Das Geschäftsreglement als Papiertiger?

Um die Beachtung des ­Geschäftsreglements des ­Einwohnerrats ist es in der Gemeinde Wettingen nicht ­besonders gut bestellt.
Elf Monate benötigte der Wettinger Gemeinderat, um eine Interpellation zum Thema Spezialzone Berg zu beantworten. Laut Geschäftsreglement des Einwohnerrats hätte er das innert sechs Monaten tun müssen. (Bild: bkr)

Das Thema Spezialzone Berg – die Schaffung einer baurechtlichen Möglichkeit, um mitten in der Lägern-Schutzzone einen Tiertherapiehof für Menschen mit Beeinträchtigungen zu betreiben und zu erweitern (die «Rundschau» berichtete) – bewegt in Wettingen die Gemüter noch immer. Erst sagte der Einwohnerrat Nein zu einer Entlassung der Fläche aus dem Korsett des Landschaftsschutzes, bevor sich die Bevölkerung in einer Referendumsabstimmung im März dieses Jahres für die Spezialzone aussprach. Derzeit ist gegen diesen Beschluss eine Beschwerde beim Regierungsrat hängig. Mit einem Entscheid wird erst nächstes Jahr gerechnet.

Langes Warten auf Antworten

Wie konnte sich hier in der Schutzzone überhaupt ein Therapiehof eta­blieren? Waren die in einem Zeitraum von 25 Jahren erstellten Bauten legal? Die Einwohnerratsmitglieder Manuela Ernst (GLP) und Daniel Notter (SVP) hatten bereits im Oktober 2023 in einer Interpellation entsprechende Fragen aufgeworfen. Antworten gab es erst auf die letzte Einwohnerratssitzung am 14. November. Manuela Ernst gab sich jedoch mit der «späten und oberflächlichen Antwort» nicht zufrieden. Was sie zudem feststellte: «Wir haben jetzt schwarz auf weiss, was wir immer vermuteten – es wurde ohne Bewilligung gebaut.» Auf eine Diskussion verzichtete die Einwohnerrätin.

Kaum waren alle Geschäfte der Sitzung abgearbeitet, ergriff Leo Scherer (Wettigrün) das Wort und stellte für die Behandlung der Interpellation einen Rückkommensantrag, dem der Rat mit 21 zu 20 Stimmen stattgab – leider ohne zuvor einen Blick ins Geschäftsreglement zu werfen. «In diesem steht», stellte Lutz Fischer (EVP), fest, «dass für ein Rückkommen eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist.» Die Sitzung wurde unterbrochen, und schliesslich wurde festgestellt, dass Fischer im Recht war. Dennoch erlaubte Einwohnerratspräsident Christian Oberholzer (SP) die beantragte Diskussion. In dieser massregelte Scherer den Gemeinderat. Die lange Bearbeitungszeit der Interpellation – das Geschäftsreglement gibt der Behörde maximal sechs Monate Zeit für ihre Antwort – zeuge «von einer schlechten politischen Kultur» und «von fehlendem Respekt gegenüber dem Einwohnerrat».

Dringlichkeit ohne Beschluss
Innert kurzer Zeit beantwortete der Gemeinderat hingegen einen dringlichen Vorstoss von Adrian Knaup (SP), und zwar noch vor der Einwohnerratssitzung an einer Medienorientierung. In dieser Interpellation ging es um die Verlegung von Glasfaserkabeln und die damit verbundenen Bauarbeiten, deren Ausführung die Gemüter erregt hat («Rundschau» vom 7. November). Dass die Anfrage ohne Beschluss des Einwohnerrats als dringlich traktandiert wurde, kritisierte niemand. Im Gegenteil: Es gab viel Lob und «Dankbarkeit» über die rasche Klärung. Der Gemeinderat habe die Wichtigkeit der Interpellation erkannt.

Vier weitere parlamentarische Vorstösse wurden entgegengenommen beziehungsweise überwiesen. Das einzige Geschäft des Gemeinderats war eine Orientierung über das neue Beleuchtungskonzept. Zurzeit schaltet Wettingen werktags seine Strassenbeleuchtungen zwischen 1 Uhr und 5 Uhr aus – auch auf den Kantonsstrassen. Das neue kantonale Strassengesetz schreibt aber vor, dass die Fussgängerstreifen der Kantonsstrassen durchgehend beleuchtet sein müssen. Dem lebt der Gemeinderat nach und rüstet gleichzeitig die Kandelaber bis Ende 2025 auf dimmbare LED um.