«Man muss über sich selbst lachen können»

Der Badener Komödiant Erich Vock (62) geht nach der 525. Vorstellung in seiner Rolle als Bauer Heiri in der «Kleinen Niederdorfoper» in Pension.
Erich Vock geht nach seinem letzten Auftritt am 9. Februar in den Ruhestand. (Bild: zVg | Christian Lanz)

Erich Vock, was freut Sie, wenn Sie daran denken, dass Sie am 9. Februar zum letzten Mal auf der Bühne stehen?
Es ist ein riesiges Geschenk, dass ich auf einem Höhepunkt meiner Karriere abtreten kann. Wir hatten schon seit dem 24. Oktober eine Auslastung von 99 Prozent, aber seit dem 22. Dezember sind alle Vorstellungen der «Kleinen Niederdorfoper» ausverkauft.

Fällt Ihnen der Abschied nicht schwer?
Obwohl es oft verdrängt wird, ist das Aufhören ein Lebensthema. Das Leben dauert nun mal nur eine gewisse Zeit. Wir wissen nicht wie lang. Natürlich, wenn mir jetzt jemand garantieren könnte, dass ich 92 werde und bis über 90 bei bester Gesundheit bleibe, würde ich vielleicht bis 72 weitermachen. Weil das niemand kann, lege ich mein Korsett aber jetzt ab.

Hat Ihre Arbeit Sie beengt?
Ich bin ja nicht nur ein Schauspieler, der erst um 18 Uhr ins Theater geht, sondern produziere die Stücke gemeinsam mit meinem Mann Hubert Spiess. So haben unsere Arbeitstage meistens 13, 14 Stunden gedauert. Nun freue ich mich darauf, dass wir bald spontan auf den Uetliberg gehen oder ins Urnerland fahren können, wenn das Wetter schön ist.

Was bewog Sie vor 30 Jahren, sich selbstständig zu machen? 
Ich habe eine klassische Ausbildung an der Zürcher Schauspielakademie absolviert und in Deutschland gespielt, wollte aber Dialekt-Boulevardtheater spielen. Als ich am Bernhard-Theater, der Wiege dieses Genres, engagiert war, sah ich, dass die Zustände katastrophal waren. Auf der Bühne machte jeder, was er wollte. Mir wurde klar, dass ich das nur ändern kann, wenn ich die Stücke selbst produziere und Regie führe. Der einflussreiche und langjährige Direktor des Bernhard-Theaters, Eynar Gra­bowsky, schied 1995 aus dem Leben. In unserem letzten Gespräch war davon die Rede, dass ich selbst produzieren möchte. Das Boulevardtheater wäre etwas verstaubt und befinde sich in einem sanften Sinkflug.

Können Sie ein Beispiel machen?
Es war nötig, dass wir den höheren optischen Ansprüchen des Publikums, was Kostüme und Bühnenbild betrifft, gerecht wurden. Mit den zusammenklappbaren Kulissen, die das traditionelle Tourneetheater erfordert hatte, waren die Leute – und wir ebenfalls – nicht mehr zufrieden. 

Vom TV-Publikum haben Sie sich in «Happy Day» verabschiedet. Wie emotional war das? 
Sehr. Röbi Koller und sein Team haben meinen TV-Abschied wunderschön gestaltet. In den Nullerjahren spielte das Fernsehen eine sehr wichtige Rolle in meiner Laufbahn. Als ich meinem Manager Rico Fischer kürzlich sagte, dass wir mit unseren Bühnenproduktionen 1,4 Millionen Menschen erreicht hätten, dachte ich: Wahnsinn, «Benissimo» erreichte das manchmal auf einen Chlapf! Natürlich ist es nicht wirklich vergleichbar, da das TV-Publikum keine Tickets kaufen musste, aber die Dimensionen, in denen wir uns auch mit der Sitcom «Fertig lustig» bewegten, waren eindrücklich.

Wie wurde der frühere Gitarrist der Wettinger Band Jungletown Ihr Manager?
Hubert und ich fragten ihn, nachdem wir ihn kennengelernt hatten, als er vor 25 Jahren die PR für den Kinofilm «Das Fähnlein der sieben Aufrechten» machte. Seither arbeiten wir zusammen, ohne Vertrag, nur per Handschlag.

