passende Licht rückt». Was für den Status quo spricht, legt in diesem «Pro und Kontra» Mia Jenni dar. Sie ist SP-Grossrätin und führt das Sekretariat der SP queer. Argumente für Privatisierungen liefert Adrian Schoop, FDP-Grossrat, Unternehmer und Vorstandsmitglied des AGV.
Doch wie kam es einst zu diesen Engagements des Kantons?

Ein Blick in die Geschichte des Kantons
Bei der AEW mit Gründungsjahr 1916 liegt das Thema Sicherung einer flächendeckenden Versorgung des Aargaus mit Strom auf der Hand. Aber eine Bank? Dass mit der Schaffung von Kantonalbanken den Bürgerinnen und Bürgern eine lukrative und sichere Möglichkeit geboten wurde, ihre Sparfranken anzulegen, ist nur eine Seite der Medaille – und erst noch jene, die nie oben lag.

Dass die Aargauische Kantonalbank zu Beginn des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufen werden musste, um in dieser Epoche der Industrialisierung die Wirtschaft mit genügend (Fremd-)Geld zu versorgen und somit ihr Wachstum zu fördern, ist auch nicht ganz richtig. Zum einen wurde die Aargauische Kantonalbank in ihrer heutigen Form erst 1912 gegründet. Zum anderen sah sich der Staat Aargau vor 1848 selbst in der Rolle des «Bankers», der Kredite gewährte.

Damals gab es in unserem Kanton zwar ein relativ dichtes Netz lokaler Sparkassen und in Aarau die von der Kulturgesellschaft betriebene «Zinstragende Ersparniskasse für die Einwohner des Kantons Aargau». Die Funktion dieser Sparkassen als Kapitalgeberinnen genügte den Bedürfnissen der Wirtschaft jedoch nicht. Deshalb begann der Staat, aus öffentlichen Mitteln Kredite zu gewähren. Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte dann aber auch in der Kasse des Kantons Ebbe, und er musste sich selbst verschulden. Um den «drohenden ökonomischen Ruin und die Verarmung einer bedeutenden Anzahl von Bürgern abzuwehren», sah sich der Regierungsrat am 12. April 1848 «genötigt», dem Grossen Rat den Vorschlag zu unterbreiten, eine öffentliche Leihkasse zu gründen. Diese fand in der Staatsverfassung von 1852 ihre rechtliche Verankerung und den Auftrag, für «die beförderliche Gründung einer Leihbank zu sorgen und die Einrichtung von Ersparniskassen zu fördern». Gegründet wurde 1854 die Aargauische Bank, an welcher der Kanton aber nur 2,2 Millionen Franken des Aktienkapitals von 5,2 Millionen Franken hielt.

Die Staatsbank als Einnahmequelle
Als die Finanzkommission des Verfassungsrats von 1885 feststellte, dass die Aargauische Bank ihr Geld zu überdurchschnittlich hohen Zinsen auslieh, stellte sie die Forderung nach ihrer Verstaatlichung auf. Erfolglos. Zu diesem Schritt kam es nicht, weil dank den (zu) hohen Zinsen auch der Staatskasse erkleckliche Einnahmen zuflossen. Die Idee des Wohlfahrtsstaats und die Forderung der Bauern nach billigen Hypothekargeldern führten 1912 schliesslich doch noch zu dem Beschluss von Parlament und Volk, die Aktien der Aargauischen Bank zurückzukaufen. Gegen eine Staatsbank hatten sich lediglich die Bezirke Bremgarten und Muri ausgesprochen.

PRO

Adrian Schoop, FDP-Grossrat, Turgi. (Bild: zVg)

Wettbewerb belebt und fördert Innovation – aber der Wettbewerb muss fair sein. Ist er das, wenn zum Beispiel Unternehmen wie die AEW Energie AG, die IBB Brugg oder die Post mit ihrem Angebot die privaten Anbieter direkt konkurrenzieren? Ich sage: Nein! Geschäftsbereiche, die nichts mit dem unmittelbaren Auftrag eines Staatsbetriebs zu tun haben, müssen wieder privatisiert werden. Nur so sind die Spiesse zwischen ­privaten und staatlichen Unternehmen gleich lang. Staatsbetriebe haben nämlich viele Vorteile, wie zum Beispiel Steuererleichte­rungen, Quersubventionierungsmöglichkeiten, Verbundvorteile oder mehr Personal.

