«Ich liebe diese Sinnlichkeit des Materials»

Noch bis Ende Monat begrüsst Hildegard Burgener ihre Kundschaft mit einem frohen «Güetä Morgä». Dann schliesst sie ihre Wollboutique.
Bald ist alles ausverkauft: Hildegard Burgener vor ihrer Wollboutique an der Hauptstrasse 15 in der Brugger Altstadt. (Bild: zVg)

«Die bunten Hasen hier im Regal habe ich damals zur Eröffnung gestrickt – rund 45 Stück waren es. Viele davon habe ich dann an kleine Kinder verschenkt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich sie damals auf einer Strickdecke von Mama ausgelegt und fotografiert habe. Meine Mutter hatte früher nicht so viel Zeit für Handarbeiten, aber ihre Schwester war eine leidenschaftliche Strickerin. Meine Grossmutter hat die Wolle noch selbst gesponnen und verarbeitet. Ich weiss nur zu gut, wie kratzig die Walliser Schafe sind. Als ich selbst zu stricken begann, kam dann die Schaffhauser Wolle auf, die war weicher.

Ich bin in Brig aufgewachsen, wir wohnten etwas ausserhalb der Stadt, unter dem Glishorn. Zur Schule mussten wir eine halbe Stunde zu Fuss gehen. Mein Grossvater war Bauer, mein Vater hat den Betrieb dann nebenberuflich geführt. Als er in Pension ging, wollte er unbedingt fünfzig Angoraziegen anschaffen. Von ihnen habe ich hier noch Wolle – sie ist unglaublich weich. Später haben wir die Ziegen dann verkauft.

Meine Wollboutique habe ich mit fünfzig Jahren eröffnet, zuerst in Windisch, dann in Brugg. Damals bin ich mit meinem Mann – auch er ist Walliser – aus Deutschland zurückgekehrt und nach Brugg gezogen. Ich habe viel gestrickt, aber hier vor Ort kaum Wolle gefunden. Dann eröffne ich halt selbst ein Geschäft, sagte ich mir. Aber so ganz für den Laden leben, das wollte ich nie. Ich gab keine Kurse, beantwortete am Wochenende keine Mails und schloss um punkt 18 Uhr abends die Tür. Diese strikte Abgrenzung half mir, mich nicht zu verausgaben.

In der Schule habe ich das Stricken gehasst. Ich konnte mit dem, was wir stricken mussten, nichts anfangen. Mit zwanzig habe ich es wiederentdeckt – und seither ‹dureglismet›. Damals kamen neue Farben und Wollqualitäten auf, Faden mit Fränseli, Mohair-Seide. Die vielen kreativen Möglichkeiten auszuschöpfen, das gefiel mir. Stricken ist für mich eine Leidenschaft, ein Hobby. Ich liebe diese Sinnlichkeit, die Wärme des Materials, dieses Gefühl in den Händen – und die Farben. Ich hatte mal eine italienische Kundin, die zu mir sagte: Wolle und Blumen sind das Schönste, das es gibt! Das kann ich vollkommen unterschreiben. Eine Lieblingsfarbe habe ich nicht. Wenn mir eine gefällt und sie mir steht, egal ob Pink oder Gelb, dann trage ich sie. Klar gibt es auch bei meinem Geschäft immer neue Trends, welche die Wollproduzenten vorgeben. Aber was mich persönlich angeht, setze ich mich auch mal darüber hinweg.

Zum Stricken höre ich oft Fernsehen; Zeitung lesen kann ich bei diesen komplizierten Mustern nicht. Ich muss mich konzentrieren können. Das meiste habe ich mir selbst beigebracht. Ich habe Anleitungen gelesen und Tutorials geschaut. Die Strickanleitungen haben ein spezielles Vokabular, sie bestehen haupstächlich aus Abkürzungen, mit denen man erst vertraut werden muss. Aber da kommt man rein. Vor komplizierten Mustern habe ich keine Angst, im Gegenteil! Ich mag Herausforderungen.

Habe ich fürs Geschäft gestrickt, habe ich mich an die Anleitungen der Hersteller gehalten. Da kommen ja pro Firma rund zehn bis fünfzehn Strickhefte heraus, und das reicht dann auch. Was mich selbst angeht, probiere ich gern Neues aus. Und wer weiss, vielleicht schreibe ich in Zukunft meine selbst kreierten Muster auf.

Eine der grössten Herausforderungen waren für mich drei Rundtücher des amerikanischen Strickdesigners Stephen West. Zugleich fand ich es kurzweilig. Stricken hält den Kopf wach, und es beruhigt zugleich. Ganz besonders schätze ich dabei, dass man etwas wachsen sieht. Wenn ich am Ende alles zusammenbüeze, weiss ich: Das habe ich selbst gemacht, es ist ein Unikat. Das ist doch etwas Schönes!

Obwohl ich viel stricke, quillt mein Schrank nicht über. Ich habe viele Pullover, Ausstellungsstücke, die ich selbst trage. Beim Stricken habe ich immer ein Projekt, und das mache ich dann fertig. Zig angefangene Arbeiten zu haben, die nie fertig werden, das ist nicht meins. Auch die Wolle kaufe ich gezielt ein. Ich bin kein Fan von zusammengewürfelten Vorräten. Obwohl: Restendecken finde ich schön. Ich habe noch welche von meiner Mutter zu Hause, die würde ich nie wegwerfen. Dieses Weitergeben von Generation zu Generation schätze ich. Eine Decke, welche die Grossmutter oder der Grossvater für ein Baby gestrickt hat, behält den Wert ein Leben lang.

Nun freue ich mich darauf, nicht mehr ständig auf die Uhr schauen zu müssen. Gestern Morgen, als es geregnet hat, dachte ich: Jetzt würde ich gern noch etwas liegen bleiben. Nach der Ladenschliessung gehe ich mit meinem Mann auf eine Töfftour. Wir haben uns die Balkanroute vorgenommen. Die Nachbarschaft hier werde ich vermissen. Mit der Altstadt hat Brugg ein Juwel, das ruhig noch etwas mehr Wertschätzung verdienen würde.»