Bezirk verlor die Hälfte Gemeinden

Im Bezirk Brugg werden weitere Gemeindefusionen aufgegleist. Die Anzahl Gemeinden ist bereits um 43 Prozent geschrumpft.
Der Grosse Rat genehmigte die Fusion der Gemeinde Lauffohr mit der Stadt Brugg 1969 erst im zweiten Anlauf. Der Ortsname blieb erhalten. (Bild: hpw)

Die klein strukturierte Gemeindelandschaft des 1803 gegründeten Kantons Aargau blieb in den ersten 50 Jahren ziemlich stabil. Nachher veränderte sie sich deutlich. Seit 1853 bis heute waren fast 90 Gemeinden in Fusions- und Trennungspläne involviert. Etliche Anläufe scheiterten, zum Beispiel 2009 die Fusion von Schinznach-Dorf, Veltheim, Oberflachs, Schinznach-Bad, Villnachern, und 2013 die Vereinigung Birr-Birrhard. Doch einige Dutzend Projekte wurden umgesetzt, sodass sich die Anzahl der Aargauer Gemeinden um fast einen Fünftel, von ursprünglich 240 auf momentan 198, reduzierte.

Der einst gemeindereichste Bezirk Brugg trug viel zum Wandel bei. Die Zahl seiner Gemeinden ging von 35 auf 20 zurück – mit dem Trend zur Fortsetzung. Denn soeben starteten Brugg und Villnachern Fusionsabklärungen, und auf dem Birrfeld erwägen vier weitere beziehungsweise neu noch drei Gemeinden den Zusammenschluss. Der Konzentrationsprozess kostete den Bezirk Brugg Substanz. Er verlor 1919 Hektaren an Fläche und 1900 Einwohner, weil Hottwil (im Jahr 2010) sowie Bözen, Effingen und Elfingen (letztes Jahr) mit Nachbargemeinden fusionierten und in den Bezirk Laufenburg wechselten.

Die erste Zwangsheirat
Eine erste Veränderung im Gemeindebestand des Bezirks Brugg gab es sechs Jahre nach der Kantonsgründung. Der Regierungsrat teilte 1809 die Gesamtgemeinde Lauffohr mit den Dorfschaften Lauffohr, Rein und Rüfenach wegen Reibereien unter den Ortsteilen in drei eigenständige Gemeinden auf. Doch auch zwischen den nunmehr autonomen Nachbarn entstanden immer wieder Konflikte. Zudem häuften sich die Rücktritte in den Gemeinderäten. 1889 waren bei einer Ersatzwahl 21 Wahlgänge nötig, wie der Historiker Max Baumann in der Rüfenacher Ortsgeschichte vermerkte. 

Deshalb kam den Kantonsbehörden ein Brief des Friedensrichters des Kreises Rein zu den chronischen Problemen sehr gelegen. Denn die Regierung verfolgte das Ziel, kleine Gemeinden aufzulösen. So sollte Rein wieder mit Rüfenach verschmolzen werden. Beide Gemeinden beschwerten sich erfolglos beim Bundesgericht. Der Grosse Rat verfügte die Eingemeindung auf den 1. Januar 1898. Das 100-Jahr-Gedenkdatum wurde 1998 mit einem Fest gewürdigt. Doch den diesjährigen 125. Geburtstag Rüfenachs musste der Gemeinderat mangels Unterstützung aus Vereinen und Bevölkerung abblasen.

Kleine Gemeinden im Visier
Bereits drei Jahre nach der «Zwangsheirat» von Rein und Rüfenach wurde 1901 das 290 Einwohner kleine Altenburg unfreiwillig mit Brugg vereint. Das Dorf hatte weder finanzielle Probleme noch Mühe, fähige Behördenmitglieder zu rekrutieren. Die Gemeindeversammlung bekundete denn mit 42 zu 2 Stimmen den Willen zur Eigenständigkeit. Aber das kantonale Departement des Innern forcierte die Fusion, und die Stadt Brugg war daran interessiert, weil die Gebietserweiterung ihre Entwicklung begünstigte.

