Der erste Schweizer Online-Garten

Ein Brugger Start-up bedient den Traum vom eigenen Gemüse. Nun suchen die Jungunternehmer in der «Höhle der Löwen» nach Investoren.
Raphaell Schär und Sarah von Aesch haben mit ihrem Start-up MyFeld, das im Technopark Brugg angesiedelt ist, das digitale Gärtnern in die Schweiz geholt. (Bild: zVg)

Wer gern eigenes Gemüse auf dem Tisch hätte, aber keinen Gemüsegarten, einen zu kleinen Balkon oder keine Zeit hat, um in der Genossenschaft seinen Anteil am Ertrag zu erarbeiten, kann aufatmen: Es gibt MyFeld, den ersten Schweizer Online-Garten. Da bekommt man ganz ohne Gärtnern trotzdem wöchentlich oder auf Wunsch alle vierzehn Tage sein eigenes gartenfrisches Lieblingsgemüse, saftiges Obst und würzige Kräuter geliefert. Das clevere Konzept mit Geschäftssitz im Technopark Brugg hat das MyFeld-Gründerduo Sarah von Aesch (32) und Raphaell Schär (37) ausgeheckt.

In vier Klicks zum Superfood
Mit wenigen Klicks verbindet MyFeld im digitalen Raum zwei Welten und viele Wünsche: den Produzenten und den Konsumenten, das Gemüsefeld und die Teller zu Hause, auf denen genau die Produkte landen, die man mag. Dafür wird in einem ersten Schritt auf der MyFeld-Website ein 16 Quadratmeter grosser Gemüsegarten bei einem Schweizer Bauern reserviert. Dann wird der Garten digital mit einer Auswahl aus dreissig verschiedenen Gemüsesorten, Früchten und Kräutern besät und bepflanzt, je nach Sommer- oder Wintersaison und eigenen Vorlieben. «Via Webcam kann, wer möchte, zusehen, wie die Pflanzen wachsen, bewässert und gepflegt und schliesslich geerntet werden», erklärt Schär. Bereits in der ersten Woche, nachdem das Saison-Abo abgeschlossen wurde, bekommt man seine Gemüsebox nach Hause geliefert. «Die Menge ist für den Konsum von ein bis drei Personen berechnet, je nach Essgewohnheit», ergänzt von Aesch. Ausserdem erhalte man Rezepte, Zubereitungstipps und Wissenswertes über die erntefrischen Produkte. «Und man lernt womöglich ein Gemüse neu kennen, von dem man nicht wusste, dass es im Winter wächst.» Auf diesem Weg kommt man zu einer wöchentlichen Portion an saisonalem, fair produziertem Bio-Gemüse, das am Vortag noch auf dem Feld stand. Ohne lange Lieferwege und ohne bis zu sieben oder mehr Zwischenlieferanten und etlichen Margen werden durch das Projekt die lokalen Landwirtschaftsbetriebe und Schweizer Feldarbeitenden direkt unterstützt. «Denn die Bäuerinnen und Bauern haben ja die meiste Arbeit», hält Raphaell Schär fest.

Die Hunde Mila und Jamie, das MyFeld-Gründerduo Raphaell Schär und Sarah von Aesch und ein Teil des Teams von der Stiftung Gärtnerhaus in Meisterschwanden. Im Hintergrund der MyFeld-Haupthof in Fenkrieden, Sins. (Bild: zvg)

