Aufbegehren der alten Ordnung

Ende Mai 2026 feiern die Kirchgemeinden das 500-Jahr-Jubiläum der Badener Disputation, einem Streitgespräch, das bis heute nachwirkt.
Ab sofort soll die Kunde der «Disput(N)ation» in alle Welt getragen werden. (Bild: sim)

Baden – Anlässlich der eidgenössischen Tagsatzung in Baden im Frühling 1526 debattierten die katholischen und die reformierten Orte über die Kirchenreform, die im Jahr zuvor in Zürich beschlossen worden war. Die Streitgespräche von führenden weltlichen und geistlichen Vertretern ebneten der Reformation in Basel und Bern den Weg. Die weitreichenden konfessionellen Folgen der Badener Disputation sollen im Mai 2026 – anlässlich des 500-Jahr-Jubiläums – als «Disput(N)ation» gebührend gefeiert werden. Mit dem zusätzlichen «N» im Namen soll verdeutlicht werden, dass die Disputation von 1526 nicht nur ein Badener Ereignis war, sondern im gesamten Gebiet der damaligen Eidgenossenschaft sowie in angrenzenden Gebieten Auswirkungen hatte.
Die Projektleitung unter Federführung der Reformierten Kirche Baden plus und der Katholischen Kirchgemeinde Baden-Ennetbaden plant für nächstes Jahr zahlreiche kirchliche, kulturelle, wissenschaftliche und partizipative Veranstaltungen, um die Badener Disputation wieder stärker im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern und dieses bedeutende religiöse und politische Ereignis gebührend zu feiern. Unter anderem sollen im Kirchenschatzmuseum in der Stadtkirche Originaldokumente von anno dazumal ausgestellt werden. Im Rahmen des Bluesfestivals Baden findet an Pfingsten ein ökumenischer Gottesdienst statt. «Das hätte man sich in Baden vor 500 Jahren wohl nicht einmal im Traum vorstellen können», meint Claudio Tomassini, Pfarrer der Katholischen Kirchgemeinde Baden-Ennetbaden.

Streitgespräch mit Schlagseite
Doch was war die Badener Disputation überhaupt? Unter einer Disputation verstand man damals ein Streitgespräch, bei dem ein Sachverhalt von Vertretern mit entgegengesetzten Ansichten verhandelt wurde. Die Badener Disputation fand vom 19. Mai bis 8. Juni 1526 in der Stadtpfarrkirche im Baden statt und war ein bedeutendes Streitgespräch zwischen Vertretern der altgläubigen – heute katholischen – Kirche und der neugläubigen Kirche, also Anhängern der Reformation. Etwa 200 Teilnehmer waren an der von der Tagsatzung einberufenen Disputation zugegen, die als Versuch diente, den Zürcher Reformator Huldrych Zwingli zum Schweigen zu bringen und die Glaubenseinheit der alten Eidgenossenschaft zu bewahren. Trotz einer Zusage des freien Geleits wurde Zwingli vom Zürcher Stadtrat verboten, persönlich zu erscheinen, weil um seine Sicherheit gefürchtet wurde. So standen sich vor allem Johannes Eck auf der altgläubigen Seite und Johannes Oecolampadius sowie Berchtold Haller auf der reformatorischen Seite gegenüber.
Die Disputation, die in deutscher Sprache abgehalten wurde, war die erste der zwinglianischen Reformation ausserhalb Zürichs und wurde von vier Präsidenten geleitet, die mehrheitlich die altgläubige Seite unterstützten. Am Ende entschieden sich neun Stände der Tagsatzung für den alten Glauben und vier für den neuen, was die konfessionelle Spaltung der Alten Eidgenossenschaft festigte und tiefgreifende politische und gesellschaftliche Folgen für die Schweiz hatte. «Man muss festhalten, dass die Badener Disputation für die Reformation insgesamt keine entscheidende Bedeutung hatte und auch keinen Frieden stiftete», betonte die Historikerin Ruth Wiederkehr anlässlich des Medientermins in Baden. «Sie erfüllt aber eine wichtige Scharnierfunktion in der Geschichte der Schweizer Reformation, denn sie fällt genau in die Zeit zwischen den ersten Reformationsbemühungen in Zürich und die Kappelerkriege, nach denen die Eidgenossenschaft das konfessionelle Nebeneinander beschloss.
Was die Badener Disputation aber aussergewöhnlich macht, ist, dass sie besonders gut dokumentiert ist: Vier offizielle Schreiber, jeweils zwei von beiden Seiten, hielten die Debatten unter gegenseitiger Aufsicht fest. Diese Protokolle, von denen heute noch Exemplare in Zürich und Luzern erhalten sind, werden durch Briefe, Berichte und Flugschriften ergänzt, die den Ablauf der Disputation bestätigen. Den übrigen Teilnehmern der Disputation war es untersagt, Abschriften vom Verlauf des Streitgesprächs anzufertigen, was aber trotzdem geschah.