Gleichzeitig nahm der Kanton Umiken, Riniken, Birrenlauf (das spätere Schinznach-Bad), Scherz, Habsburg, Gallenkirch und Linn als «Eingemeindungskandidaten» ins Visier – vorerst erfolglos. Doch hundert Jahre später waren diese Gemeinden, mit Ausnahme von Habsburg und Riniken, alle fusioniert. Dabei sah der Kanton von weiteren Zwangsfusionen ab. Als 1921 die Eingemeindung von Umiken zu Brugg zur Debatte stand, beschloss der Grosse Rat, nichts mehr gegen den Willen der Gemeinden zu unternehmen.

Taktgeber Gemeindeautonomie
Jahrzehntelang getraute sich der Kanton nicht mehr, die Gemeindeautonomie infrage zu stellen, er hielt sie sogar gegen den Willen der Beteiligten hoch. Als die Stimmberechtigten von Lauffohr nach zwei befürwortenden Gemeindeversammlungsentscheiden und einer Urnenabstimmung den Anschluss an Brugg ein drittes Mal mit 97 Ja zu 64 Nein bekräftigten und die Stadt der Vereinigung ebenfalls mit 594 Ja zu 409 Nein zustimmte, wertete der Grosse Rat die Willenskundgebung als zu wenig eindeutig. Er verweigerte mit 110 zu 20 Stimmen die Fusion.

Aber in Lauffohr unternahmen die Fusionsbefürworter einen neuen Anlauf. Der bisherige fusionskritische Gemeinderat wurde in die Wüste geschickt. Auch aus Brugg kamen deutliche Signale. Der Einwohnerrat befürwortete den Zusammenschluss einstimmig. Eine Urnenabstimmung bestätigte ihn mit 1095 Ja zu 387 Nein. Doch nach dem Schulhaus- und Turnhallenneubau bröckelte in Lauffohr die Zustimmung. Nur noch knapp mit 113 Ja zu 100 Nein – ohne Frauenstimmrecht – hiessen die Stimmbürger die Fusion 1969 erneut gut. Abermals war der Kanton am Zug. Die vorberatende grossrätliche Kommission lehnte die Verschmelzung wiederum ab, doch der Rat hiess sie im zweiten Anlauf mit 103 zu 22 Stimmen gut.

Verstärkte Fusionsbewegung
Danach dauerte es 37 Jahre, bis mit Villigen und Stilli 2006 die nächste Gemeindefusion im Bezirk Brugg zustande kam. Und in kurzen Abständen ging es weiter. Brugg konnte den ursprünglich engen Stadtbann nach den Eingemeindungen von Altenburg und Lauffohr durch den Zusammenschluss mit Umiken, 2010, und mit Schinznach-Bad, 2020, nochmals erweitern. Oberflachs kam 2014 zu Schinznach, Scherz 2018 zu Lupfig. Die vier Bözberggemeinden Unter- und Oberbözberg, Gallenkirch und Linn spannten 2013 zusammen und machten die 1872 erfolgte Aufteilung von Unter- und Oberbözberg rückgängig. Mit der Vereinigung von Bözen, Effingen, Elfingen und Hornussen zu Böztal, 2022, ging dem Bezirk Brugg eine landschaftliche Perle ennet dem Bözberg verloren.

Mittlerweile war klar, dass Fusionsvorhaben am besten von unten angestossen wurden. Der Kanton begann Fusionsprozesse zu fördern, indem er fusionsbereiten Gemeinden Kosten- und Ausgleichsbeiträge für strukturelle und organisatorische Anpassungen gewährte. So erhielt die Gemeinde Bözberg einen Einmalbeitrag in Höhe von 2,66 Millionen Franken sowie von 2013 bis 2020 garantierte jährliche Finanzausgleichszahlungen von 529 000 Franken. Die 2010 entstandene Gemeinde Mettauertal, der sich Hottwil aus dem Bezirk Brugg anschloss, bekam die bisherige Rekordsumme von 15 Millionen Franken.

