Sie bringt den Himmel auf Erden

Seit 1980 unterrichtet Vijaya Rao klassische indische Tänze, Sanskrit und Musik. Für manche ihrer Schülerinnen eine Lebensschule.
Vijaya Rao beim Ausüben ihrer Passion: Im indischen Tanz werden mit Bewegung, Blick, Mimik und Gestik Geschichten erzählt. (Bild: zVg)

Die Bewegungen von Tänzerin und Tanzlehrerin Vijaya Rao sind ausdrucksstark. Im indischen Tanz gibt es unzählige Gesten, mit denen, durch die Mimik unterstützt, Worte und Gefühle ausgedrückt werden. Bharatanatyam ist Tanz und Schauspiel zugleich. Die Füsse bewegen sich im mitreissenden Rhythmus der indischen Musiker, die Trommeln, Geige und Stimme live erklingen lassen. Jede Faser des Körpers ist präsent. «Divya» heisst die klassische indische Tanzproduktion, die Rao zum nachgeholten 40-Jahr-Jubiläum ihrer Badener Tanzschule «Nateschwara» an der Rütistrasse 3 am 15. Oktober aufführt.

Erzählt wird ausdrucksstark die Reise der himmlisch mythischen Herkunft des indischen Tanzes bis zu seiner heutigen irdischen Form. Mit dabei: Tochter Sharmila Rao, die in Indologie und Sanskrit promoviert hat und mittlerweile in Zürich eine eigene Tanzschule führt. Dazu kommen zehn bis zwölf Tänzerinnen, die regelmässig den Unterricht bei Rao besuchen. Die 73-Jährige sprüht vor Energie und Leidenschaft für ihre Kunst. «Ich tanze noch täglich», sagt sie. Ihr Mann Anton Tönz, ein bärtiger Bauernsohn aus der Ostschweiz, ist als Allrounder im Hintergrund für Technik, Fotografie, Bühnengestaltung und vieles mehr zuständig. Zudem unterrichtet er Yoga und Meditation.

Vermittlerin der indischen Kultur
Vijaya Rao kam 1977 nach ihrem Master im südindischen Karnataka mit einem Stipendium in die Schweiz, um hier ihre Doktorarbeit in deutscher Literatur zu schreiben. Wie fast jedes indische Mädchen hatte sie von klein auf Tänze wie Bharatanatyam gelernt. Während ihres Studiums wurde sie von der ETH angefragt, ob sie Kurse geben könne. Sie fing an, Interessierten einfache indische Volkstänze beizubringen. Bald wurde sie von Botschaften und indischen Vereinen für Aufführungen gebucht. An einer solchen lernte sie ihren Mann Anton Tönz kennen. Mittlerweile sind die beiden 43 Jahre verheiratet. Als Tochter Sharmila geboren wurde, begann die junge Mutter, mit dem Baby auf dem Arm, wieder zu unterrichten – zuerst bei sich zu Hause in Baden, dann am Cordulaplatz und später in einem Kurslokal am Theaterplatz.

Eine strenge Förderin
1980 gründete sie die Nateschwara Tanzschule. «Wir machten Tourneen, aber es mangelte uns an Geld. Es gab Momente, wo ich wieder aufhören wollte», erinnert sie sich. Doch dann wurde sie von der Unicef zur Botschafterin und Vermittlerin der indischen Kultur in der Schweiz ernannt. «In sieben Jahren besuchte ich in dieser Mission über 60 000 Kinder und Jugendliche in den Schulen der Schweiz», erzählt sie, und ihre Augen leuchten. 1997 gründete sie an der Rütistrasse neben dem «Torre» das Nateschwara Theater. «Nateschwara heisst ‹der tanzende Shiva›», sagt sie. Der Name war eine spontane Eingebung. Vijaya Rao bildet Schülerinnen und Schüler nicht nur bis zum Diplomniveau im klassischen indischen Tanz aus, sondern lehrt auch Sanskrit, Gesang und Musik. Aber auch Menschen, die einmal in der Woche aus Spass tanzen wollen, sind willkommen. «Zuerst lernen wir Grundschritte und die Haltung. Nach und nach kommen dann einzelne Gesten dazu, wie die Buchstaben des Alphabets.» Im Moment besuchen rund vierzig Schülerinnen und Schüler die Nateschwara Tanz- und Musik-Akademie. Wer weiterkommen will, braucht viel Disziplin. Und Rao ist eine gestrenge Lehrerin, aber auch eine engagierte Förderin von jungen Talenten.

An der «Nateschwara Tanz- und Musik-Akademie» unterrichtet Vijaya Tönz-Rao in Baden nicht nur Tanz, sondern auch Sanskrit und Musik – eine echte Lebensschule.

Das Beste aus sich herausholen
An den Wänden hängen Bilder von Tänzerinnen aus der ganzen Welt, die bei Rao ihre Grundausbildung mit Bühnenzertifikat abgeschlossen haben. Mansi Pai, eine junge Tänzerin mit indischen Wurzeln, meint: «Bharatanatyam ist eine vollkommene Abwechslung zum Alltag. Das Training bei Guruji (wie Rao liebevoll genannt wird) und die Freundschaft mit meinen Mittänzerinnen motivieren mich, beim Tanzen das Beste aus mir herauszuholen und dabei etwas fürs Leben zu lernen.» Tanvi Nair, die 2004 mit ihren Eltern in die Schweiz zog und heute in Nussbaumen lebt, bestätigt: «Alles, was ich in der Tanzakademie gelernt habe, kann ich im allgemeinen Leben anwenden. Es ist mehr als nur Tanz, denn es steckt unglaublich viel Kraft und Tiefe in dieser Kunst.»

Vijaya Rao unterrichtet Frauen, die mittlerweile seit dreissig Jahren zu ihr kommen. Ans Aufhören denkt sie gar nicht: «Ich werde weitermachen, so lange ich kann.» Zu ihren Passionen gehören neben dem Tanz und den Sprachen die vegetarische indische Küche. Und die Natur. «Wir wohnen in Niederrohrdorf, und ich laufe jeden Tag im Minimum sieben Kilometer durch den nahegelegenen Wald – egal, ob es stürmt, regnet oder schneit.»

Samstag, 15. Oktober, 19 Uhr
Rütistrasse 3, Baden
nateschwara.ch