Nein heisst nein

In der Rubrik «Querbeet» beleuchten namhafte Autorinnen und Autoren ein von ihnen gewähltes Thema – und sorgen damit wöchentlich für Inspiration.

Seit vier Jahren debattiert unser Parlament über eine Änderung des Sexualstrafrechts. Nun zeichnet sich eine erweiterte «Nein heisst nein»-Lösung ab. Das ist ein wichtiger Schritt: In der Rechtspraxis soll nicht mehr danach geforscht werden, ob das Opfer gewaltsam bedroht, also genötigt worden ist. Die Frage, ob und wie sehr sich jemand gewehrt hat, bestimmt dann nicht mehr das Strafmass. Ein Nein zu einer sexuellen Handlung reicht. Und ebenfalls wird das sogenannte Freezing, das psychische und physische Erstarren von Gewaltopfern, als ein Nein anerkannt werden. So weit, so wichtig.

Allerdings wird in der Praxis noch immer Aussage gegen Aussage stehen, und auch in Zukunft werden Richterinnen und Richter nicht wissen, was wirklich zwischen zwei Menschen vorgefallen ist. Das wissen wir nie. Tatsache ist, dass wir sexualisierte Gewalt meistens gar nicht bemerken oder sie bagatellisieren. Übergriffe finden in der Regel nicht in dunklen Unterführungen statt. Die wenigsten Vergewaltiger verwenden K.-o.-Tropfen oder zerren ihr Opfer in ein Auto. Man muss sich Täter als Ehemänner, Expartner, Verwandte, Betreuer oder Trainer vorstellen. Zwischen 75 und 80 Prozent aller Übergriffe geschehen in einem vertrauten Umfeld durch eine bekannte Person. Sinnbildlich für unser Wegschauen: Vergewaltigung in der Ehe war bis 1992 straffrei.

Nur gerade neun Prozent aller sexuellen Übergriffe werden angezeigt. Opfer wollen keine Opfer sein. Sie schämen sich. Sie fühlen sich schuldig, oder sie wollen die Sache selbst regeln. Es ist schwer, über das zu sprechen, was man erlitten hat, und noch schwerer, dadurch möglicherweise das Leben eines Menschen zu zerstören, zu dem man in einer Beziehung steht. Deshalb benötigen wir nicht nur neue Gesetze, sondern auch einen anderen Umgang mit sexualisierter Gewalt. Wenn wir Opfern eine Mitschuld geben oder aus Scham Unrecht tolerieren, ändert sich nichts. Niemand darf ungefragt von einem anderen Körper Besitz nehmen. Nie. Wir sind aufgefordert, bei übergriffigem Verhalten mutig und rechtzeitig zu reagieren. Und: Es braucht Gespräche über Lust und körperliche Unversehrtheit. Offenheit wirkt präventiv.

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