Die Grossgemeinde Surbtal ist vom Tisch

Endingen und Schneisingen sagen Ja zu einer Grossgemeinde Surbtal – Lengnau und Tegerfelden lehnen die Gemeindefusion ab.
Sie wollen den Scherbenhaufen kitten und nun das Projekt vertiefte Zusammenarbeit vorantreiben: Die Gemeindeammänner Ralf Werder (Endingen), Adrian Baumgartner (Schneisingen), Reto Merkli (Tegerfelden) und Viktor Jetzer (Lengnau). (Bild: bkr)

Endingen – Grosse Ernüchterung bei drei von vier Gemeindeammännern der Surbtalgemeinden. Während sich der Lengnauer Gemeindeammann Viktor Jetzer freut, dass «seine» Stimmberechtigten der Empfehlung des Gemeinderats gefolgt sind und Nein zur Fusion gesagt haben, stehen Ralf Werder (Endingen), Adrian Baumgartner (Schneisingen) und Reto Merkli (Tegerfelden) vor einem Scherbenhaufen, den sie so rasch wie möglich kitten wollen. Was alle vier freut, ist die grosse Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den vier Gemeindeversammlungen. In Lengnau erschienen 672 Stimmberechtigte (33,6 %). In Endingen nahmen 409 Bürgerinnen und Bürger teil (23,1 %), in Schneisingen 278 (25,0 %) und in Tegerfelden 253 (29,8 %).

Die Resultate
Mit 502 Nein- zu 170 Ja-Stimmen lehnte die Gemeindeversammlung von Lengnau die Fusion nicht nur deutlich ab – sie überschritt das Quorum für definitive Beschlüsse von 409 Stimmen mehr als deutlich, womit gegen den Entscheid kein Referendum möglich ist. Damit ist eine Grossgemeinde Surbtal zur Makulatur geworden, weil eine Grundbedingung war, dass sich dieser alle vier Gemeinden anschliessen. «Wir gingen all-in: Alle Gemeinden müssen Ja sagen, sonst bringt die Fusion nichts», sagte Ralf Werder, Gemeindeammann von Endingen, der den Leitungsausschuss des Projekts präsidierte. Zu einer Ablehnung kam es auch in Tegerfelden (145 Nein bei 108 Ja). In Endingen wurde es mit 208 Ja zu 199 Nein sehr knapp. Ein deutlicheres Bekenntnis zur Fusion legten mit 158 gegen 119 Stimmen die Schneisingerinnen und Schneisinger ab.

Erste Einschätzungen
«Mich hat das deutliche Resultat völlig überrascht», sagte der Lengnauer Gemeindeammann Viktor Jetzer an einer nächtlichen Medienkonferenz. Er will dieses Nein vor allem als ein Ja zu einer vertieften Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden verstehen und das bereits etablierte Projekt «Perspektive Surbtal» weiterentwickeln. «Ich bin gespannt, wie weit sich die Gemeinderäte jetzt für die weitere Zusammenarbeit aufraffen können», sagte Peter Weber, der das Fusionsprojekt als externer Berater begleitet hat. Laut Weber und Werder wurden mit der Projektarbeit für die Fusion sehr gute Grundlagen für eine vertiefte Zusammenarbeit geschaffen.

Was Jetzer in Lengnau aufgefallen ist, waren die vielen Ortsbürger unter den Teilnehmenden. «Sie haben zudem ihre Jungmannschaft mitgebracht.» Eine ausserordentlich gute Beteiligung junger Stimmbürgerinnen und -bürger registrierte auch ­Adrian Baumgartner in Tegerfelden und schloss nicht aus, dass das zum grossen Ja-Stimmen-Anteil geführt hat.
Reto Merkli bedauert, dass kein Referendum möglich ist. «In Teger­felden haben wir sehr viele Zuzüger, die der Gemeindeversammlung fernblieben und sich eventuell an der Urne für die Fusion ausgesprochen hätten.» Für ihn ist das Nein als Vertreter der kleinsten Gemeinde insofern tragisch, weil es auf der Gemeindeverwaltung immer wieder zu personellen Eng­pässen kommt und keine fachspezi­fischen Stellvertretungen möglich sind.
Was alle vier Ammänner betonten, ist die friedliche Stimmung an den Gemeindeversammlungen, was für sie nicht selbstverständlich war. Jetzer und Werder hatten im Vorfeld auch anderes erlebt – und hoffen, dass es zu keinen weiteren Spaltungen in der ­Bevölkerung kommt.


Ja zur Zusammenarbeit – Nein zur Fusion

Lengnau schafft vollendete Tatsachen. Mit 502 Stimmen ist das Nein der Versammlung definitiv – ein Referendum ist nicht möglich.
In Lengnau kam die Mehrzweckhalle Rietwise an ihre Kapazitätsgrenzen. 672 Stimmberechtigte – gerechnet wurde mit 500 – mussten untergebracht werden, einen Stuhl bekommen. Für Gemeindeammann Viktor Jetzer war die Rekordbeteiligung ebenso historisch wie das Thema der ausserordentlichen Gemeindeversammlung: «Soll Lengnau selbstständig bleiben oder in einer Gemeinde Surbtal aufgehen», das sei die Frage, die es zu beantworten gelte, sagte Jetzer. Zeitgleich stellten Jetzers Amtskollegen in Endingen, Schneisingen und Tegerfelden an separaten Versammlungen ihren Bürgerinnen und Bürgern dieselbe Frage.
Vizeammann Werner Jetzer erklärte nochmals den Zusammenschlussvertrag und rekapitulierte die bereits im März publizierten Gründe des Gemeinderats, den Stimmberechtigen ein Nein zu empfehlen. «Die Vorteile der Fusion überwiegen die gravierenden Nachteile nicht», sagte Jetzer. Insbesondere gebe es zwischen den beteiligten Gemeinden grosse Unterschiede in der Steuerkraft pro Einwohnerin oder Einwohner: «Für Lengnauerinnen und Lengnauer resultieren höhere Steuern und Gebühren.» Dem Gemeinderat Lengnau sei eine partnerschaftliche Zusammenarbeit unter den Gemeinden im Surbtal jedoch weiterhin sehr wichtig, betonte Jetzer.

Geheime Abstimmung
In einer kurzen Diskussionsrunde sagte ein Votant, ein Nein zur Fusion wäre für diese Zusammenarbeit «brandgefährlich». Er meinte damit, dass sich die eine oder andere Gemeinde einer neuen Fusionspartnerin zuwenden könnte. Namentlich nannte er Tegerfelden mit Döttingen. Für den Beschluss der Gemeindeversammlung beantragte ein Vertreter von Pro Surbtal geheime Abstimmung.
Auf eine solche waren Gemeinderat und Verwaltung vorbereitet. Neben einer Stimmkarte bekamen alle Stimmberechtigten einen Kugelschreiber geschenkt. Und für die Auszählung der Stimmen stand eine Zählmaschine bereit. Das Resultat? 170 Ja- und 502 Nein-Stimmen. Weil das Beschlussquorum von 409 Stimmen übertroffen wurde, ist ein Referendum (Urnenabstimmung) ausgeschlossen.