«Der Blues ist mein Fundament»

Der Berner Jungstar Lucky Wüthrich (28) tritt mit seinem zweiten Album «My Kind Of Music» am 19. Dezember im Badener Nordportal auf.
Lucky Wüthrich ist einer der wenigen Nachwuchs-Blueser der Schweiz. (Bild: rhö)

Lucky Wüthrich, wann haben Sie realisiert, dass der Blues Ihre Musik ist?
Ich war 13 Jahre alt, hatte vorher hauptsächlich Rockmusik gehört und den «Blues Brothers»-Film gesehen, als meine Gotte sagte, sie nähme mich mal ein richtiges Konzert mit. So sah ich, wie Philipp Fankhauser im Bierhübeli Shuffle Blues spielte, und wusste danach, dass Blues etwas sehr Magisches hat.

Trotzdem hat diese Musik hauptsächlich ein Ü50-Publikum. Auch bei einem Jungstar mit lausbubenhaftem Charme wie Sie?
Kürzlich kamen nach meinem Konzert am Jazzfestival in Zweisimmen zwei ältere Besucher auf mich zu und fragten, weshalb nicht mehr jüngere Leute auf Blues stehen würden. Leider ist es mir bisher noch nicht gelungen, die Barrieren zu sprengen. Auch deshalb habe ich mich auf meinem zweiten Album stilistisch geöffnet. Mein Ziel ist es, dass mir die älteren Fans erhalten bleiben und jüngere hinzukommen.

Welche Ihrer Idole leben noch, welche sind bereits im Blueshimmel?
Die klassischen alten Chicago-Blueser sind leider am Aussterben, aber es gibt junge Talente wie den Amerikaner Jontavious Willis, der schon mit Keb’ Mo’ und Taj Mahal spielte und bei mir zu Hause auf dem Balkon sass. (Lacht.)

Als Teenager entdeckte Lucky Wüthrich seine Liebe zur Musik. (Bild: zVg | Florian Spring)

Können Sie das ausführen?
Als er eine Woche lang in Marians Jazzroom auftrat, erkundigte er sich beim Veranstalter, ob es in Bern einen Blueser gebe, mit dem er mal jammen könnte, und bekam meine Telefonnummer.

Weshalb sind Sie vor sechs Jahren von Thun nach Bern gezogen?
Als ich 21 war und meinen Zivildienst absolviert hatte, wusste ich, dass ich nicht länger zu Hause wohnen und zum Studium an der Jazzschule in Bern pendeln wollte. Seither lebe ich in einer WG im Inselquartier. In dem Haus, in dem es noch weitere WG gibt, haben wir viel Platz und teilen uns einen Garten. Praktisch ist die Nähe zum Bahnhof, da ich viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin.

Wie würden Sie Ihre Art der Musik auf «My Kind Of Music» beschreiben?
Der Albumtitel ist der Rahmen, in dem ich mit einer vollen Farbpalette ein grosses Bild gemalt habe. Blues ist mein ganz tiefes Fundament, aber ich will experimentieren und andere Stile einbauen. Leute wie John Mayer, Marcus King, Gary Clark jr., die den Blues tief im Herzen tragen, sind ebenfalls unglaublich offen für andere Stilrichtungen und neue Einflüsse.

Wie ist die Gitarre zu Ihrem ­Instrument geworden?
Ursprünglich wollte ich Schlagzeuger werden, doch meine Mutter sagte immer, das käme gar nicht infrage, wir würden in einem Block leben. (Lacht.) Als ich dann Angus und Slash von AC/DC und Guns ’n’ Roses hörte, fand ich mich damit ab und begann, Gitarre zu spielen. Nun sind es bereits 18 Jahre, aber ich bin noch längst nicht dort, wo ich hinmöchte.