Haben Sie Erinnerungen an die Zeit, als Sie mit Ihren Produktionen noch in Baden gastierten?
Das Kurtheater ist für mich eines der schönsten Theater, um Boulevard zu spielen, da der Höhenunterschied zwischen Bühne und Publikum sehr gering ist, wenn man mit bestuhltem Orchestergraben spielt. Es ist toll, wie man die Pointen auf dieser Bühne abschiessen kann und sie sanft in den Zuschauerraum gleiten. Ausserdem habe ich mich als kleiner Bub in diesem Theater in meinen Beruf verliebt. Ich glaube, man könnte mir die Augen zubinden, und ich würde es am Geruch erkennen.

Gab es einen denkwürdigen ­Moment, den Sie dort erlebt haben?
Sicher die Premiere des Stücks «Alles erfunden!», das Charles Lewinsky für mich geschrieben hat. Die Probezeit war nicht so schön, sogar im Ensemble wurde geunkt, ob das Stück wirklich ankommen würde. Und dann haben die Leute so gelacht, dass es fast die Decke «gelupft» hat. Nach dem letzten Vorhang sind uns Hubert und ich in die Arme gefallen, voller Glück und Erleichterung.

Der in Baden aufgewachsene Schauspieler, Regisseur und Produzent Erich Vock beendet seine Bühnenkarriere. (Bild: zVg | Christian Lanz)

Wie war Ihre Kindheit?
Ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Meine Mutter war Putzfrau, mein Vater Chauffeur, aber wir hatten immer alles, was wir brauchten. Drei von uns vier Kindern studierten, und zwar ohne Stipendien.

Wie gingen Ihre Eltern damit um, als sie merkten, dass ihr Sohn schwul ist?
Ich habe es ihnen lang nicht gesagt, und dann meinte meine Mutter: «Du bist nicht der Erste und wirst nicht der Letzte sein.»

Sie hatte es wohl längst gespürt.
Natürlich, aber es zeugte von ihrem Gespür, weil es besser ist, abzuwarten, bis ich das Bedürfnis und die Kraft hatte, es ihr zu sagen.

Reagierte Ihr übriges Umfeld auch so fortschrittlich?
Nein, die Pubertät war schrecklich. Weil ich nicht gern Fussball spielte und andere Dinge tat, die Buben in meinem Alter machen, und den Druck spürte, mich gegenüber meiner Umwelt, insbesondere meinen Mitschülern, zu erklären, flüchtete ich mich in eine Gegenwelt, das Theater, und lernte, viele Dinge mit Humor zu nehmen. Ich finde es wichtig, dass man über sich selbst lachen kann, und bin mir bewusst, dass mein Schwulsein auch eine komische Note hat.

Wie weit darf man gehen, wenn man sich über andere lustig macht?
Es geht nicht darum, sich lustig zu machen. Sondern das Komische zu benennen und lachen zu können. Ich finde es eine falsche Entwicklung, wenn wir uns vor allem Möglichen zu schützen versuchen. Woran sollen wir wachsen, wenn wir nicht mit Verletzungen umgehen müssen? Ausserdem dürften wir Molière und Goldoni nicht mehr spielen und keine «Niederdorfoper», wo das Publikum sich vor Lachen biegt, wenn es Heiri am Ende schlecht geht.

Was saugen Sie bei den letzten Vorstellungen nochmal ganz ­bewusst auf?
Die Interaktion mit dem Publikum hat mir immer am meisten Freude gemacht. Ich frage mich schon vorher, wie der Abend wird. Aufgedreht oder etwas langsamer? Wenn ich dann auf die Bühne gehe, nehme ich genau wahr, wie die Leute auf die ersten Pointen, Gesten und Bewegungen reagieren, und passe mein Tempo an. Bei einer Komödie ist das Publikum der Dirigent.

Sie feiern gern Feste. Was ist nach Ihrer Dernière geplant?
Im Bernhard-Theater wird es in einem intimen Rahmen etwas zu trinken und zu essen geben, und natürlich werden Tränen fliessen. Das grosse Abschiedsfest, auf das ich mich irrsinnig freue, findet tags darauf statt. Wir haben 330 Leute eingeladen, die uns alle auf dem langen Weg begleiteten, den Hubert und ich gegangen sind.

Und danach geht es in die ­Ferien?
Nein, zuerst lösen wir unsere Probebühne und unser Büro auf. Das Büro ist voller Akten, und im Fundus haben wir alle möglichen Kostüme und Requisiten, von denen wir nur die wenigsten behalten werden. Erst wenn wir am 28. Februar die Schlüssel abgegeben haben, gehen wir in unser Haus nach Andalusien.

Wissen Sie bereits, wovon Sie sich nicht trennen können?
Ja, natürlich, das Heiri-Kostüm werde ich behalten. Die Schuhe, die ich 525 Mal getragen habe, den Hut und den «Tschoope».