Wachsende Ansprüche
Die Auslöser für Gemeindefusionen sind vielfältig. Ursprünglich standen vor allem finanzielle Umstände im Vordergrund. Kleinere und steuerschwache Gemeinden kamen oft nur mit Mühe über die Runden. Die Einführung und die Verstärkung des Finanzausgleichs senkten diese Hürde. Dafür strapazieren personelle Sorgen das Milizsystem. Die Rekrutierung von Behördenmitgliedern ist mühsamer geworden. So fand Mülligen bei mehrfachen Gemeinderatsdemissionen keine Kandidierenden und musste vorübergehend mit einer dreiköpfigen Exekutive auskommen.

Ein nicht zu unterschätzender Fusionsfaktor sind die wachsenden Service-public-Ansprüche sowie die Fülle und die Komplexität der Gemeindeaufgaben etwa im Bau-, Planungs- und Umweltbereich oder im Sozial-, Gesundheits- und Fürsorgewesen. Sie rufen nach professioneller Bearbeitung und zwingen besonders kleinere und mittlere Gemeinden zum Ausbau der Verwaltungsstrukturen. Dann stellt sich die Frage nach effizienter Bewältigung, nötigenfalls vermehrter Zusammenarbeit – oder dem Zusammenschluss mit Nachbarn. Doch bringen Fusionen, was sie versprechen?

Alte Wurzeln pflegen
Die Rechnung ging für finanzschwächere Gemeinden im Bezirk Brugg insofern auf, als ihr Steuerfuss nachher in der Regel tiefer war als vor der Fusion. Allerdings erwies sich dieser Vorteil nicht immer als nachhaltig, wie Scherz erfuhr: Fünf Jahre nach dem Anschluss an das steuergünstige Lupfig sah sich die fusionierte Gemeinde zu einer markanten Steuerfusserhöhung gezwungen. Neben messbaren finanziellen Kriterien spielen in den Fusionsbilanzen «weiche» Faktoren eine Rolle. Es komme etwas Wehmut auf, sagte der fusionsbereite Scherzer Gemeindeammann Hans Vogel 2017 dem SRF-Regionaljournal. Aber der Name Scherz, versprach er, werde nicht von der Landkarte verschwinden. Tatsächlich trägt die Ortstafel weiterhin den früheren Namen – samt der offiziellen neuen Gemeinden in Kleinschrift, wie das mittlerweile bei allen fusionierten Gemeinden der Fall ist.

Hingegen gab es auf dem Bözberg nach dem Zusammenschluss der vier Gemeinden einen Streit, der noch vor Bundesgericht schwelt, weil die alten Dorfnamen im Ortschaftsregister verschwanden, worüber man sich besonders in Linn aufregt. Hier wurden zur Wahrung der lokalen Interessen ein Dorfverein und der Verein Pro Linn gegründet. Das Gleiche taten die Scherzer. Andere fusionierte Orte behielten ihre aktiven Dorfvereine, so Lauffohr die Musikgesellschaft und Oberflachs den Turnverein.

Die nächsten Projekte
Ob die weiteren Fusionspläne von Brugg-Villnachern und auf dem Birrfeld zum Blühen kommen, wird sich weisen. Im ersten Fall wird Villnacherns Haltung ausschlaggebend sein: Was bekommt die Gemeinde für die Aufgabe ihrer Selbstständigkeit? Für Brugg dürfte eine weitere Stärkung der Position als Zentrum erstrebenswert und verkraftbar sein.

Die Birrfelder Fusionspläne sind vorerst ins Stocken geraten, weil Mülligen ausgestiegen ist. Für das Dorf an der Reuss hat sich die Kooperationsbedürftigkeit neuerdings reduziert, weil die behördlichen Vakanzen geschlossen werden konnten und die Gemeindekasse vom neuen Kiesabbauvertrag mit der Holcim AG profitiert. Die Nachhaltigkeit dieser Besserungen ist offen. Aber wenn sich später eine Fusion aufdrängte, käme wohl eher Windisch infrage. Die Vereinigung von Birr und Lupfig erschiene aber insofern logisch, weil beide Orte zumindest optisch zusammengewachsen sind. Auch ihre finanziellen Unterschiede sind kleiner geworden. Bei der Beziehungspflege täte der «Verlobung» noch etwas Empathie gut.