«Für mich ist der Tod etwas ganz Normales», sagte Luise Thut im Video, das zu ihrem 95. Geburtstag am 28. Februar dieses Jahres gedreht wurde. Damit thematisierte sie ein weiteres Mal die Art und Weise des Sterbens. Ihr ging es um einen würdigen letzten Lebensabschnitt. Sie setzte sich mit grosser Energie für die Palliativpflege ein. Die Palliativpflege bietet Patienten, die an einer fortschreitenden, unheilbaren Krankheit leiden, von der Diagnose bis zum Lebensende schmerzlindernde, psychosoziale und spirituelle Unterstützung. Sie ist etwas ganz anderes als die aktive Sterbehilfe oder die Beihilfe zum Suizid.
Ein Schlüsselerlebnis
In den 1980er-Jahren, als die Palliativbetreuung in der Schweiz noch weitgehend unbekannt war, setzte die 60-jährige Luise Thut alle Hebel in Bewegung, um dieses Angebot im Aargau einzuführen. Ihr Schlüsselerlebnis hatte sie 1989, als eine Freundin in den USA an Krebs starb – liebevoll in einem Hospiz umsorgt. Fortan widmete sie sich selbst diesem Thema, zunächst mit der eigenen Ausbildung zur «Certified Hospice Trainerin» in Florida. Unermüdlich weibelte sie danach für ihr Anliegen und arbeitete unter anderem mit der schweizerisch-US-amerikanischen Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross sowie der britischen Hospiz-Pionierin Cicely Saunders zusammen.
Mit Gleichgesinnten gründete Luise Thut 1994 den Aargauer Hospiz-Verein. Das erste Standbein war die ambulante Sterbebegleitung zu Hause durch Freiwillige. Zur Beschaffung der Mittel für einen Hospizbetrieb entstand 1998 die Luise-Thut-Stiftung. Sieben Jahre später erfüllte sich der Wunschtraum der Pionierin: In den Räumen des ehemaligen Klosters Gnadenthal ging das erste stationäre Hospiz mit vier Betten auf. 2010 wurde das Hospiz in das dritte Stockwerk des ehemaligen Bezirksspitals Brugg verlegt und auf zehn Zimmer erweitert. Hier finden Schwerstkranke mit begrenzter Lebenszeit ein Zuhause mit qualifizierter Betreuung, wenn der Verbleib in der vertrauten Umgebung nicht mehr möglich ist.
Grosses Bedürfnis vorhanden
Wie sehr das Hospiz Brugg einem Bedürfnis entspricht, zeigten letztes Jahr die 94-prozentige Bettenauslastung und die über 3000 Pflegetage, die das 16-köpfige Pflegeteam und über 40 Freiwillige mit 4400 Einsatzstunden leisteten. Erstmals starben über hundert Menschen im Hospiz. Dank Luise Thuts Initiative besitzt der Aargau ein kompetentes stationäres und ambulantes Palliative-Care-Angebot, ergänzt durch Trauertreffs, wo Menschen zusammenfinden, die einen Verlust erlebt haben. Bemühungen um eine zweite aargauische Hospizstation haben sich bis jetzt nicht ausgezahlt, ein Projekt in Zofingen scheiterte an finanziellen Hürden.
Der Hospiz-Verein Aargau ist eine Non-Profit-Organisation mit rund tausend Mitgliedern. Das Hospiz in Brugg ist rechtlich der Langzeitpflege zugeordnet und rechnet seine Leistungen wie ein Alters- und Pflegeheim ab. Für die Patientinnen und Patienten fallen die Kosten für die Hotellerie und die palliative Betreuung sowie ein geringer Selbstbehalt an den Pflegekosten an. Die Restkostenfinanzierung trägt der Verein aus Spendenerträgen. Er bezieht keine Beiträge von Kanton und Bund.
Ehrungen für die Pionierin
Für ihr Lebenswerk wurde Luise Thut mehrfach geehrt. Von der Freiämter Rotkreuz-Sektion erhielt sie den Rotkreuz-Preis, vom Aargauischen Katholischen Frauenbund den Sanitas-Frauenpreis. Die Krebsliga Aargau zeichnete auch den Hospiz-Verein aus, und dieser wiederum ernannte seine Gründerin zur Ehrenpräsidentin. Das Müllerhaus Lenzburg widmete der Pionierin im vergangenen Februar zu ihrem 95. Geburtstag eine Ausstellung. Schon 2015 wurde ihr Wirken im Buch «Ein Haus fürs Leben» gewürdigt.
Wegbegleiterinnen und Weggefährten bezeichneten Luise Thut als charismatische Persönlichkeit, als einfühlsam, bescheiden und demütig, aber auch als hartnäckig und zielstrebig. Weisses, akkurat frisiertes Haar, feine Gesichtszüge und lebhafte blaugrüne Augen unterstrichen ihre Erscheinung. Sie wurde 1928 in München geboren und erlebte als junge Frau den Krieg. Der Wunsch, Kinderärztin zu werden, scheiterte am Geld. Sie reiste in die USA, übernahm auf dem 1948 eingeweihten New York International Airport VIP-Betreuungsaufgaben und lernte dort den Swissair-Piloten Heinz Thut kennen. Nach Aufenthalten in Bangkok und Hongkong liessen sie sich im Aargau nieder.
Am 14. Juli 2023 folgte Luise Thut ihrem vor zehn Jahren verstorbenen Gatten, mit dem sie 51 Jahre verheiratet war, und hinterliess ein Legat, das die menschliche Würde bis in den Tod hochhält. Dankbar schrieb sie: «Ich war ein Lieblingskind des Herrgotts.»