Bereit für die EM in Antalya

Anny Wu (20) gehört zu den besten Kunstturnerinnen des Landes. In Lenzburg entscheidet sich, ob sie die Schweiz an der EM vertreten wird.
Zwischen Disziplin und Leidenschaft, Anny Wus grosses Ziel sind klar die Olympischen Spiele 2024

Ihren Lebensmittelpunkt hat Anny Wu, die in Ennetbaden aufwuchs, bevor ihre Familie kürzlich nach Röschenz (BL) zog, seit Jahren schon in Magglingen, wo sie seit ihrem 15. Lebensjahr wohnt und inzwischen auf höchstem Niveau Kunstturnen trainiert. Daneben besucht sie das Gymnasium in Biel. Nur an den Wochen­enden kommt die 20-jährige Gymnasiastin in den Aargau zurück, um Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Obwohl es anfangs nicht leicht für sie gewesen sei, schon so früh getrennt von ihrer Familie zu leben, würde sie sich auch heute wieder für die Laufbahn als Kunstturnerin entscheiden, erklärt Anny Wu.

«Ich war schon immer sehr aktiv», erinnert sie sich, «deshalb meldeten mich meine Eltern mit fünf Jahren beim Verein Kutu Obersiggenthal an.» Dort zeigte sich schnell, dass ihr das Kunstturnen nicht nur grossen Spass machte, sondern auch, dass die junge Ennetbadenerin sehr talentiert war. Bereits mit sieben Jahren nahm sie deshalb ihr Training im Regionalen Leitungszentrum in Niederlenz auf.

Mit 14 Jahren nach Magglinen
Während dieser Zeit sammelte Anny Wu auch erste internationale Wettkampferfahrungen. Beispielsweise nahm sie 2017 am «European Youth Olympic Festival» teil. Mit gerade einmal vierzehn Jahren schaffte die Ennetbadenerin den Sprung ans Nationale Sportzentrum in Magglingen, wo sie zuerst im erweiterten Nationalkader trainierte, bis sie 2020 ins Nationalkader aufgenommen wurde. «Ich bin schon so lange von Menschen umgeben, die die gleichen Ziele haben wie ich, dass ich manchmal gar nicht richtig realisiere, dass mein Alltag nicht ‹normal› ist», gesteht die Sportlerin.

Ihr bisher erfolgreichstes Jahr war mit Sicherheit 2019, als Anny Wu die Schweiz sowohl an den Europa- als auch an den Weltmeisterschaften vertrat. 2021 erlitt ihr kometenhafter Aufstieg in der Schweizer Kunstturnszene allerdings einen Dämpfer. Die Ennetbadenerin zog sich verschiedene Verletzungen zu und musste mehrere Monate lang auf ihr Training verzichten. «Ich wusste und fühlte aber zu jeder Zeit, dass ich danach wieder würde turnen können, was mir in dieser Zeit sehr geholfen hat», so Anny Wu. Daneben halfen ihre Teamkolleginnen in Magglingen, mit den Verletzungen umzugehen. «Ich bin sehr froh, dass ich wieder trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen kann. Ich spüre nämlich, dass ich mein volles Potenzial noch nicht ausgeschöpft habe, und ich gab noch nie gerne etwas auf, wenn ich das Gefühl hatte, noch mehr erreichen zu können», gibt Anny Wu Einblick in ihre persönliche Motivation.

Die Magglinger Ersatzfamilie
In ihren Turnerkolleginnen in Magglingen hat die 20-Jährige auch so etwas wie ihre Ersatzfamilie gefunden. «Wir verbringen sehr viel Zeit miteinander und versuchen auch, so oft wie möglich gemeinsam zu trainieren», bestätigt Anny Wu. Dass der Zusammenhalt innerhalb des Teams so gross ist, erstaunt auf den ersten Blick, wenn man bedenkt, dass an den allermeisten Veranstaltungen im Kunstturnen Einzelwettkämpfe ausgetragen werden. «Ich motiviere im Training sehr gerne die anderen, weil mich das wiederum selbst anspornt», erläutert die Kunstturnerin. «Sicher ist es aber so, dass wir am Ende alle für uns selbst verantwortlich sind. Ich persönlich kann sehr gut unterscheiden zwischen den Gelegenheiten, in denen wir gemeinsam weiterkommen können, und solchen, wo ich auf mich selbst schauen muss.»

Anny Wu ist auf gutem Weg, eine der besten Schweizer Kunstturnerinnen unserer Zeit zu werden. (Bild: sim)

Gute Chancen auf die EM 2023
Aktuell bereiten sich Anny Wu und ihre Kolleginnen im Nationalkader auf die diesjährige Europameisterschaft im Kunstturnen in der Türkei vor. Vom 19. bis zum 23. April messen sich in Antalya die besten Kunstturnerinnen und Kunstturner Europas. Wer aus dem Schweizer Kader am Wettkampf teilnehmen wird, entscheidet sich vorab anlässlich zweier Selektionsrunden. Die erste Auswahlveranstaltung vom 1. März in Magglingen beendete Anny Wu mit dem hervorragenden zweiten Platz, nur knapp hinter der erstplatzierten Thurgauerin Lilli Habisreutinger. Das sind ausgezeichnete Voraussetzungen für eine EM-Qualifikation.

Selektionsentscheid Mitte März
Der definitive Entscheid fällt anlässlich der zweiten Selektionsrunde am 11. März in Lenzburg. «Nach meinen Verletzungen wusste ich zunächst nicht, ob mein Körper der Belastung beim Kunstturnen weiter standhalten würde. Deshalb habe ich mir danach lediglich kleine Ziele gesetzt», erinnert sich die Ennetbadenerin.

Da sie mittlerweile aber schon seit Monaten wieder voll trainiert und Wettkämpfe bestreitet, fasst sie auch wieder grössere Ziele ins Auge, von denen die EM in der Türkei lediglich das nächste ist: «Jetzt, wo ich sehe, dass ich wieder auf hohem Niveau mithalten kann, möchte ich die Schweiz nächstes Jahr gerne an den Olympischen Spielen in Paris vertreten.» Denn obwohl ihr das Kunstturnen immense Disziplin und Ausdauer abverlangt, steht für Anny Wu eines fest: «Es macht mir einfach sehr viel Spass.»