«Am besten immer direkt auflegen!»

Wer am Telefon Opfer von Trickbetrügern wird, hat nicht nur den materiellen Schaden. Im Stück «Achtung Betrug!» wird auch Scham thematisiert.
Karin Hoffsten, Dagmar Kossow, David Wüthrich und Polizistin Andrea Abderhalden diskutieren mit dem Publikum. (Bild: is)

Schockanrufe, Enkeltrick oder falsche Polizisten: Die Methoden, mit denen Betrüger ihre Opfer am Telefon dazu bringen, Geld herauszugeben, haben in den letzten fünf Jahren enorm zugenommen. Wurden 2018 noch 432 Meldungen bei der Polizei gemacht, wovon 29 in eine Bestandesaufnahme mit einer Deliktsumme von 4000 Franken mündeten, waren es 2023 bislang 431 Fälle und ein finanzieller Schaden von 1,99 Millionen Franken (siehe Tabelle)! So überraschte es nicht, dass die Aufführung «Achtung Betrug!» des Forumtheaters Zürich am vergangenen Freitag auf grosses Interesse stiess: Über 100 Interessierte kamen zum Anlass in die Halle Träff, den die Seniorenkommission, die Landfrauen und der Kulturkreis Birmenstorf gemeinsam organisiert hatten.

Karin Hoffsten vom Forumtheater zeigt sich beeindruckt vom Grossaufmarsch. «Telefonbetrug ist ein Thema, das unangenehm ist und vor allem kein Ende nimmt», so die Schauspielerin und WOZ-Kolumnistin. Nach einer kurzen Erklärung zum Ablauf – im ersten Teil werden typische Szenen dargestellt, danach wird das Publikum einbezogen – beginnt die erste Szene. Die zwei Freundinnen Maggie (Hoffsten) und Paula (Dagmar Kossow) unterhalten sich auf einer Bank, als Paula einen Anruf von einem früheren Mitschüler erhält, der Geld für den 90. Geburtstag des ehemaligen Mathe­matiklehrers sammelt. Paula wundert sich zwar, woher er ihre Nummer hat, will aber dennoch 50 Franken überweisen. «Zuerst dachte ich, das sei jetzt so ein typischer Telefonbetrug, davon liest man ja momentan überall», sagt sie zu Maggie. Diese reagiert bedrückt. Als Maggies Neffe Beni (David Wüthrich) dazukommt und Andeutungen macht, dass seiner Tante Maggie etwas sehr Unangenehmes passiert sei, ist diese verletzt und geht.

Beni erzählt Paula, dass Maggie auf eine Telefonbetrügerin hereingefallen sei, die sich als Bankangestellte ausgegeben habe und ihr Konto vor Hackern schützen wolle, indem sie mithilfe eines Fernwartungsprogramms auf ihren Laptop zugreife. Sie schickt Maggie einen Link, diese drückt Okay – ein fataler Fehler. «Sie müssen mir Ihr Passwort nicht verraten. Geben Sie es einfach direkt ein», hat die freundliche Dame am Telefon gesagt.

Das Konto leer geräumt
Am nächsten Tag ist das Konto, auf dem Maggie und ihr Mann Heinz 25 000 Franken für eine neue Heizung angespart hatten, leer. «Wir nennen sie jetzt Schusselmaggie», macht sich Neffe Beni lustig. Nun sind die Anwesenden aufgefordert, untereinander zu diskutieren: Was ist hier passiert, was könnte man anders machen? Dagmar Kossow holt mit dem Mikrofon Wortmeldungen im Publikum ab. «Abends um sechs ruft doch keine Bank an», sagt eine Frau bestimmt. Kossow entgegnet: «Aber es ist ja ein Notfall, eine Ausnahmesituation …»

