Ein Stern am Brugger Künstlerhimmel

Heute vor 100 Jahren starb der 55-jährige Brugger Maler, Radierer und Bezirksschul­lehrer Emil Anner. Er war bescheiden, begabt und berühmt.
Emil Anner entfaltete in Brugg eine reiche künstlerische Tätigkeit. (Bild: zVg | STADTARCHIV BRUGG)

Emil Anners Hinschied im Kantonsspital Aarau am Freitagmorgen des 6. Februar 1925 überraschte selbst seine Freunde. Denn der Junggeselle hatte ihnen seine Krebskrankheit verschwiegen und nur einem, dem Redaktor des «Brugger Tagblattes», zehn Tage vorher angedeutet, er werde ihn eine Zeit lang nicht mehr sehen. Schon am Sonntag, 8. Februar 1925, läuteten die neu gegossenen Glocken der Stadtkirche, deren äussere Zier eines der letzten Werke Emil Anners war, zur Trauerfeier. Ganz Brugg nahm vom berühmten Maler, Radierer und begabten Musiker Abschied. Im Herbst 1925 würdigte die Stadt ihren Ehrenbürger nochmals mit einer Gedächtnisausstellung. Danach öffneten auch die Kunsthäuser Zürich und Bern dem Meister die Säle.

In München aufgeblüht
Emil Anners Talent fiel früh auf. Er soll zwar in Baden, wo er 1870 als Sohn von Stadtrat Anner, dem Erbauer des Restaurants Schloss Schartenfels, zur Welt kam, ein mittelmässiger Schüler gewesen sein. Aber nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule Zürich und der École des beaux arts in Genf bestand er die Prüfung zur Aufnahme an der Münchner Kunstakademie. Dort führte ihn der berühmte Kupferstecher Johann Leonhard Raab in die Geheimnisse der Radierkunst ein und ebnete seinen ersten Werken den Weg in die Öffentlichkeit. Die Münchner Kritik war vom jungen Künstler begeistert und verglich ihn bereits mit grossen Namen wie Karl Stauffer-Bern.

31-jährig kehrte Emil Anner in die Heimat zurück und wurde Zeichenlehrer an der Bezirksschule Brugg, an der er bis zum Tod unterrichtete. Hier begann nun seine eigentliche schöpferische Tätigkeit, die schliesslich ein Gesamtwerk von mehreren Hundert meist kleinformatigen Kompositionen umfasste. Die einheimische Landschaft bot ihm viele Inspirationen. Er vermochte mit seiner Beobachtungsgabe und Gestaltungskraft intimste Details der Natur wiederzugeben. Doch zurückgezogen, fast schüchtern und bescheiden, umgab ihn eine Aura von Weltentrücktheit. Allem Hastigen und in weitem Sinn «Zeitgemässen», wie den neumodischen Automobilen und Eilzügen, stand er skeptisch gegenüber. 

Doppeltes Talent
Aber in Emil Anners reichem Gefühlsleben hatte eine zweite Begabung Platz: das Musikalische. Er brachte sich im Selbststudium die Harmonie- und Kompositionslehre bei, spielte im Orchesterverein Brugg, sang im Männerchor Frohsinn und dirigierte zwischendurch die Stadtmusiken von ­Baden und Brugg. Fünf seiner Kompositionen wurden veröffentlicht. Die grösste war eine viersätzige f-Moll-Symphonie für grosses Orchester, Altsolo und Frauenchor, die am 21. Oktober 1923 unter der Leitung von Musiklehrer Ernst Broechin in Brugg uraufgeführt wurde.

Emil Anner hatte schon 1907 die Freilichtaufführung der «Braut von Messina» von Friedrich Schiller mit Hunderten von Mitwirkenden im Amphitheater Vindonissa geprägt. Er schuf das eindrückliche Bühnenbild
in Form eines Palastbaus, und nach seinen Anordnungen wurde ausserdem die Musik aus Opern und Oratorien von Gluck und Händel zusam­mengestellt. Die Inszenierung fand schweizweite Beachtung. Der Hauptteil des Reingewinns wurde der Gesellschaft Pro Vindonissa für den Gründungsfonds des Vindonissa-Museums überlassen und ein Teil für
die nach Emil Anners Plänen ausgeführte Pflanzung der Pappelreihe rund um die Arena verwendet. Dem kulturellen Ereignis folgte aber noch ein Nachspiel, wobei sich der sonst ­zurückhaltende Künstler in ungewohnter Weise exponierte.

Von Vindonissa angetan
«Messina»-Bühnenbildner Emil Anner, noch immer von der Wucht der Arena angetan, empfahl am 3. September 1908 im «Brugger Tagblatt», das geplante Vindonissa-Museum am Osteingang des Amphitheaters zu platzieren – in Windisch, auf dem Boden von Vindonissa, wo in nächster Nähe schon viele antike Funde gemacht wurden. «Da wäre alles beisammen», argumentierte er. Doch der Vorstand der Gesellschaft Pro Vindonissa hatte bereits den alten Garten beim Privathaus des früheren «Rothaus»-Wirts Schilplin, gegenüber dem Eisi, als Bauplatz ins Auge gefasst und den mit Brugg verbundenen Architekten Albert Frölich mit einem Entwurf beauftragt.

Samuel Heuberger, Rektor der Bezirksschule Brugg, promovierter Historiker und Präsident der Gesellschaft Pro Vindonissa, widersprach seinem Bezirkslehrerkollegen Emil Anner schon anderntags im «Tagblatt». Die Vindonissa-Gesellschaft habe ihre Hauptstärke in der Bewohnerschaft von Brugg, und der Stadtrat halte seinen versprochenen Beitrag von 10 000 Franken an den Museumsbau wohl kaum aufrecht, wenn der Neubau in Windisch zu stehen käme. Emil Anner verteidigte in der folgenden Ausgabe des Lokalblatts seine Haltung und legte sogar eine eigene Museumsskizze vor. Damit fand er bei den «Aargauer Nachrichten», dem «Aargauer Tagblatt» und sogar beim «Bund» in Bern Verständnis.

Polemik mit Lokalkolorit
Auch die «Schweizer Freie Presse» in Emil Anners Jugendstadt Baden frotzelte, «wie mächtig sind alleweil noch die kleinlichen Interessen der lokalen Bannmeile gegenüber jeder grosszügigen Initiative!». Man werde nach einigen Dezennien kaum begreifen können, «dass dem römischen Vindonissa alle Federn ausgerupft wurden, um sie in einem braven Stadtmuseum in Brugg aufzuspeichern». Obwohl sogar Architekt Albert Frölich andeutete, dass seine Pläne auf Windischer Boden umsetzbar wären, liess sich der Pro-Vindonissa-Vorstand nicht mehr umstimmen. Die Kontroverse war indessen bald vergessen, auf beiden ­Seiten blieben keine Animositäten bestehen.

Umso mehr löste Emil Anners Hinschied Betroffenheit aus. Er wurde auf dem Friedhof Brugg beigesetzt. Das Brugger Stadtmuseum besitzt eine wertvolle Sammlung von Anner-Radierungen, die ihm von Pfarrer ­Viktor Jahn geschenkt wurde.