Natürlich ist es richtig, dass es Unternehmen gibt, die im Auftrag des Staats Aufgaben übernehmen. Das aber nur dann, wenn der Markt versagt. Deshalb ist nichts dagegen einzuwenden, dass sich der Kanton Aargau an der AEW Energie AG beteiligt, um die Versorgungssicherheit im Strombereich zu gewährleisten. Warum die AEW, die zu 100 Prozent im Eigentum des Kantons Aargau ist, aber zum Beispiel die GA-Werkstatt übernehmen darf, die innovative Gebäudeautomation anbietet, ist für mich nicht nachvollziehbar. Damit finanzieren wir mit Steuergeldern eine Wettbewerbsverzerrung. Das darf nicht sein.

Als Unternehmer weiss ich, wie wichtig fairer Wettbewerb ist. Er spornt uns an, unsere Produkte stetig zu verbessern, unsere Abläufe effizient zu gestalten und das ­Optimum für unsere Kunden anzustreben. Die Studie, die der AGV und die AIHK in Auftrag gegeben haben, zeigt deutlich, dass Handlungsbedarf besteht. Bereits im April habe ich ausserdem im Grossen Rat einen Vorstoss eingereicht, der den Regierungsrat beauftragt, die gesetzliche Grundlage zu schaffen oder anzupassen, damit für jedes Unternehmen im kantonalen oder kommunalen Eigentum ein Zweckartikel eingeführt, Transparenzvorschriften erlassen und Compliance-Massnahmen ergriffen werden müssen. Die Vorschriften sollen bezwecken, Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche oder staatsnahe Betriebe zu verhindern oder einzudämmen. Der Regierungsrat hat die Motion abgelehnt und will sie in abgeschwächter Form als Postulat entgegennehmen. Ich hoffe, dass die Studie von AGV und AIHK jetzt zeigt, dass dringend Handlungsbedarf besteht.

Der Kanton Aargau ist nicht der einzige Kanton, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Im Kanton Bern wurde eine überparteiliche Motion zur «Eindämmung wettbewerbsverzerrender Konkurrenz durch Staatsbetriebe» von Parlamentarierinnen und Parlamentariern im Grossen Rat aus allen Lagern und Parteien unterstützt. Sie beauftragt den Regierungsrat, bei Unternehmen, an denen der Kanton beteiligt ist, für den Monopolbereich einen Zweckartikel einzuführen und aufzuzeigen, wie mehr Transparenz (Geldflüsse, Beteiligungen usw.) sichergestellt werden kann und welche Compliance-Massnahmen geeignet wären, um für mehr Transparenz zu sorgen.

Auch auf nationaler Ebene wird seit Jahren über gesetzliche Grundlagen diskutiert, die eine Wettbewerbsverzerrung durch Staatsunternehmen eindämmen. Nachdem der Bundesrat trotz zweier Motionen während eineinhalb Jahren lediglich über rechtlich kaum verbindliche Leitsätze im Bereich Corporate Governance diskutiert hatte, nahm das Parlament die Sache mittels einer parlamentarischen Initiative jetzt selbst in die Hand. Zurzeit ist die Initiative mit dem Titel «Klare Spielregeln für Bundesunternehmen im Wettbewerb mit Privaten» zur Beratung in den Kommissionen.

Es ist klar: Eine Teilprivatisierung für Bereiche von staatlichen Unternehmen, wie sie der AGV und die AIHK zur Diskussion stellen, ist für mich ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen dafür sorgen, dass auch künftig der Wettbewerb spielt und unsere privat geführten KMU faire Bedingungen auf dem Markt haben. Eine Konkurrenz durch Unternehmen, die mit Steuergeldern finanziert werden, ist wirtschaftsschädigend.

KONTRA

Mia Jenny, SP-Grossrätin, Obersiggenthal. (Bild: zVg)

Frontalangriff auf unsere Grundversorgung
Sehr oft haben wir im Alltag die Wahl zu konsumieren oder nicht: sei es eine neue Hose, Fahrradequipment oder eine hübsche Blumenvase. Das sind alles Güter, die wir nicht unbedingt zum Leben brauchen, aber sie machen das Leben schöner.

