Er kehrt sein Inneres nach aussen

Der 22-jährige Maler Noah di Bettschen mischt mit seinen ausdrucksstarken gesellschaftskritischen Bildern die Kunstszene auf.
Noah di Bettschen an der Vernissage zu seiner Ausstellung in der Badener Galerie Kunstwerkstube. (Bild: ub)

«Ich denke, also bin ich»: Würde man das berühmte Zitat von René Descartes auf den jungen Maler Noah di Bettschen münzen, müsste es lauten: «Ich male, also bin ich.» Der 22-jährige Künstler arbeitet wie ein Besessener und mit einer ungeheuren Produktivität an seinen grossformatigen Bildern. Diejenigen, die er bis zum 17. November in der Badener Galerie Kunstwerkstube zeigt, sind erst vor Kurzem entstanden. Der Autodidakt zeigt sich eigenwillig, ausdrucksstark und sehr talentiert. «Dabei dachte ich immer, dass ich gar nicht zeichnen und malen kann», gibt er offen zu. Als er 2021 damit anfing, war es für ihn wie eine Offenbarung. Nach einer mühseligen Schulzeit und verschiedenen Jobs, die ihn nicht erfüllten, fand der junge Kreative mit der Malerei nicht nur seine wahre Passion, sondern auch ein Ventil, um mit seiner Hypersensibilität umzugehen. In seiner Motivwahl nimmt er oft sozialkritische Themen auf und bringt sie ungeschönt auf die Leinwand. Die Besucherinnen und Besucher in der Galerie Kunstwerkstube werden nicht geschont. Ein Exponat von seinem einmonatigen Aufenthalt in Thailand vergangenen Februar zeigt die Schattenseiten des Urlaubsparadieses, wie er sie erlebt hat: Sextourismus, Prostitution, Gier, Überkonsum und Drogenhandel. Noah di Bettschen schaut dorthin, wo andere wegschauen. In Los Angeles porträtierte er Süchtige und Obdachlose und machte neben Bildern einen Film darüber. 

Wut und viele Fragen
Die menschliche Zerbrechlichkeit und das Thema Sucht begleiten Noah di Bettschen, seit er ein Kind ist. Sein Vater war schwer heroinabhängig und starb, als der Sohn fünf Jahre alt war. In Baden zeigt dieser jetzt ein Werk, das er ihm gewidmet hat. Markant sind die schier endlos fliessenden Textfragmente aus eigenen Gedanken und einer neurowissenschaftlichen Abhandlung über das menschliche Belohnungssystem im Gehirn, das bei Süchten ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Seine Jugend sei eine Achterbahnfahrt gewesen, erzählt er dem Publikum an der Vernissage. Geblieben sind Wut, Mitleid und viele offene Fragen. Trotzdem gewinnt er seinem Schicksal etwas Positives ab: «Ohne diese Vergangenheit wäre ich vielleicht nie Künstler geworden.»

Emotionales Chaos
Auf einer der Malereien ist der gekreuzigte Jesus zu sehen, darunter ein Selbstporträt. Im Zentrum dieses Werks steht die Selbstaufopferung, im extremen Fall bis zum Verlust des eigenen Lebens. Auch er opfere mit der Malerei einen Teil von sich – nämlich seine Intimität: «Ich kehre in meinen Bildern mein Innerstes nach aussen und gebe mein emotionales und gedankliches Chaos preis. Das macht mich angreifbar», sagt er. Neben den Selbstporträts gibt es seit einiger Zeit auf seinen Exponaten auch Freundin Anaïs Decan zu entdecken. Noah di Bettschen hat die Künstlerin in Paris kennengelernt, wo er vor seiner Rückkehr nach Zürich ein Jahr lang lebte. Für sie ist die Malerei ebenfalls ein Transportmittel für ihre Gefühlswelt, die sie aber eher verträumt, sanft und bisweilen melancholisch zum Ausdruck bringt.  

Shooting Star Noah di Bettschen stellt in Baden aus. Der erst 22-Jährige ist ein aufgehender Stern am Schweizer Kunsthimmel. (Bild: ub)

Kometenhafter Aufstieg
Mit seiner Kunst möchte Noah di Bettschen ein verstärktes Bewusstsein für die Feinheit menschlicher Emotionen schaffen und Menschen bewegen. «Meine Werke leben vor allem durch die Fantasie derjenigen, die sie betrachten», ist er überzeugt. Dass er zu berühren vermag, zeitigt sein Erfolg. Innert Kürze mutierte er zu einem wahren Star in der Kunstszene. Der über und über tätowierte Mann mit dem Engelsgesicht ist zurzeit ein Lieblingskind der Presse, das Schweizer Fernsehen drehte mehrere Beiträge über sein Schaffen. Seine Bilder waren unter anderem schon in New York, Paris und Venedig ausgestellt. Nach der Finissage in Baden bespielt er eine Galerie in München. Der Künstler ist dankbar, dass er mittlerweile von seiner Kunst leben kann, betont jedoch, dass es ihm nicht um Kommerz gehe. «Ich muss einfach malen, ob sich ein Bild verkauft oder nicht», meint er zum Schluss. 

Neues Art-Café
Gerade einmal fünf Monate ist es her, seit Kseniia Chudina und Yves Vollenweider ihre Galerie Kunstwerkstube an der Bäderstrasse 28 in Baden eröffnet haben. Mit Noah di Bettschen und Anaïs Decan präsentieren sie ihre fünfte Ausstellung. «Wir wollen Besucherinnen und Besuchern einen ungezwungenen Treffpunkt bieten und kein elitärer Kunstbetrieb sein», meinen die beiden zu ihrem Herzensprojekt. Seit Kurzem ist auch ein Art-Café integriert, in dem es sich in kreativer Atmosphäre zu Kuchenkreationen und Desserts made by Angelok entspannen lässt.

Die Ausstellung von Noah di Bettschen und Anaïs Decan kann noch heute und morgen, Donnerstag/Freitag von 9 bis 20 Uhr, besichtigt werden. Finissage ist am Sonntag, 17. November, 16 bis 20 Uhr.

kunstwerkstube.ch