Ein Anwesender erzählt, er habe drei Tage lang Anrufe des «Swiss Police Departments» in Englisch oder Hochdeutsch erhalten. Das sei unmöglich, meinte Andrea Abderhalden von der Prävention der Kantonspolizei Aargau, die ebenfalls vor Ort ist: «Bei uns wird Schweizerdeutsch gesprochen. Und wir rufen nie an.» Bei Unglücksfällen im Ausland werde eine Patrouille der Kantonspolizei aufgeboten, die persönlich vor Ort informiere. Abderhaldens wichtigster Tipp: «Legen Sie am besten einfach direkt auf, ohne zu sprechen, und melden Sie den Anruf unter Telefon 117.» Doch Vorsicht: «Selbst wenn Sie auflegen, warten Sie unbedingt den Signalton ab, bevor sie die 117 wählen. Es kann sein, dass der Betrüger in der Leitung bleibt und Sie mit einem Fake-Polizisten sprechen.»

Das Forumtheater Zürich hat das Projekt 2021 mit Unterstützung der Altersfachstellen verschiedener Zürcher Gemeinden, der Pro Senectute und der Präventionsabteilung der Kantonspolizei Zürich entwickelt. Es seien beileibe nicht nur ältere oder kognitiv eingeschränkte Personen von Telefonbetrug betroffen. Das zeigt der Schluss des Stücks, als sogar der selbstsichere Neffe Telefonbetrügern auf den Leim geht – er glaubt, bei einem Google-Wettbewerb einige Tausend Franken gewonnen zu haben.

Doch wie schaffen das die Betrüger? «Sie ziehen einen sofort ins Gespräch, in einen Tunnel, aus dem man nicht mehr herauskommt – in der Fachsprache nennt man das die Macht der Situation», erklärt Kossow. Manchmal suchen die Täter gezielt Opfer aus, die vielleicht gerade angreifbar sind. «Sie informieren sich in Todesanzeigen oder in den Social Media.» Ratsam ist deshalb, im Netz nicht zu viel Persönliches preiszugeben oder im Telefonbuch nicht den ganzen Vornamen einzutragen. Dank künstlicher Intelligenz ist es mittlerweile sogar möglich, Stimmen aufzunehmen und diese bei Anrufen bei Angehörigen zu verwenden.

Darüber reden ist wichtig
Karin Hoffsten erzählt vom Opfer eines Schockanrufs, das 800 000 Franken zahlte und später in ärztliche Behandlung musste. Denn Telefonbetrug hat nicht nur finanzielle Folgen: «Viele Opfer schämen sich sehr, verschweigen es ihrem Umfeld und leiden still.» Darüber zu sprechen, sei jedoch das Wichtigste, rät Polizistin Andrea Abderhalden: «Und eine Anzeige hilft bei der Verarbeitung. Die Polizei vermittelt auch Hilfsangebote.» Eine Zuschauerin rät, man könne zudem eine Selbsthilfegruppe gründen. 

Schliesslich fasst sich Maggie auf der Bühne ein Herz und spricht das Thema abends während der «Tagesschau» bei ihrem Mann Heinz an, der wegen des Vorfalls seit vier Wochen nicht mehr mit ihr spricht. Schnell stellt sich heraus: Er macht sich ebenfalls Vorwürfe: «Hätte ich doch bloss mein Telefon nicht liegen lassen, dann wäre das alles nicht passiert.» Sie beschliessen, gemeinsam eine Beratungsstelle aufzusuchen.

Und wie hätte Paula reagieren sollen, als Neffe Beni von Maggies Missgeschick erzählt? Das Publikum in Birmenstorf hat einige Ideen. Doch Maggie lässt sich partout nichts entlocken, zieht sich weiter zurück – bis eine Frau vorschlägt: «Ich würde sie einfach in den Arm nehmen und halten.» Gesagt, getan. Die Anwesenden applaudieren. Und Maggie beginnt, erleichtert, zu erzählen.

Nützliche Links
Vorfall melden: Telefon 117 oder
online unter report.ncsc.admin.ch
Selbsthilfegruppe: selbsthilfe-ag.ch