Aufgehoben im Meer der Farben

Seine Liebe galt den Farben. Er betrachtete, malte und erforschte sie – ein Leben lang. Anfang Oktober ist Stefan Muntwyler gestorben.
Ergründete die Welt der Farben: Künstler Stefan Muntwyler. (Bild: zVg | René Rötheli)

Stefan Muntwyler wurde 1954 in Wettingen geboren und wuchs in einem Elternhaus auf, das seine musischen Talente förderte. Er machte die Ausbildung zum Primarlehrer und arbeitete nach der Patentierung drei Jahre lang in Gebenstorf. 1978 entschloss er sich, den Vorkurs der Kunstgewerbeschule in Zürich zu besuchen. Ihm schwebte eine künstlerische Laufbahn vor. Bis zu seiner Pensionierung war Stefan Muntwyler  immer wieder als Lehrer im Teilpensum tätig.

Monochrome Farbflächen
Auf einer ersten Malreise in den Süden Italiens entdeckte er 1979 die Farbgrube von Otranto, einen stillgelegten Abbau für Bauxiterz. Diese Entdeckung sollte sein Leben wesentlich mitbestimmen. Was er entdeckte, überwältigte ihn. Die freigelegten Schichten offenbarten eine reichhaltige Palette an Farben. An die 30 Farbtöne sammelte Stefan Muntwyler. «Rot- und Orangetöne, helles Rosa, gelbe Ocker, eine Schicht Schwarz, Grau in vielen Schattierungen und Weiss.» Noch war ihm nicht bewusst, dass er das klassische Material für die Herstellung von Pigmenten gesammelt hatte: farbige Erden und Minerale, die Urfarben der Malerei. Es war der Anfang seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit den materiellen Bereichen der Malerei, der Beginn seiner Forschung.

1985 erscheint das Buch «Mang Ho sagte» mit Texten von Georg Gisi und Illustrationen von Stefan Muntwyler. Es wird als eines der schönsten Schweizer Bücher ausgezeichnet. Farben werden zum Leitthema von Stefan Muntwylers Kunst und die Erforschung der Farbmittel zu seiner grössten Leidenschaft. Er sammelt alles Wissenswerte über verschiedene Aspekte der Farb- und Bindemittel: kulturhistorisch, geschichtlich, chemisch technologisch, literarisch, anekdotisch und künstlerisch. In Kursen für Erwachsene gibt er sein Wissen an ein breites Publikum weiter.

Zu Beginn der 90er-Jahre beginnt Stefan Muntwyler, die mineralischen Pigmente zu Bildern zu verarbeiten: monochrome quadratische Farbflächen. Jede Farbe wird rein aufgetragen und immer einem Stein, einer Erde oder einem bestimmten Pigment zugeordnet. Sein Atelier wird zur Farbküche. «Ich male keine Bilder mehr im klassischen Sinn. Ich male Farben.»

Farbenbuch in zweiter Auflage
Im Frühjahr 2007 gestaltet er in der katholischen Kirche Windisch die Trennwand zwischen Hauptkirche und Marienkapelle. In geduldigen 30 Tagewerken trägt er ebenso viele dünne Schichten Ultramarin aus
Afghanistan und Chile lasierend übereinander auf. Er führt das Mauerstück hinter der Marienstatue als klassisches Fresko aus, also auf frischem, noch feuchtem Putz: seine Reverenz an die alten Meister, die er verehrte, darunter insbesondere Fra Angelico.

In Zusammenarbeit mit weiteren Fachleuten hält Stefan Muntwyler sein Wissen im ersten Buch «Farbpigmente Farbstoffe Farbgeschichten» fest. Sein stetes und unermüdliches Forschen wird 2012 vom Deutschen Farbzentrum mit dem renommierten Karl-Miescher-Preis ausgezeichnet. Er entwickelt abendfüllende Programme zur Kulturgeschichte der Farbe, in denen er «Farbgeschichten: Farben zum Anfassen» präsentiert. Seine Aktivitäten verlagern sich vor allem durch vermehrte Nachfrage von Kunsthäusern, Kunstinstitutionen und Kulturveranstaltern im deutschen Sprachraum, Farbe materiell zu präsentieren.

2017 wird bei Stefan Muntwyler Parkinson diagnostiziert. Wegen eines schweren Verlaufs mit weiteren Komplikationen ist er in seinen physischen Kräften immer mehr eingeschränkt. Trotzdem hat er mit unglaublicher Energie sein Leben als Farbforscher vollendet. Im September 2022 erscheint «Das Farbenbuch», herausgegeben von Stefan Muntwyler, Juraj Lipscher und Hanspeter Schneider, in einer Auflage von 5000 Stück. Bereits zu Weihnachten 2022 ist die Auflage vergriffen. Die zweite Auflage kommt im August 2023 auf den Markt. Stefan Muntwyler konnte den riesigen Erfolg noch miterleben. Er sagt: «All meine malerischen Träume sind in Erfüllung gegangen. Das ist grossartig, dass wir das Buch zum Abschluss gebracht haben und ich es noch erleben kann.»

Am 2. Oktober 2023 ist Stefan Muntwyler zu Hause in Windisch gestorben.