Er pfeift schon die Grossen

Mit nur 14 Jahren ist Jovan Kalt derzeit der jüngste SFV-Schiedsrichter im Aargau. Im Mai absolvierte er sein erstes Spiel bei den C-Junioren.
Jovan Kalt ist mit 14 Jahren Chef auf dem Platz. (Bilder: sma)

Wettingen – Mit dem Anpfiff am Samstagnachmittag erreicht der Tag für Jovan Kalt den ersten Höhepunkt. Während die beiden Mannschaften auf dem Platz des FC Turgi noch recht trocken aussehen, hat der Jungschiedsrichter bereits einige Zeit im strömenden Regen verbracht. Umziehen, Einlaufen, Platzinspektion und nochmal die offizielle Ausrüstung des Schweizer Fussballverbands (SFV) anlegen. Es folgen Begrüssung, Spielerabnahme, das Abklatschen und der Münzwurf, welcher der Heimmannschaft heute kein Glück bringen sollte.

Jovan Kalt ist zurzeit mit nur 14 Jahren der jüngste SFV-Schiedsrichter im Aargau. Schon 2022 hat er beim FC Wettingen angefangen mit Matches der Junioren in den Altersklassen F, E und D. Seit Mai darf er nun ein Jahr früher als laut Regularien vorgesehen schon «die Grossen» pfeifen – also die 14- und 15-Jährigen der Junioren C und B. Wobei gross in manchen Fällen tatsächlich zutrifft. Auch heute wirken einige Spieler auf dem Platz deutlich älter als Jovan Kalt, und das nicht nur, weil sie mindestens einen Kopf grösser sind.

Auf dem Feld wird schnell klar, wer die bessere Mannschaft ist. Die Gäste vom FC Würenlingen sind ballsicher, gewinnen Zweikämpfe und stehen häufig im Abseits. Oder wie es einer der Trainer lautstark formuliert: «Der Schiri pfeift immer Abseits!» Gut hörbar für seine Spieler, die wenigen Zuschauenden und natürlich für Jovan Kalt. Linienrichter gibt es erst ab der zweiten Liga, welche die fünfthöchste Spielklasse in der Schweiz darstellt. Ob der Spieler wirklich im Abseits stand, ist aus der Schiedsrichterposition deutlich schwieriger zu beurteilen als von der Seitenlinie. «Ich kann nur pfeifen, was ich sehe, und nicht weil jemand ruft», erklärt Jovan Kalt nach dem Spiel. Die Abseitsentscheidung gehöre zu den schwierigsten Entscheidungen, weil er stets das ganze Spiel im Auge behalten und dann innerhalb einer halben Sekunde entscheiden müsse, ob es nun tatsächlich ein Regelverstoss gewesen sei oder das Spiel weiterlaufen könne.

Zwischenrufe aus der zweiten Reihe
Am Spielfeldrand erzählt Vater Fabian Würth, dass er Jovan (Jahrgang 2011) mit fünf Jahren eine gelbe und eine rote Karte geschenkt habe. Da sich weder der Schulhof noch der Bolzplatz für das Ausüben der Schiedsrichtertätigkeit eigne, sei man vor 3½ Jahren selbst auf den Verband zugegangen. Heute stehen mit Turnieren insgesamt etwa 70 Spiele in seinem Spielbuch. Der Lohn für den Einsatz war das erste C-Junioren-Spiel am 10. Mai in Windisch. «Er ist regelkundig wie kein Zweiter», erzählt Fabian Würth über seinen Sohn, den er zu allen Spielen begleitet.

Nicht nur wegen der Anfahrten zu den Spielen, die sich momentan noch auf den West-Aargau beschränkten, sei das hilfreich. Auch beim Spiel in Turgi hat sich einer der Trainer nicht im Griff. Aus der Unzufriedenheit über das Spiel und die eine oder andere Entscheidung entwickeln sich schnell sehr laute Zwischenrufe Richtung Jovan Kalt. Der oft zitierte Vorbildcharakter des Fussballs geht in den Emotionen verloren. «Dass ein Erwachsener ein Kind anschreit, vielleicht sogar beleidigt, hat man nur im Rahmen des Fussballs. Man muss sich einen Panzer aufbauen, sonst geht man daran zugrunde», erzählt Jovan Kalt, der heute viel besser mit den Ablenkungen umgehen kann. Er hat sich an dem Tag sogar überlegt, ob er dem Trainer nicht doch eine gelbe Karte zeigen soll. Aber durch die familiäre Intervention in der Halbzeitpause zeigte sich der Trainer einsichtig.

Der talentierte Nachwuchsschiri: Jovan Kalt kurz vor dem Anpfiff auf dem Sportplatz Oberau. (Bild: sma)

Der Griff nach den Sternen
Wenn die Saison im August wieder beginnt, möchten sich Spielervater und Jungschiedsrichter bei den C-Junioren etablieren. Selbst im Verein gekickt hat Jovan Kalt übrigens nie. Shooten auf dem Bolzplatz, Stadionbesuche beim FC Baden und natürlich die ganz grossen Spiele im Fernsehen zu verfolgen, gehören aber dazu. «Das ist ausserdem Inspiration und Lehrmaterial. Am Ende hat aber jeder Schiri seinen eigenen Stil», antwortet Jovan Kalt auf die Frage, ob er als Schiedsrichter Fussballspiele anders verfolge.

Sein grosses Vorbild ist die Schweizer Schiedsrichterlegende Urs Meier, der es selbst vom Aargau bis ins WM-Halbfinale schaffte. Auf einen Fanbrief antwortete Urs Meier ihm sogar mit einem signierten Buch. Derzeit mangelt es in ganz Europa an Schiedsrichtern, was teilweise dazu führt, dass selbst im Amateurbereich versucht wird, Schiedsrichter abzuwerben. Denn wer hier nicht ausreichend Spielführer bereitstellt, zahlt eine vierstellige Strafe an den Verband Auch auf dem internationalen Parkett hat es aktuell wenig Schweizer Schiedsrichter. Ein Grund mehr für Jovan Kalt zu sagen: «Mein Traum ist die Champions League.» Wobei der 14-Jährige sofort hinzufügt, dass man das Leben nie planen könne.
Nach über 90 Minuten im Regen und einem einseitigen 11:1 für die Gäste erzählt der Jungschiedsrichter nach wie vor begeistert von seinem Sport: «Es macht einfach Spass, formt eine gute Persönlichkeit, und man lernt, sich durchzusetzen.»

Jovan Kalt: «Mein Traum ist die Champions League.» (Bild: sma)