«Ich war ein totaler Workaholic»

Raimund Pepe hat in Kolumbien und in den USA gearbeitet. Der «Brotmann» vom Wettinger Märt blickt auf ­bewegte Jahre zurück.
Schweizer Backkunst im Amazonas. (Bild: mk)

Windisch – Seit März steht Raimund Pepe freitags wieder hinter seinem Stand am Rathausmarkt, wo einen allerlei Brote und lecker-deftige Süsswaren anlachen. Den Winter hat er wie immer auf Reisen verbracht. «Diesmal waren es nur zwei Monate: Sri Lanka, die Malediven, Goa und ein paar Tage Oman, Dubai und Abu Dhabi. Es war die kürzeste Reise seit sechs Jahren», sagt der 56-Jährige. Als selbstständiger Bäcker-Konditor kann er seine berufliche Leidenschaft mit dem Fernweh in Einklang bringen.
Welchen Beruf er lernen würde, war für Pepe früh klar. «Wenn meine Mutter keine Zeit für mich hatte, spielte ich auf dem Estrich mit Küchenutensilien.» Ab 11 Jahren buk er mit seinem Bruder Kuchen für die grossen Spaghettiessen, die sein italienischer Vater veranstaltete. Mit 15 Jahren fing er als Bäckerlehrling in Dietikon an. Schon bald nach der Ausbildung zog es ihn in die Ferne.

Auf nach Übersee
Über ein Inserat in der Bäckerzeitung fand er mit 19 Jahren eine Stelle in den USA. Dort erlebte er Filmreifes: zum Beispiel einen cholerischen Chef, der Besteckschubladen in die Backstube warf oder Torten an die Wand knallte. Oder einen Job als Grillmeister in einem Edelrestaurant, «obwohl ich vom Grillieren keine Ahnung hatte und manchmal Blut schwitzte». Dann packte ihn das Reisefieber: Mit einem Kollegen war er ein Jahr lang mit einem Auto in Asien unterwegs, später verschlug es ihn wieder auf den amerikanischen Kontinent. Während zehn Jahren wechselten sich temporäre Jobs in der Schweiz mit längeren Aufenthalten in Zentral- und Südamerika ab.
«Im Bundesstaat Amazonas in Kolumbien blieb ich hängen», erzählt Pepe. «Ich hatte das Gefühl, dort hinzugehören.» Er lernte seine zukünftige Frau Zoraida kennen, die indigener Abstammung war und ihn viel über den Urwald lehrte. Mitten im Dschungel erstand er als 23-Jähriger für knapp 600 Dollar sechs Hektaren Land, wo er eine bescheidene Hütte errichtete. «Die Finca hatte der Drogenmafia einst als Landebahn gedient, und nach wie vor stiefelten dort Guerilleros herum», erinnert er sich. Es war die Zeit, als Drogenbaron ­Pablo Escobar gejagt wurde und die Kriminalität blühte. «Busse wurden in die Luft gesprengt, und ich habe gesehen, wie Leute erschossen wurden», sagt Pepe mit einem Schaudern.

Zerschlagene Hoffnungen
Als seine Freundin schwanger wurde, siedelten die beiden zunächst in die Stadt um, später holte er seine Familie in die Schweiz, wo zwei weitere Söhne geboren wurden. Dann zog es ihn erneut in die USA, diesmal samt Frau und Kindern: Im Jahr 2000 eröffnete er eine Bäckerei in Albuquerque (New Mexico). Zunächst legte er einen Senkrechtstart hin: Innert eines Jahres eröffnete er eine Filiale und belieferte Restaurants,
Firmen und eine Warenhauskette.
Nach den 9/11-Anschlägen 2001 brach das Geschäft ein, und er wollte die Filiale schliessen. «Da bekam ich ein Fax mit 150 Unterschriften von Leuten, die sagten: ‹Bitte bleib!›», berichtet Pepe. Er biss sich durch und ergriff die Flucht nach vorn, indem er ein Café-Restaurant vis-à-vis der Universität eröffnete. Tische und Stühle zimmerte er selbst aus Abfallholz, das bei der Fassadenerneuerung in seiner Stammbäckerei angefallen war. «Von 18 Uhr bis Sonnenuntergang schreinerte ich», sagt der Bäcker. «Ich war ein totaler Workaholic.» Sein Fleiss sollte nicht belohnt werden: Das Café rentierte nicht, und weil es an der gefährlichsten Strasse der Stadt lag, wurde es mit gezückter Pistole überfallen. Nach sieben Monaten schloss Pepe das Lokal.

An seinem Stand am Rathausmärt bietet Raimund Pepe von süss bis salzig alles an, was das Herz begehrt. (Bild: mk)

Neubeginn in der Schweiz
Eine schwere Zeit folgte: Die Trennung von seiner Frau kostete die ganze Familie enorm Kraft, später erkrankte Zoraida schwer an Lupus. 2008 erlag sie der Autoimmunkrankheit. 2012 verkaufte Pepe seine Bäckerei in Albuquerque und bot seine Ware an Märkten feil. Schliesslich unternahm er eine längere Reise mit seinen Söhnen und kehrte in die Schweiz zurück. Nach einigen Jahren machte er sich auch hier selbstständig. Seither bereichert er den Wettinger Märt mit seinen Leckereien.
Er selbst kann das meiste, was er anbietet, nicht mehr essen. Wegen Hautrötungen und Juckreiz liess er sich untersuchen und erhielt die Diagnose Kasein-Unverträglichkeit und Fruktose-Malabsorption. Er muss also Milchprotein und Fruchtzucker meiden, zudem verzichtet er auf Kristallzucker und Gluten. «Meine Symptome sind verschwunden, und der ganze Körper profitiert», sagt Pepe. Deswegen führt er jetzt auch zuckerfreie Cookies und glutenfreies Brot. Auf seine Reisen nimmt er einen Pfannenofen mit, damit er überall sein Spezialbrot backen kann. Spätestens im Winter bricht er wieder für ein paar Monate auf.