Sie oder Du?

In der Rubrik «Querbeet» beleuchten namhafte Autorinnen und Autoren ein von ihnen gewähltes Thema – und sorgen damit wöchentlich für Inspiration.
In der Rubrik «Querbeet» beleuchten namhafte Autorinnen und Autoren ein von ihnen gewähltes Thema – und sorgen damit wöchentlich für Inspiration.

«Neumarkt I. Souterrain. Werbestand. Davor ein junger Mann. Er sammelt Spenden für eine Organisation. Er spricht Hochdeutsch. «Hallo, sach mal, hast du n Moment Zeit?» Ich frage zurück: «Warum duzen Sie mich?» Wenig verdutzt meint er: «Ich kann auch Sie.» – «Offenbar nicht», antworte ich und gehe meiner Wege.

Sie oder Du? Das ist hier die Frage. Obs edel im Gemüt, das zu schnelle Du zu ertragen? Fragen wir den Illuminaten Adolph Freiherr Knigge. Hätte ihn solch Ungemach echauffiert? Wohl kaum, denn in seinem Hauptwerk «Über den Umgang mit Menschen» war das im 18. Jahrhundert kein Konversationsstoff.

Gut, Knigges Bestseller ist kein Benimmbuch, das rät, welches T-Shirt zu welcher Technoparty passt. Oder wer wen warum zuerst und wie grüsst. Er sagt uns bloss, wie man sich freundlich und klug aufführen soll, somit Conduite und Contenance beweist, um in seiner Sprache zu reden.

Wir hier fragen uns aber eher, wann darf oder soll man duzen? In Clubs, Vereinen, Politik, Lehrerzimmern gilt das Du, klar. Und in Unternehmen? Dort soll es auch schon mal par ordre du mufti verfügt worden sein. Finde ich unschön. Und dort ein Bewerbungsgespräch mit «Hallo Chef, wie gehts, altes Haus?» zu eröffnen, scheint ja ebenfalls nicht gerade Erfolg zu versprechen.

Gibts Regeln? Vielleicht diese: Der hierarchisch Höhergestellte, der Ältere und die Dame bieten das Du an. Was aber, wenn Sie ein Du contre cœur auf die Nase gepappt kriegen? Der Satz von den nicht gemeinsam gehüteten Schweinen zeugt nicht gerade von gesellschaftlich erlesener Delikatesse. Was wäre hier angemessen? «Bitte entschuldigen Sie mich. Ich sehe gerade, die N. N. sind angekommen. Ich muss sie begrüssen.» Oder einfach sich wegdrehen, geht auch nicht. Was also? Ich bitte Sie um Vorschläge. En passant: In Frankreich siezen sich Ehepaare der Haute Bourgeoisie heute noch. Ist in gewissen Lagen doch sehr reizvoll.

Somit empfehlen sich höfliche Distanz und Sparsamkeit mit dem Du? Denn wer will schon per Du mit Leuten gemein werden, die Knigge «Aventuriers, Prahler, Windbeutel und seichte Köpfe» nennt?

info@valentin-trentin.ch