Bruggs 158-jährige Buchhandlungstradition

Mit der Eröffnung der Buchdruckerei Effingerhof im Jahr 1865 bekam Brugg die erste Buchhandlung – und hat sie bis heute behalten.
Universum der Literatur: Buchhandlung im Effingerhof in den 60er-Jahren. (Bild: zVg)

Gottlieb Friedrich Fisch-Hagenbuch, ein gebürtiger Brugger in Zürich, hielt Wort. Er versprach der Brugger Ortsbürgergemeindeversammlung, die ihm mit einer bemerkenswerten Standortförderungsaktion am 5. Dezember 1863 den alten Effingerhof unentgeltlich (!) abtrat, «in hier successive ein grossartiges Geschäft zu etablieren, bestehend in Buchdruckerei, Schriftgiesserei, Lithografie und Buchbinderei, nebst Herausgabe eines Zeitungsblatts und Führung einer Buchhandlung».

Im Mai 1864 begann der Abbruch des mittelalterlichen Effingerhofs, in dem sich der habsburgische Adel auf der Durchreise gern aufhielt. Das kolossale Gebäude neben der Stadtkirche, das beim Stadtbrand in der Brugger Mordnacht am 30. Juli 1444 verschont blieb, gehörte seit 1393 dem Brugger Schultheiss Friedrich Effinger – nach dem es benannt wurde – und danach 250 Jahre lang der Stadt, die es als Lager benutzte.

«Anhänglichkeit an Brugg»
Der neue Besitzer eröffnete im Mai 1865 den vom Zürcher Architekten Wilhelm Waser entworfenen Neubau. Er bestand aus der Druckerei, wie es der Bauherr versprochen und der Gemeinderat der Bürgerschaft bei der Abtretung der Liegenschaft pathetisch empfohlen hatte: «…auf dass da eine lichte Werkstatt entstehe, in die industrielle Thätigkeit und Intelligenz zum Nutzen und Frommen unserer Vaterstadt einkehren werden». Daneben entstand anstelle des vorherigen Hauses Zum roten Kopf ein Wohnhaus mit Buchhandlung und Comptoir. Aber schon nach knapp 50 Jahren drohte das Gebäude einzustürzen. Es wurde abgebrochen und mit mehr Platz für die Buchhandlung-Papeterie sowie Büro- statt Wohnräumen neu aufgebaut.

Gottlieb Friedrich Fisch-Hagenbuch wuchs als Sohn einer Lehrerfamilie in Brugg auf. Nach der Schriftsetzerlehre sowie Aufenthalten in Lausanne, Paris und Genf leitete er den grafischen Betrieb Orell Füssli in Zürich, der dem Schwiegervater Johannes Hagenbuch gehörte. Um seine Verbundenheit mit dem Geburtsort auszudrücken, kam Fisch auf die Idee, in Brugg einen Filialbetrieb aufzubauen. Weil sich Verwandte aus dem Kreis von Orell Füssli an der Firma beteiligten, hiess sie Buchdruckerei Fisch Wild & Comp. Nach dem Tod des Gründers, 1887, änderte der Name in Effingerhof AG (seit 2018 heisst sie Effingermedien AG). Heute ist Orell Füssli in Brugg mit der gleichnamigen Buchhandlung, der Nachfolgerin der vor 158 Jahren im Effingerhof eröffneten Buchhandlung, wieder beziehungsweise noch immer präsent.

Geistige Kost und Baumaterial
Der Hoffnung, das neue «Druckerei-Etablissement» tue dem Brugger Geistesleben gut, wurden Fisch und Konsorten rasch gerecht. In der Buchhandlung füllten mehrsprachige Wörterbücher, Schulhefte und Landkarten die Regale. Auch belletristische Werke fehlten nicht. Bücherkunden waren beispielsweise die fast zur gleichen Zeit, 1864, eröffnete Stadtbibliothek sowie die Lesegesellschaft und der Cäcilienverein Brugg, ferner ein Zirkel in Riniken, aber ebenso Stadtbürger aus den Familien Frölich, Belart, Füchslin, Rauchenstein, Anwalt Dr. Rohr, Apotheker Stäblin, Stadtpfarrer Vögtlin und nicht zuletzt Frauen der Brugger Honoratioren wie die Damen Fischer, die bereits 1866 «La Mode Illustrée», «Das fleissige Hausmütterchen» sowie englische und französische Literatur bezogen.

