Philosophie durch die Klobrille

In der Rubrik «Querbeet» beleuchten namhafte Autorinnen und Autoren ein von ihnen gewähltes Thema – und sorgen damit wöchentlich für Inspiration.

Kleine Dramen im grossen Rahmen – wir kennen es. Zum Beispiel die Zahnpastatube: Nie war sie «richtig» ausgedrückt! Ein Dauerärgernis. Paradebeispiel tausendfacher Lehre und ewiger Unbelehrbarkeit. Jede Tube war nach kurzem Gebrauch verdreht. Die Bagatelle hat Ehen zerstört; nie hats jemand zugegeben vor Scheidungsgericht. Frieden im Bad herrscht erst, seit es Zahnpasta in Plastiktuben gibt. Aber da hängt – als Konfliktstoff weiter ungelöst – noch immer die Rolle Klopapier. Hängt sie «richtig» im Metallbügel? Nämlich so, dass das Abreissblatt vorn liegt, bequem zur Hand, nicht hinten an der Wand. Gibts Papier genug? Oder muss man, wenn man sich dessen vor der Sitzung wie gewohnt nicht vergewissert hat, zweibeinig hüpfend, unversäubert, auf einem Regal danach grapschen? War der Vorgänger, die Vorgängerin wieder mal zu faul, die Rolle zu wechseln? In jeder Familie spekuliert jeder im bösen Stillen, wer Papier sparsam nutzt oder verschwendet.

Als vor drei Jahren die Coronapandemie ausbrach, wunderten sich die Medien über den damaligen Volksrun auf Klopapier. Was half Klopapier gegen Ansteckung? Das Volk handelte instinktiv, wie in Trance: In Notzeiten wird die Bedeutung von Klopapier umfassend. Das ist nichts Medizinisches, sondern meditativ, etwas wie Philosophie.

Natürlich will ich das erläutern – an einem weiteren Beispiel: Manchmal ist das (heute meist doppellagige) Klopapier nicht «richtig» an- oder abgerissen. Eine dünne Lage überlappt dann die andere, einzeln ist keine zu gebrauchen. Der Pedant unter uns sucht nun die perforierte Stelle, wo beide Lagen übereinstimmen, und reisst dort sauber ab. Muff, aber pflichtbewusst tut er gewissermassen Dienst am Nächsten.

Der Fatalist rollt einfach weiter und sortiert die Papiergaze aus wie einen Schleier, der den Blick trübt auf die Welt. Egal, wie viele nach ihm noch mit ungleichen Papierbahnen kämpfen – irgendwann, denkt sich der Fatalist, geht jede Rolle zu Ende, egal, ob falsch oder richtig abgerissen.

Und so scheiden sich an der Klorolle, durch die Klobrille, Okzident und Orient, Homo Faber und Buddhist.

Info@maxdohner.ch