Spreitenbach – Marianne Scherer aus Spreitenbach ist eine digitale Nomadin. Vor mehr als 25 Jahren hat die Wirtschaftsinformatikerin ihre Ein-Frau-GmbH gegründet. Da der 57-Jährigen eine gute Work-Travel-Balance wichtig war, hat sie es stets irgendwie geschafft, bis zu zwölf Wochen im Jahr zu reisen, dabei ihre Projektarbeiten nicht zu vernachlässigen und ihre Karriere voranzutreiben.
«Seit zwei Jahren steht das Reisen im Vordergrund, und ich bin während ungefähr neun Monaten im Jahr zusammen mit meinem Partner im Campervan unterwegs und kann remote arbeiten», berichtet Marianne Scherer. Im Sommer zieht es die beiden Richtung Norden, im Winter in südlichere Gefilde. Dazwischen besucht sie Freunde in aller Welt oder geht in tropischen Gewässern tauchen. «Nur zwei Mal im Jahr bin ich für einige Wochen in meiner ‹Homebase› in der Schweiz in Spreitenbach.» Dort ist sie auch gemeldet und zahlt Steuern. Sie wohnt in einem günstigen Zimmer und kann so auf kleinstem Raum leben und arbeiten.
Hauptsache Internet
Marianne Scherer hat ihre beruflichen Tätigkeiten mittlerweile mehrheitlich in den Bildungsbereich verlagert und kann mit ihrer Ausrüstung überall arbeiten. Ihre ständigen Begleiter sind ein Mobiltelefon und ein Laptop. Mit ihrer Kundschaft kommuniziert sie online, physische Präsenz ist nicht erforderlich. «Ich liebe es, morgens mit Blick aufs Wasser aufzuwachen und meinen Tagesrhythmus vom Wetter abhängig zu machen. Bei Regen viel arbeiten, bei Sonnenschein draussen sein. Und dazu natürlich das Entdecken von tollen Landschaften, spannenden Städten und fremden Kulturen.» Nervig seien höchstens Infrastrukturprobleme mit dem Campervan, zum Beispiel bei der Stromversorgung, oder Verspätungen bei Flugreisen. Diese könnten zwar zum Arbeiten genutzt werden, aber wenn dann noch Jetlag hinzukomme, sinke die Produktivität auf null.
Weltweit hat die Spreitenbacherin in den letzten 25 Jahren die meisten bekannten Tauchspots abgeklappert. Mit dem Campervan bereiste sie das sommerliche Schweden, Norwegen, Dänemark, Schottland sowie England und im Winter Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Griechenland und zahlreiche Länder auf dem Balkan. Geplant sind als Nächstes Erkundungsreisen ins Baltikum und nach Finnland. Ein Trip nach Saudi-Arabien ist ebenfalls angedacht – dann aber mit dem Flugzeug.
Leben im Kastenwagen
«Auf den Reisen im Campervan sind wir zu zweit in einem 6-Meter-Kastenwagen unterwegs. Das Fahrzeug ist für grösstmögliche Autarkie ausgerüstet, mit Solarzellen auf dem Dach, Lithiumbatterien, Komposttoilette, Frisch- und Abwassertank. Daneben machen wir häufig Cat- oder House-Sitting und wohnen dann für einige Tage oder Wochen in Häusern von Menschen, die von uns ihre Katzen betreuen lassen. Bei Reisen ohne Campervan wohne ich bei Freunden, in Ferienwohnungen oder Hotels.»
Familie, Freunde und Kollegen hätten durchweg positiv reagiert, als sie von ihren abenteuerlichen Reiseplänen erzählt habe und dass sie künftig mehrheitlich ganzjährig unterwegs sein werde. «Viele freuen sich heute über die täglichen Fotos von unterwegs», verrät Marianne Scherer. Aber auch sie müsse akzeptieren, dass sich ihr Freundeskreis verändert habe, unterwegs verbringe man schliesslich automatisch mehr Zeit mit gleichgesinnten Reisenden. Heimweh kennt Marianne Scherer nicht, und bis anhin hatte sie auf Reisen nur ein unschönes Erlebnis in Ecuador. «Ich hatte einen blöden Unfall, ansonsten hatte ich abgesehen von kleineren Wehwehchen keine gesundheitlichen Herausforderungen. Ich lege aber viel Wert auf die Gesundheitsvorsorge und gehe, wenn ich in Spreitenbach bin, regelmässig zum Zahnarzt.»
Netzwerk Schweizer Nomaden
Marianne Scherer ist Mitglied im Verein Digitale Nomaden Schweiz. Es sei immer gut, sich mit Gleichgesinnten zu verbinden und im Austausch zu stehen, begründet sie ihren Beitritt zum Verein. Das Spannende sei, zu sehen, wie unterschiedlich die digitalen Nomaden unterwegs seien. Typische digitale Nomaden gebe es nicht, alle hätten eine individuelle Ausgangslage und eine ganz eigene Art zu reisen und zu arbeiten.
Ausserdem gebe es bei den Vereinsanlässen immer wieder inspirierende Inputs, und in den Foren könne man auf den Erfahrungsschatz der Community oder des Netzwerks zurückgreifen. «Oft haben digitale Nomaden einen minimalistischen Lebensstil, da sie nicht viel Gepäck mit sich führen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Das ist ziemlich praktisch. Und der Trend des digitalen Nomadentums wächst, da mehr Menschen die Vorteile eines ortsunabhängigen Lebensstils erkennen. Mit der zunehmenden Verbreitung von Remote-Arbeit und digitalen Technologien wird erwartet, dass dieser Trend weiter an Bedeutung gewinnt», erklärt Lorenz Ramseyer, Präsident des Vereins Digitale Nomaden Schweiz.
Der Verein wurde 2016 von acht Personen gegründet, leistet Öffentlichkeitsarbeit und fungiert als Interessenvertretung der digitalen Nomaden in der Schweiz.