Grosskonzern auf Ortsbürgerland

An einer ausserordentlichen Versammlung entscheidet die Ortsbürgergemeinde darüber, 100 000 Quadratmeter Land im Baurecht abzugeben.
Auf zwei Parzellen östlich des Tägi soll ein internationaler Konzern angesiedelt werden. (Bild: zVg)

Wettingen – Für einmal konnte Gemeindeammann Roland Kuster anlässlich der Medienorientierung über Erfreuliches berichten. Der Gemeinderat Wettingen arbeitet derzeit, in enger Abstimmung mit der kantonalen Standortförderung, an der möglichen Ansiedlung eines internationalen Industrieunternehmens in Wettingen, das bereits an anderen Standorten in der Schweiz ­tätig ist. «Nach der Umsetzung eines Bauvolumens von mehreren Hundert Millionen Franken sollen ab 2030 bis 2040 etwa 3000 Mitarbeitende ihren Arbeitsplatz in Wettingen erhalten. Neben Engineering, Produktion und Logistik sollen Verwaltungsfunktionen in Wettingen angesiedelt ­werden», so Roland Kuster. Das Unternehmen prüft gegenwärtig verschiedene Standortoptionen. Der Gemeinderat hat deshalb eine Vereinbarung unterzeichnet, dass er den Namen der Unternehmung, auch gegenüber der Ortsbürgergemeinde, nicht veröffentlichen darf. Auf Nachfrage bestätigt Roland Kuster aber, dass es sich nicht um ein Chemieunternehmen handle.

Umfangreiche Planungsarbeiten
Für die Umsetzung der Ansiedlungspläne sollen in zwei Etappen Flächen von gesamthaft 100 000 Quadratmeter zur Verfügung gestellt werden. Die beiden betroffenen Parzellen befinden sich östlich der Freizeit-, Sport- und Eventanlage Tägi sowie südlich der Bahnlinie und sind im Besitz der Ortsbürgergemeinde. Zurzeit sind die in Betracht fallenden Flächen Landwirtschaftsland und werden von fünf Landwirten bewirtschaftet. Für die Realisierung einer Arbeitszone Tägerhardächer wären diverse planerische Arbeiten erforderlich, wie zum Beispiel eine Anpassung des kantonalen Richtplans, des regionalen Sachplans Sulperg-Rüsler und der kommunalen Nutzungsplanung. «Eine Berücksichtigung der Einzonung dieser beiden Parzellen in der aktuellen Gesamtrevision der Bau- und Nutzungsordnung (BNO) ist nicht mehr möglich, da der Prozess und die Planungsarbeiten weit fortgeschritten sind. Das erfordert für die Realisierung einer Arbeitszone eine separate Teilrevision», so Roland Kuster weiter.

Tägi könnte Dienste anbieten
Weil schon vor den Ansiedelungsplänen eine S-Bahn-Haltestelle Tägerhard in die Verkehrsplanung aufgenommen wurde und die Erschliessung des Firmenstandorts hauptsächlich von der Autobahn erfolgen soll, dürfte das Siedlungsgebiet von Wettingen von dem zu erwartenden Mehrverkehr durch die zusätzlichen Arbeitsplätze nur wenig belastet werden. Zu bedenken ist aber, dass die Freigabe der Zirkuswiese als Schulstandort Margeläcker das Parkplatzangebot für Messen und andere Anlässe im Tägi reduzieren wird. Hingegen könnte das Tägi im Freizeitbereich potenziell zulegen und seine Dienste als Gastgeber für diverse Events und Veranstaltungen wie Firmen- und Kundenanlässe anbieten.
Die in unmittelbarer Nachbarschaft liegende Kies- und Betonverarbeitung soll von dem Bauvorhaben betrieblich nicht beeinträchtigt werden. Es ist vorgesehen, dass der Aushub und die damit verbundene Kiesverwertung von der Tägerhard Kies AG gemacht werden. Zudem gilt es zu vereinbaren, dass der nötige Beton für die verschiedenen Gebäude zu ortsüblichen Bedingungen geliefert wird. Der Kiesabbau, der im Rahmen des Aushubs anstünde, wäre ohne Richtplananpassung sofort möglich. Ein weiterer Kiesabbau auf eine Tiefe bis zu 35 Meter wäre aber erst nach Ende des Baurechts möglich. Deshalb richtet die Ortsbürgergemeinde für die bereits geleistete Anzahlung der Kieswerk Tägerhard AG eine Entschädigung aus.
Sollte das Projekt realisiert werden, verlören fünf Landwirte ihr Pacht- und Fruchtfolgeland. Das wäre allerdings auch bei einem späteren Kiesabbau der Fall gewesen, durch den das Land für längere Zeit nicht mehr als Produktionsfläche zur Verfügung gestanden hätte. Lediglich auf der Unteren Geisswies wäre eine landwirtschaftliche Nutzung weiterhin möglich gewesen.

Finanzielle Perspektiven
«Aktuelle Berechnungen deuten darauf hin, dass die Einwohnergemeinde Wettingen von Unternehmenssteuererträgen in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags pro Jahr profitieren könnte. Das würde derzeit mehr als 20 Steuerprozent entsprechen und käme einer signifikanten Entlastung der finanziell angespannten Situation in Wettingen gleich. Mittelfristig könnten diese Einnahmen sogar zum Schuldenabbau beitragen», so Roland Kuster. Ebenfalls könnte die Ortsbürgergemeinde über die Laufzeit des Baurechts erhebliche Baurechtszinsen vereinnahmen und ihre angestammten Aufgaben zum Wohl der Bewohnenden von Wettingen weiterhin wahrnehmen. Da der Gemeinderat, die Ortsbürgerkommission und die ­Finanzkommission das Geschäft befürworten, ist für den 22. April eine ausserordentliche Ortsbürgergemeindeversammlung im Tägi angekündigt.