Als Werbeträger dienten der Fisch-Buchhandlung der gleichaltrige, im Effingerhof gedruckte «Aargauische Hausfreund» und später das «Brugger Tagblatt». Der Arzt Dr. med. Rudolf Urech bezog nicht nur medizinische Fachliteratur, sondern beschaffte 1866 über das Buchhandlungskonto sogar Baumaterial aus dem Effingerhof-Abbruch, nämlich zehn Kubik Mauersteine zu 160 Franken für den Bau seines Kinderspitals in Brugg.

Wohn- und Ladengebäude des Effingerhofs mit Druckerei gegen den Kirchplatz, erbaut 1864/65, in einer Aufnahme von 1887. (Bild: zVg)

Ein neues Bücherparadies
Der Effingerhof druckte selbst Bücher für Orell Füssli, Scherz Schulthess und den Polygrafischen Verlag, die selbstverständlich auch den Weg in die eigene Buchhandlung fanden. Der Laden lief gut. Im Kern der Altstadt prägte ihn jene unvergleichliche Ausstrahlung, die Buchhandlungen eigen ist. Umso mehr erstaunt es nachträglich, dass die Buchhandlung-Papeterie in der 48-seitigen Jubiläumsausgabe zum 100-jährigen Bestehen des Effingerhofs, 1964, nur am Rand erwähnt wurde, während alle Abteilungen des Druckereibetriebs eine eingehende Beschreibung erfuhren.

Allerdings rückte die Buchhandlung-Papeterie schon wenig später ins Zentrum neuer Effingerhof-Pläne, denn zum Abschluss einer 15-jährigen Erneuerungs- und Erweiterungsetappe der Druckerei drängte sich ein Neubau des Bürogebäudes samt Papeterie und Buchhandlung auf. Jetzt wurde ein grosser Schritt gemacht und die beiden Läden getrennt. Der Brugger Architekt Ernst Strasser fand dafür eine geniale räumliche Lösung. Er konzipierte ein hohes Erdgeschoss mit einem Zwischengeschoss und verlegte die Buchhandlung auf eine Galerie über der Papeterie. Sie bot viel mehr Platz, einen guten Überblick auf das den Wänden entlang aufgereihte, um ein Vielfaches erweiterte Sortiment und eine ruhige Ambiance mit einem in Goldton gefärbten Spannteppich und stiller Leseecke – eine der schönsten Buchhandlungen weit und breit.

Ein Meister seines Fachs
Die Ladenqualität wurde durch die Beratungskompetenz des neuen Leiters der Buchhandlung, Ulrich Wittwer, gesteigert. Er war ein Meister seines Fachs. Wer ihn nach Themen und Inhalten fragte, bekam bündige Antworten und hilfreiche Tipps, als ob er selbst alles zwischen den Buchdeckeln gelesen hätte. Bei ihm fühlte man sich vom französischen Schriftsteller Philippe Dijan bestätigt: «Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler.» Wittwer erhob die Effingerhof-Buchhandlung zu einer Perle unter den Altstadtgeschäften.

Aber Anfang der 1980er-Jahre richtete die Brugger Geschäftswelt ihre Blicke Richtung Bahnhof, auf das erweiterte Einkaufszentrum, wo laut Prognosen «künftig die Post abgehen» sollte. Der Anziehungskraft konnte und wollte sich auch die Effingerhof AG nicht entziehen. 1982 wurde die Buchhandlung von der Storchengasse in das erste Obergeschoss des Neumarkts 2 verlegt.

Wechsel als Konstante
Mit der zunehmenden Digitalisierung und neuen Informationsmitteln wandelten sich die Konsumgewohnheiten und das Kaufverhalten der Kundschaft. Das stellte die Buchhandlungen vor neue Herausforderungen, die den Konzentrationsprozess forcierten. 1991 übernahm die Buchhandlung Meissner AG, ein Tochterunternehmen der Aargauer Tagblatt AG, die 126 Jahre alte Buchhandlung Effingerhof. Die Aargauer Tagblatt AG und die Effingerhof AG waren seit 1968, als das «Brugger Tagblatt» zum Kopfblatt des AT wurde, miteinander verbunden.

Brigitte Schenker übernahm von Ulrich Wittwer die Filialleitung von Meissner Bücher. Sie wurde später von ihrer Stellvertreterin Sabine Wörndli abgelöst. Nach deren Pensionierung kam Renata Heiden und dann Tim Gallusser. 2007 zügelte die Buchhandlung vom Neumarkt 2 auf den Neumarktplatz – jetzt wieder ebenerdig, wie ganz am Anfang 1965.