Für Sie, Renato Botti, ist die Neuinszenierung von Johann Strauss’ «Eine Nacht in Venedig» etwas Spezielles. Weshalb?
Weil sich nach 20 Jahren der Kreis schliesst. 2003 wurde ich vom damaligen Dirigenten eben dieser Operette, Cristoforo Spagnuolo, angefragt, ob ich neben ihm als Co-Leiter fungieren wolle. Was ich natürlich sehr gern tat. Das war mein Einstand in Möriken-Wildegg – dort tauchte ich in die Welt des Musiktheaters ein, was mir spannende und vielseitige neue Perspektiven eröffnete.
Sie weisen eine breit gefächerte künstlerische Arbeit als Chorleiter und Dirigent verschiedener Ensembles auf, unter anderem des Orchestervereins Bremgarten.
Ich darf tatsächlich auf eine reiche Tätigkeit blicken. Ausserdem konnte ich als musikalischer Leiter an Operetten- und Musicalbühnen wie zum Beispiel in Arth, Rheinfelden, Bremgarten sowie Möriken-Wildegg ein grosses Repertoire an Werken erarbeiten. Das Musiktheater übt auf mich eine grosse Faszination aus.
Auch die Operette «Nacht in Venedig», die für Sie ebenfalls Musiktheater ist?
Natürlich. Spreche ich von Musiktheater, meine ich jenes künstlerische Spannungsfeld, das Dialog, Bewegung und Musik verbindet und bei dem die Musik lediglich ein – wenngleich zentrales – Element ist, das sich manchmal überordnet, sich aber je nach Situation auch unterordnet. Die Musik dient dem Gesamtkunstwerk.
Nach 20 Jahren dirigieren Sie das Strauss-Werk in diesem Herbst erneut. Wo stehen Sie persönlich 2023?
(Lacht.) Ich bin 20 Jahre älter als damals. Nein, ernsthaft: Es hat sich vieles weiterentwickelt.
Was hat sich denn in der Zwischenzeit geändert?
Viele Amateurbühnen, die sich für die Operette leidenschaftlich einsetzen, haben in dieser Zeit einen unglaublichen Professionalisierungsschub erlebt. Selbst wenn sich seinerzeit die Aufführungen durchaus haben sehen und vor allem hören lassen, hat das mit dem, was in den kommenden Wochen auf der Bühne Möriken-Wildegg inszeniert und umgesetzt wird, nichts zu tun.
Musste die Bühne auf veränderte Erwartungen des Publikums reagieren?
Auf jeden Fall. Setzte man früher eine Operette aufs Programm, war das gewissermassen ein Selbstläufer. Das ist heute völlig anders.
Weshalb?
Weil das Unterhaltungsangebot viel, viel grösser ist. Das Publikum ist heutzutage zudem ungleich selektiver. Es will gut unterhalten sein, denn es hat sehr viele Vergleichsmöglichkeiten. Also müssen wir, die ein Musiktheater wie «Eine Nacht in Venedig» stemmen, nicht nur das Beste abliefern, sondern auch kreativ sein und uns weiterentwickeln.
Hand aufs Herz: Ist die Operette mit ihren vielen, oft kaum nachvollziehbaren Liebeswirren nicht veraltet? Hat sie noch eine Zukunft?
Ich habe schon viele Operetten dirigiert und mich jedes Mal aufs Neue von ihrer subtilen, farbenreichen Musik, gerade in den Werken von Strauss, begeistern lassen. Wenn es gelingt, die Figuren und Geschichten lebendig, mit Witz und Tiefgang auf die Bühne zu bringen, dann haben Stoff und Musik kein Verfalldatum.
Aber auch Sie bemerken, was viele Kulturinstitutionen feststellen: Das jüngere Publikum fehlt. Woran liegt das?
Zum einen sicherlich daran, dass jungen Menschen heutzutage ein riesiges, kaum überblickbares Angebot ganz unterschiedlicher Sparten zur Verfügung steht. Zum anderen ist die Identifikation mit der Gemeinde, in der sie leben, weniger gross als früher. Man orientiert sich überregional, die Mobilität ist um ein Vielfaches grösser.
Was unternehmen Sie, um junge Menschen für die Operette, vielmehr das Musiktheater zu begeistern?
Wir versuchen, mit gezieltem Engagement vermehrt jungen Menschen die Welt des Musiktheaters in dieser Form zu eröffnen. Dazu gehören Einladungen von Schulklassen zu den Endproben oder die Möglichkeit zur Mitwirkung von Kindern auf der Bühne. Mit Stolz darf ich sagen, dass wir im Orchester Jungtalente fördern und in die Besetzung einbeziehen.
«Eine Nacht in Venedig» wird in Möriken-Wildegg 20 Mal aufgeführt.
Früher gab es an den Bühnen oft bis zu 30 oder mehr Aufführungen. Heute lässt sich ein Saal nicht mehr so oft füllen. 20 müssen es aber schon sein, damit sich die grossen Investitionen wie Kostüme und Bühnenbau rechnen.
Sie spielen in einer überraschend kleinen Besetzung mit 21 Musikerinnen und Musikern.
Richtig. Wir gehen hier ebenfalls neue Wege und haben Strauss’ Musik neu arrangiert.
Merkt das Publikum etwas davon?
Es wird diesen Schritt kaum bemerken oder allenfalls dann, wenn durch einen etwas reduzierten Bläsersatz der Text der einen oder anderen Arie besser verständlich ist, da der Orchesterklang durchsichtiger ist. Das raffinierte Arrangement lässt aber kaum etwas vermissen – das Strauss-Klangbild bleibt erhalten.
Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit in Möriken-Wildegg besonders?
Die tolle und gegenseitig befruchtende Zusammenarbeit im Kreativteam mit meinem musikalischen Co-Leiter Ramin Abbassi, dem Regisseur und Bühnenbildner Simon Burkhalter, der Choreografin Gizella Erdös, der Bühnenbildnerin Manon Criblez und der Maske mit Fredi Schmid und seinem Team.
Sie stehen vor dem Orchester und haben dieses sowie alle Akteure auf der Bühne im Blick: ein schönes Gefühl?
(Lacht.) Ja, hoffentlich nicht nur im Blick, sondern auch in Dirigentenhand. Es juckt einen wirklich, das Gesamtkunstwerk aus Szene, Choreografie und Musik nach einer intensiven Probezeit nun auf die Bühne zu bringen. Bald ist es so weit!
Aufführungen
21. Oktober bis 1. Dezember
Gemeindesaal Möriken
operette.ch