Und dann gibt es Dinge, die wir konsumieren müssen, um in unserer Gesellschaft zu bestehen: Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Energie und Bildung. Denn wir können nicht nicht wohnen, nicht immer gesund bleiben, wir benötigen Strom und Heizung, wenn es kalt ist. Die Unterscheidung zwischen Konsumgütern (Ersterem) und Grundversorgung (Letzterem) ist entscheidend. Damit wir alle eine sichere und qualitative Grundversorgung erhalten, ist es sinnvoll, diese zu garantieren. Das ist die Rolle des Staats, da er sich für die Interessen der Bevölkerung einsetzt und nicht für jene anderer Stakeholder.

Nun greift die AIHK diese sinnvolle Trennung frontal an. Ihre Studie ist Teil einer Agenda, die nicht das Wohl der Menschen, sondern in erster Linie die Privatisierungsgelüste der Reichsten ins Zentrum stellt. Nicht umsonst zitiert die Studie das Agieren von Margaret Thatcher, die in den 80er-Jahren in England im Akkord den Service public privatisieren liess. Die Konsequenzen dieser Politik sind heute deutlich sichtbar, zum Beispiel beim desolaten Zustand der britischen Eisenbahn.

Die AIHK fordert, dass der Kanton die (Teil-)Privatisierung von nicht weniger als zwei Kantonsspitälern, der Aargauischen Kantonalbank, der Aargauischen Energiewerke und der Axpo, der Aargauischen Gebäudeversicherung sowie der Aargauischen Pensionskasse in Betracht ziehen sollte. Das trotz der stabilen wirtschaftlichen Lage vieler dieser Einrichtungen und der regelmässigen Überprüfung der kantonalen Beteiligungen durch den Kanton. Es bleibt also die Frage: Welcher neoliberale Teufel reitet hier die AIHK?

Worum geht es der AIHK
Es geht der AIHK um Profit. Das zeigt sich bereits im von der AIHK eng gelegten Fokus der Studie. So wird rein aus dem Einmaleins des BWL-Lehrbuchs betrachtet, wie für die betreffenden Sektoren ein optimaler Wettbewerb stattfinden kann. Die zahlreichen Gründe für die kantonalen Beteiligungen werden ausgeklammert. Institutionen werden nur aus der Perspektive der Privatwirtschaft betrachtet, und diese hat logischerweise ein grosses Interesse daran, dass der Markt für alle geöffnet wird und dass nur die Günstigsten und Produktivsten Profit machen können. Sprich die Reichsten und Mächtigsten.

Wer bezahlt?
Im Gesundheitssektor beispielsweise würde eine Privatisierung der Spi­täler dazu führen, dass weniger rentable Behandlungen kaum mehr angeboten werden, selbst wenn sie benötigt werden. Bedienstete, Ärztinnen und Ärzte werden ausgedünnt, immer weniger Personal ist für mehr Patientinnen und Patienten zuständig. Das zeigt sich am Beispiel des Spitals Einsiedeln, wo mit der Privatisierung das Personal massiv reduziert wurde und die Arbeitsbedingungen für das verbleibende untragbar waren. Am Ende kündigten die Assistenzärztinnen und -ärzte kollektiv. Wie schädlich eine Privatisierung für die Arbeitnehmenden ist, zeigt selbst die Studie der AIHK. Zahlen zu Privatisierungen aus Brasilien belegen, dass die Beschäftigung um einen Fünftel sank und es Lohneinbussen von 26 Prozent gab. Auch in Schweden sind die negativen Folgen nach Privatisierungen klar: ­Beschäftigung und Löhne gingen deutlich zurück.

Privatisierungen nützen nur den Reichsten, denn sie können dann mit ihren Firmen das Angebot bestimmen und Profit abschöpfen. Auf der anderen Seite stehen die Bevölkerung und die Arbeitnehmenden als Verliererinnen und Verlierer. Diese Abschaffung von Sicherheit können wir nicht hin­nehmen.