Ihr Gitarrenspiel verblüfft jedoch ebenso wie Ihre dunkle Stimme. Traut man die Ihnen überhaupt zu?
Ich hatte schon amüsante Erlebnisse. Wenn ein Techniker beim Soundcheck nicht glauben konnte, dass einer wie ich eine solche Stimme hat. Oder eine afroamerikanische Tänzerin, die bei einem Blueswork­shop im Nebenraum unterrichtete und ganz verblüfft war, als sie rüberkam und mich erblickte, weil sie dachte, ich sähe ganz anders aus. Das freut mich dann.

War Ihr Mentor Philipp Fankhauser in die Produktion des zweiten ­Albums involviert?
Er wäre wieder Co-Produzent gewesen und hätte es auf seinem Label herausgebracht. Aufgrund seiner Erkrankung und der notwendigen Operation musste er sich jedoch komplett herausnehmen, und ich musste mich neu organisieren. Ich habe die Songs dann zusammen mit Manuel Halter, dem musikalischen Leiter von Luca Hänni, in Ostermundigen produziert. 

Ihr viel gelobtes Debütalbum weckte hohe Erwartungen. Wie ­gingen Sie damit um?
Zuerst machte ich strategische Überlegungen: In welche Richtung will ich gehen, was für Songs will ich machen? Je länger, je mehr hat mich dieses Denken aber blockiert. Ich habe mich daraufhin für etwa zwei Monate zu Hause von der Aussenwelt abgeschottet, das Handy – mehr oder weniger – ausgeschaltet und war ganz für mich. So konnte ich in dieser schnelllebigen Zeit so tief in die Welt der Musik eintauchen, dass organisch ein Song nach dem anderen entstand.

Was meinen Sie mit «organisch»?
Ich habe, anders als beim ersten Album, für das ich noch mit zwei Songschreibern zusammengearbeitet hatte, einfach für mich Gitarre gespielt. Daraus entwickelten sich Musik und Text oft gleichzeitig. Wobei ich nicht sagen würde, ich mache Songs, sondern ich bin empfänglich für Inspiration.

Coverversionen findet man auf Ihrem Album keine einzige, obwohl sie im Blues fast die Regel sind.
Sie haben mich noch nie gross ­interessiert. Wer will schon die 3000. Fassung von «Sweet Home Chicago» hören? Selbst bei meinen Konzerten covere ich nur zwei Songs von Freddie King. Für mich reicht das.

Dafür legen Sie grossen Wert auf Ihre Bläser.
Ja, sie gehören zu den besten in der Schweiz. Allerdings sind es nicht «meine» Bläser, sondern – wie alle Musiker, mit denen ich arbeite – letztlich nur «gemietet». Ich würde gern mehr Konzerte mit ihnen geben, doch meistens liegt die grosse Besetzung finanziell nicht drin.

Besonders schön sind die souligen Balladen «I’ll Be Alright» und «Proud Of You», die nicht nur Schmerz ausdrücken, sondern auch Hoffnung.
Es ist lustig, dass die meisten Leute bei diesen Songs das Gefühl haben, alles wäre gut. Aber eigentlich sind das die traurigsten Geschichten dieses Albums. «Proud Of You» habe ich für einen guten Freund geschrieben, der in Kindertagen missbraucht wurde. Ich bin stolz darauf, dass er nach all den Jahren der Scham und der Ohnmacht endlich darüber reden konnte, was ihm angetan wurde. Bei «I’ll Be Alright» erzähle ich im Text, wie schön es ist, dass ich mich so sehr verliebt habe, aber im Refrain sage ich: «Wenn du mich nicht willst, sag es einfach. Dann bin ich weg und komme damit schon klar.» Darin liegt einiges an Schmerz.

Was ist aus dieser Liebe geworden?
Nur drei Songs. Ich habe mir später überlegt, weshalb ich diese unglückliche Verliebtheit erleben musste, und kam zu dem Schluss, dass ich eben Songmaterial gebraucht habe. (Grinst.) «I’ll Be Alright» handelt von den Gefühlen, wenn man sich verliebt, «Keep It On Ice» über die Zeit, wenn man warten muss, und «Able To Love» von der Frage, ob man je wieder fähig sein wird, jemanden zu lieben.­