Die Literaturtage am Wendepunkt

Im Hinblick auf die Brugger Literaturtage 2024 sucht die Literaturkommission nach einer neuen Besetzung und zukunftsfähigen Strukturen.
«Es ist mir ein Anliegen, dass die Literaturtage weiterhin bestehen», betonte Leo Geissmann (links) im Gespräch mit Werner Bänziger. (Bild: cd)

Im Gegensatz zu anderen Städten hat Brugg keine Kulturkommission. Davon ist nicht nur das Zimmermannhaus Kunst & Musik betroffen, für dessen Arbeit in der Kulturvermittlung soeben an der letzten Einwohnerratssitzung am Freitag mit knapper Mehrheit weitere Stellenpensen genehmigt wurden. An der Sitzung hatte Leo Geissmann, Vizeammann und Ressortleiter Kultur, dem Stadtparlament mitgeteilt, dass man derzeit für das Zimmermannhaus eine Strategie entwickle. Doch vom bislang fehlenden Gesamtkulturkonzept sind nebst den Kulturhäusern auch die Literaturtage betroffen.  

Überforderte Kommission
Ein Jahr vor der 20. Ausgabe des Literaturfestivals in Brugg ist derzeit unklar, ob die literarische Veranstaltung überhaupt fortgeführt werden kann. Denn nach diversen Rücktritten besteht die Programmgruppe der Literaturkommision, die bei der Organisation der letzten Literaturtage 2022 noch fünf Mitglieder zählte, derzeit nur noch aus dem Präsidenten Werner Bänziger, der seit zehn Jahren Vorsitzender der Literaturtage ist. Im Gespräch mit Vizeammann Leo Geissmann und dem «General-Anzeiger» refklektiert Bänziger: «Vieles hat sich lang bewährt, aber die Struktur der Organisation ist nicht mehr tragfähig und kann so nicht weitergeführt werden. Die Vorstellungen darüber, was aus den Literaturtagen werden soll, gehen auseinander.»

Die Literaturkommission ist unterbesetzt und überfordert. Bänziger wünscht sich neue motivierte Mitglieder, welche die Programm- und Betriebsgruppe in der Literaturkommission besetzen wollen und hat ein Inserat ausgeschrieben. Für sich habe er das Fazit gezogen, dass es nach zehn Jahren Zeit sei, das Zepter an eine nächste Generation zu übergeben. «Es soll sich ein Team formieren können, das nicht in meinen Schatten steht», so Bänziger selbstkritisch.

Vierzigjährige Tradition
Das Literaturfestival blickt auf ein Bestehen von beinahe vier Jahrzehnten zurück und ist ein fester Bestandteil in der Brugger Kulturagenda geworden. Seit fast 40 Jahren führt es im Wechsel mit den Deutsch-Schweizer Literaturtagen in der Partnerstadt Rottweil Schreibende und Lesende beider Länder zusammen. Dass das Publikum kostenlos an dieser familiären Literaturbiennale einer national und international bekannten Autorenschaft aus arrivierten sowie noch unbekannteren Schreibenden begegnen kann, zeichnet die Literaturtage aus und begründet deren Erfolg. Die Organisation und Durchführung des Literaturfestivals in Brugg prästierte bislang die Literaturkommission in Freiwilligenarbeit. «Die Unzufriedenheit vieler Freiwilliger ist zu gross geworden, die Bereitschaft, ehrenamtliche Arbeit zu leisten, ist drastisch gesunken und stösst an ihre Grenzen», stellte Bänziger schon vor und während der letzten Durchführung des Literaturfestivals fest.

Literaturtage vor dem Aus?
Eine strukturelle Veränderung ist in Bänzigers Augen unumgänglich, eine übergeordnete Projektleitung hält er für die beste Lösung. «Unter den gegebenen Bedingungen werde ich mich zurückziehen. Ich möchte, dass Brugg seine Verantwortung überninmmt», stellt er klar. In einem Brief, der dem «General-Anzeiger» vorliegt, hat sich die Literaturkommission an die Stadt Brugg gewendet und ihr die Idee unterbreitet, die Projektleitung an sie abzutreten, um das Literaturfest in eine zukunftsfähige organisatorische Struktur zu überführen. «Letztlich zielen unsere Gedanken darauf ab, dass sich die städtischen Behörden überlegen, was ihnen die Literaturtage wert sind», heisst es im Schreiben. Das Einfachste wäre, die Literaturtage einzustellen. «Das würde den Aufwand in jeder Hinsicht minimieren. Ob das dem Image einer kulturell ambitionierten Kleinstadt gerecht würde, ist eine andere Frage.»

Leo Geissmann betonte im Gespräch gegenüber Bänziger: «Es ist mir ein Anliegen, die Literaturtage als niederschwelliges Angebot weiterzuführen.» In Brugg werden die Kulturbeiträge bei der Budgetierung durch den Stadtrat festgelegt. «Das Kulturbudget enthält primär wiederkehrende Beiträge an ortsansässige Gruppen, Vereine und Organisationen und ermöglicht diesen eine Planungssicherheit für ihre kulturellen Tätigkeiten in Brugg», erklärt der Vizeamman. Eine direkten Zusammenhang zwischen den Literaturtagen und einem bislang fehlenden Kulturkonzept geschweige denn einer fehlenden Kulturkommission sehe er nicht: «Solange die städtischen Kulturbeiträge so festgelegt sind, erübrigt sich aus meiner Sicht eine Kulturkommission.» Geissmann signalisierte jedoch eine grundsätzliche Offenheit seitens der Stadt, bei organisatorischen und administrativen Belangen unterstützend zu wirken und den Literaturtagen somit zu Kontinuität zu verhelfen.

Kulturkonzept in Aussicht
Geissmann sieht die Schwierigkeiten vielmehr in fehlenden Mitteln liegen als in einem fehlenden Kulturkonzept. «Wir haben keine Kulturprozente, um Ressourcen zu schaffen», erklärt er. Ein Kulturkonzept werde aber derzeit erstellt und bis Ende Jahr präsentiert, stellt der Vizeammann in Aussicht.

Werner Bänziger versichert nachdrücklich: «Die Nachfrage nach einem Kulturangebot besteht unbestritten. Die Literaturtage sind ein grosser Erfolg, über mangelndes Publikum haben wir uns nie beklagen können, und es ist uns stets gelungen, tolle Autorinnen und Autoren nach Brugg zu holen.»