Krumme Rüebli mit Begründung
«Wir verschicken das ganze geerntete Gemüse und werfen nichts fort, was essbar ist», stellt Sarah von Aesch klar. Jedes Gemüse sei wertvoll und verdiene Respekt und Wertschätzung als Lebensmittel. In der Schweizer Landwirtschaft würden bis zu 60 Prozent der Gemüse, Salate und Früchte, die gesät und gepflanzt werden, vernichtet, noch bevor sie das Feld verlassen – weil sie den Normen nicht entsprächen, erzählt die MyFeld-Co-Gründerin. «Weshalb soll eine kürzere oder krumme Karotte weniger gut schmecken und es nicht wert sein, geerntet zu werden?», fragt Raphaell Schär rhetorisch. Das sei reine Ressourcenverschwendung und obendrein Food-Waste, doch leider werde der Schweizer Gemüsemarkt davon dominiert, berichtet der 37-Jährige. «Es braucht noch viel Aufklärung», sagen die beiden MyFeld-Inhaber unisono. Sie wollen die Sicht auf und die Wertschätzung für Gemüse und Obst wieder in ein wirklichkeitsnahes Licht rücken.

«Gemüse ist ein Naturprodukt, aber die Auslagen bei den Detailhändlern haben den Blick der Kundschaft derart konditioniert und gar indoktriniert, sodass nur normiertes, blitzsauberes Gemüse in bestimmten Einheitsgrössen ‹schön› und ‹gut› sein soll», sagen die beiden Geschäftspartner. «Das ist enorm realitätsfern und hat mit dem Lebensmittel, wie es vom Feld kommt und die Natur es uns schenkt, nicht viel zu tun», stellt Schär klar, der sein Start-up gemeinsam mit von Aesch bereits im zweiten Jahr führt.

Die Idee aufgegriffen
Den Anstoss zur Firmengründung gab eine Dokumentation über einen Online-Garten in Österreich, die Schär 2019 im Fernsehen sah. Überaus begeistert von der Idee, wollte er dort bestellen, aber die Lieferung funktionierte nicht über die Landesgrenzen hinweg. Schär, ein gelernter Koch, der später das BA-Studium als Softwareentwickler absolvierte und mehrere Jahre Berufserfahrung im Marketing hat, arbeitete die österreichische Idee aus und holte Wirtschaftspsychologin Sarah von Aesch für die Start-up-Gründung ins Boot. Deren Erfahrungen aus dem Projektmanagement haben das Zweierteam vervollständigt. «Wir ergänzen uns extrem gut», sagt von Aesch über ihren Geschäftspartner, mit dem sie eine langjährige Freundschaft verbindet. «Ich bin der Wirbelwind, Sarah ist geerdeter», führt Schär aus.

Pioniere in der Schweiz
Mit MyFeld, dem ersten Schweizer Online-Gartenprojekt, sind Schär und von Aesch hierzulande Pioniere. Im ersten Jahr säten sie alles selbst, pflanzten Setzlinge, jäteten und ernteten mithilfe von Familie und Freiwilligen. Es sei ein schwieriges Jahr gewesen, gibt Schär zu. «Der viele Regen setzte die Felder unter Wasser. Es stürmte und hagelte. Wir schwammen, im wahrsten Sinne des Wortes», erinnert er sich. Heute arbeiten sie mit vielen Bauernbetrieben aus der Region und der Stiftung Gärtnerhaus aus Meisterschwanden zusammen und haben zwei Festangestellte. Mehrere Hundert Haushalte in der ganzen Schweiz werden mit frischen MyFeld-Produkten beliefert, das Altersspektrum der Klientel erstrecke sich von 20 bis 70 Jahre, weiss Schär. Die begeisterten Reaktionen der Konsumenten seien überwältigend. Bald wollen die beiden Jungunternehmer ihr Produktangebot erweitern: um Milch und Milchprodukte, Eier, Fleisch, Honig, Wein oder auch Holz. «Unsere Vision ist es, den ganzen Bauernhof digital abzubilden, sodass alle Produkte, die man auf dem Hof bekommen kann, auch nach Hause geliefert werden können», erklärt Sarah von Aesch. «Wir wollen zurück zu den Wurzeln, dies aber mit der Digitalisierung verbinden», betonen die MyFeld-Gründer. Diesen grünen Spagat scheinen sie mühelos zu meistern.