«Als Achtjähriger war ich Hardrock-Fan»

Jeder fängt klein an: Das Echo-Jugendprogramm am Brugg-Festival Anfang September ist Initiant Sebastian Bohren ein grosses Anliegen.
An der Musikschule Brugg wird der Nachwuchs gefördert: Irene Bütler dirigiert das Orchestra della scuderia am Adventskonzert der Musikschule 2022 in der Stadtkirche Brugg (BILD: zVg | Createc, Beat Kaufmann)

Man kann nicht behaupten, dass Sebastian Bohren (36) schon als Primarschüler mit Mozart und Mendelssohn aufgewachsen wäre. Trotzdem ist er heute ein Stargeiger, wohl der beste seiner Generation in der Schweiz. «Als Achtjähriger war ich Hardrock-Fan», sagt er, «und im Oktober gehe ich wieder zum Deep-Purple-Konzert.» Im Alter von 18 und 22 Jahren habe er eine wilde Phase gelebt, sei viel in Zürich ausgegangen und erst in den Morgenstunden wieder nach Hause gekommen. Das zeigt nicht nur, wie offen er für andere Musikrichtungen ist, sondern ebenso, wie unverkrampft er an klassische Musik herangeht – studierte er doch zu diesem Zeitpunkt bereits ernsthaft für eine Solistenkarriere.

«Damals war ich sehr glücklich mit meinem Geigenlehrer Markus Lehmann»: ­Sebastian Bohren an Weihnachten 2000. (Bild: zVg)

Dass ihm die Vermittlung von Musik an ein junges Publikum ein Herzensanliegen ist, zeigt sich beim Projekt Echo des Brugg-Festivals, das vom 2. bis zum 9. September erstmals stattfindet. «Das Echo-Projekt des Brugg-Festivals ist ein Pilotprojekt», so Bohren. «Wir werden jetzt Erfahrungen sammeln, um es im nächsten Jahr hoffentlich ausweiten zu können.» In Kooperation mit der Schule, der Bezirksschule und der Musikschule Brugg werden in der ersten Septemberwoche an die 450 Kinder und Jugendliche Vorabaufführungen, moderierte Generalproben und Mittagskonzerte besuchen. Ihr Lehrpersonal bereitet sie auf die Stücke vor. «Wir wollen ein sanftes Ersterlebnis, einen kleinen Eindruck hinterlassen», sagt Sebastian Bohren.

Erst als Student ins Konzert
Bohren glaubt weniger daran, dass die Schülerinnen und Schüler nach dieser Einführung Klassikkonzerte besuchen wollen. Doch er wünscht sich, deren Eltern stärker in seiner anschliessenden Stretta-Konzertreihe vertreten zu wissen. «Ich ging erst als Student ins klassische Konzert und denke, dass diese Jungen vielleicht in 20 Jahren in den Konzertsaal kommen, wenn sie sich an ihre frühen Erfahrungen erinnern.» Das Fundament für diese Erinnerungen zu legen, ist ihm wichtig: «Wir dürfen die Musikvermittlung nicht nur den grossen Häusern überlassen, die den öffentlichen Auftrag dazu haben», so der in Umiken aufgewachsene Geiger. «Freie Musiker können hier flexibler und innovativer agieren.»

Unterstützt wird Bohren vom gerade abgetretenen Musikschulleiter Jürg Moser sowie von dessen Nachfolger Stephan Langenbach. Ausserdem hat Gesamtschulleiter Siegbert Jaeckle alle Eltern angeschrieben und sie auf die einmalige Gelegenheit für ihre Kinder aufmerksam gemacht, die Musik hautnah kennenzulernen – auch die von gleichaltrigen Interpretinnen und Interpreten. So wird die zwölfjährige Geigerin Edna Unseld vor ihrem Mittagskonzert am 4. September insgesamt 130 Sieben- bis Elfjährigen ihr Programm erklären. «Ihre Begabung ist ein Naturereignis», sagt Sebastian Bohren anerkennend. Gemeinsam mit ihrer klavierspielenden Schwester Romy stellt Edna in Brugg eine Beethoven-Sonate und Violinkompositionen von Saint-Saëns vor.

Für Sebastian Bohren bietet das Konzert der Unseld-Schwestern ein Wiedersehen mit seinem früheren Musiklehrer an der Bezirksschule Brugg, Simon Moesch. Auch er ist ein starker Fürsprecher des Echo-Programms, genauso wie Walter Rambousek. Dem Mitglied des Beirats der Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg obliegt die Gesamtverantwortung für das Echo-Projekt. Damit sich alle Kinder, unabhängig von «Echo», den Konzertbesuch leisten können, übernimmt die in Brugg situierte Julius Stäbli’sche Stiftung den Eintritt für Brugger Schülerinnen und Schüler, die in Begleitung einer zahlenden erwachsenen Person erscheinen.

Geniale Musik von Vivaldi
Zu den Höhepunkten des Brugg-Festivals gehören die populären «Vier Jahreszeiten» von Vivaldi. «Für unsere Ohren mag dieses Werk sehr abgespielt klingen, aber für ein Kind ist es der Himmel», sagt Sebastian Bohren. Vivaldi habe ihn schon von klein auf fasziniert, als er über Audiokassetten bei langen Autofahrten mit den Eltern mit Klassik in Berührung gekommen sei. «Es ist einfach geniale Musik, nicht so intellektuell wie Bach und zugänglicher als Mozart», so der Geiger. «Zumindest mich als Hardrock-Fan hat Vivaldi am meisten angesprochen.» Die Aufführung in Brugg übernimmt das Georgische Kammerorchester Ingolstadt unter der Leitung von Lena-Lisa Wüstendörfer.

Die Kinder der Primarschule Schinznach-Bad freuen sich auf das Konzert des Perkussionisten Fabian Ziegler im Cinema Odeon vom 7. September. Denn Schlaginstrumente liegen bei Jugendlichen derzeit stark im Trend; ein Gutteil der rund 4000 Schüler an der Musikschule Brugg lernt, auf diesen Instrumenten zu spielen. Ziegler wird sein Instrumentarium vor dem Fifty-five-Minutes-Mittagsintermezzo vorstellen. Das wäre sicher auch eine Veranstaltung nach dem Geschmack von Sebastian Bohrens kleinem Sohn Lennart (1).

Sein Sohn liebt den Rhythmus
«Er hört alles, sogar komplexe moderne klassische Musik, aber das Lustige ist, er mag am liebsten Techno», sagt der Vater, «oder afrikanische Trommel, also alles mit Rhythmus.» Der Kleine stelle nichts infrage, allerdings spüre er intuitiv, was funktioniere und gut komponiert sei. «Wenn es Längen hat, bleibt er nicht so aufmerksam und schreit früher.» Den Nachwuchs hat Bohren mit seiner koreanischen Frau, und in ihrer Heimat würde jedes Kind ein Instrument spielen, erzählt er. Klassische Musiker würden dort gefeiert wie Rockstars. «Wir können der Kulturgeschichte in Europa rückwirkend keine andere Richtung geben», sagt er, «aber wir Musiker stehen in der Verantwortung, den Jungen viel anzubieten, damit sie das Interesse nicht verlieren.»

2. bis 9. September
Verschiedene Konzertorte, Brugg
bruggfestival.ch