«Ich mag die Tiefgründigkeit»

Sophie Glatthard (30) arbeitet seit drei Monaten in der reformierten Kirchgemeinde Brugg. Am 5. März stellt sich die Pfarrerin zur Wahl.

«Ich bin gut angekommen und fühle mich hier in Brugg, wo ich seit drei Monaten als Stellvertretung arbeite, sehr willkommen. Ich habe ein tolles Team, die Menschen freuen sich, mich kennenzulernen. Mein Kollege, Pfarrer Rolf Zaugg, war früher in Zollikofen, wo ich aufgewachsen bin, tätig. Damals haben wir uns aber nicht getroffen, denn ich gehörte der neuapostolischen Kirche, einer Freikirche, an. Später habe ich dann zur reformierten Kirche gewechselt.

Früher ging ich mit meinen Eltern – meine Mutter ist Musikerin, mein Vater Sprachwissenschaftler – und meiner Schwester immer am Sonntag in den Gottesdienst. Schon da hatte ich das Gefühl, eigentlich würde ich auch gerne vorne stehen und meine Gedanken mitteilen. Bei den Neuapostolen konnten damals aber noch keine Frauen ins Amt gesetzt werden. Zudem merkte ich, dass mir ausgebildete Theologinnen und Theologen mehr zusagten als Laienpredigende. An der Uni ging für mich, was die Theologie angeht, eine Welt auf. Ich merkte, was es alles zu erfahren und zu wissen gibt, stellte Fragen, setzte mich vertieft mit Themen auseinander und lernte, Geschichten und Aussagen in einen Kontext einzuordnen.

Ursprünglich wollte ich Lehrerin werden wie meine Tante, dann studierte ich Jura an der Uni Bern. Das gefiel mir, aber ich sah keine berufliche Zukunft für mich. Als ich dann in eine Theologievorlesung reinschnupperte, wars um mich geschehen. Ich erinnere mich noch gut: Es ging ums Thema Herodes, da vorne stand ein Superdozent, und ich war total fasziniert.

Unter den Studienfächern gefiel mir Dogmatik besonders gut. Dieses Fach will den Glauben in seinen Zusammenhängen verständlich machen und bildet eine Art Verbindung zwischen der Bibel und der Philosophie. Auch Kirchengeschichte fand ich sehr spannend, da gab es für mich das eine oder andere Aha-Erlebnis. Ich merkte, dass viele Glaubenssätze, welche im freikirchlichen Kontext gelten, gar nicht so ursprünglich christlich sind. Zu sehen, welche Einflüsse von Gesellschaft, Literatur und historischen Begebenheiten sich in der Bibel niederschlugen, war spannend. Dieses Hinterfragen sagte mir zu.

An der reformierten Kirche gefällt mir die Eigenverantwortung der Mitglieder. Die Menschen kommen nicht in die Kirche, um zu erfahren, was gilt, sondern um Inputs zu erhalten und sich ihre eigene Meinung zu bilden. Dieses Priestertum aller Gläubigen schätze ich. Ich freue mich, wenn munter debattiert wird.

Ins Predigen stecke ich viel Herzblut. Mir kommt zugute, dass ich zehn Jahre lang Gesangsunterricht genommen und dabei Haltung, Atmung und Aussprache trainiert habe. Um eine Predigt vorzubereiten, nehme ich mir gern Zeit, ich wähle den Text frühzeitig aus und trage ihn mit mir herum. Ich gehe dann hellhörig durch den Alltag, sammle Erlebnisse und Gedanken zum Thema, studiere verschiedene Übersetzungen und Kommentare. Bevor ich sie abtippe, schreibe ich die Predigt von Hand auf. Papier und Stift beflügeln mich einfach mehr als Bildschirme.

Meine Liebe für Geschichten, Märchen und Sagen teile ich mit meinem Freund, einem Elektroingenieur. Eine eigentliche Lieblingsgeschichte in der Bibel habe ich nicht. Eindrücklich finde ich diejenige von Josef, der von seinem Bruder verraten und verkauft wird und doch an seinem Glauben festhält, obwohl es ihm im ersten Moment keinen Vorteil bringt.

Sofern man mich am 5. März wählt, trete ich in Brugg meine erste Pfarrstelle an. Das vierzehnmonatige Vikariat habe ich in Grindelwald, meinem Heimatort, absolviert. Hier, im städtischen Kontext, ist die Kirche sehr im Umbruch. Das finde ich spannend, denn Veränderung ist nötig. In Zeiten, die schwieriger sind, suchen die Menschen nach Halt. Auch brauchen sie eine Anlaufstelle, die sich nicht scheut, den existenziellen Fragen zu begegnen: Woher kommen wir, wohin gehen wir, was ist der Sinn des Lebens? Diesen grossen Fragen zu begegnen, hat mich immer fasziniert. Ich mag die Tiefgründigkeit, bin allergisch gegen Banalitäten. Mir ist wichtig, dass die Kirche die schwierigen Stellen in der Bibel nicht einfach ausblendet, sondern auf den Tisch bringt.

Ich haben den Eindruck, die Reformierte Kirche Brugg ist in Bewegung, von der Kirchenpflege kommen Ideen, viele Projekte sind im Gang: Da möchte ich voll mitziehen, das entspricht mir. Ich mag es, wenn etwas geht.»

Ausserordentliche Kirchgemeindeversammlung
Sonntag, 5. März, 11 Uhr
Reformierte Kirche, Brugg
refbrugg.ch