Risikofreudiger Hühnerhändler
Während Zwingli der Stadt Baden fernblieb, wurde er dennoch über geheime Informationswege über den Verlauf der Disputation und die Argumente der Gegenseite unterrichtet. Einen bedeutenden Beitrag dazu leistete der Basler Humanist Thomas Platter, der als Hühnerhändler getarnt jeweils die verbotenen Mitschriften von Baden nach Zürich transportierte, um am nächsten Morgen mit der Antwort Zwinglis erneut die Stadt zu betreten. So fanden immerhin Zwinglis Argumente den Weg in die Badener Stadtkirche, was den Ausgang der Disputation aber auch nicht zugunsten der Neugläubigen zu drehen vermochte.
Genau an dieser Stelle setzt auch einer der geplanten Programmpunkte für die Jubiläumsfeierlichkeiten an: Auf dem «Hühnerhändler-Pfad» zwischen Zürich und Baden sollen sich Interessierte in die Zeit und die Geschichte der Badener Disputation versetzen können. Ausserdem wird im Rahmen der Feierlichkeiten an einer mehrtägigen religionsgeschichtlichen Tagung die Bedeutung der Badener Disputation aus heutiger Sicht neu diskutiert. Den Abschluss bilden ein Volksfest und ein offizieller Festakt am Wochenende vom 30. und 31. Mai 2026.

«In unserer zunehmend polarisierten und von globalen Krisen geprägten Gegenwart dient die Badener Disputation als Vorbild einer von gegenseitigem Respekt geprägten Dialogkultur», sagt der reformierte Pfarrer Res Peter namens der Projektleitung. «Das Jubiläum soll die Verständigung und das friedliche Miteinander nachhaltig fördern.» Ausdruck davon ist unter anderem ein Friedenskonzert. Anständig geführte Dispute als szenische Interventionen sollen auch das Volksfest namens «Manifest(N)ation» bereichern. Dieses endet mit einem Konzert von Konstantin Wecker. Der deutsche Musiker, Autor und Liedermacher vertont als Friedenslied einen Text, der von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Religionen eigens für das Jubiläum verfasst wird.

Das Markenzeichen der «Disput(N)ation» ist eine weisse Flagge als Universalzeichen des Friedens. Sie war auch der Grund, weshalb die Pläne für das Jubiläumsfest bereits jetzt kommuniziert wurden. Bis zum Beginn der Feierlichkeiten sollen diese Flaggen nämlich die Kunde vom Jubiläumsfest der Badener Disputation in alle Winkel der Schweiz und ins Ausland getragen werden. Dazu sucht die Projektleitung ab sofort Botschafterinnen und Botschafter, die bereit sind, die «Disput(N)ation»-Flagge auf ihren Reisen an nahe und ferne Orte zu bringen. An einer Medienkonferenz im Badener Tagsatzungssaal – dem Originalschauplatz der Disputationsbeschlüsse von 1526 – nahm eine lokale Vertreterin von Jungwacht/Blauring (Jubla) eine dieser Flaggen in Empfang, um sie ins nationale Jubla-Pfingstlager in Wettingen mitzunehmen, an dem am Wochenende über 10 000 Kinder und Jugendliche teilnahmen.