Ökologisch wertvolle Tradition

Seit Mitte der 1990er-Jahre wurden in Freienwil rund 280 Hochstammobstbäume für Neugeborene gepflanzt. Nun wird der Platz langsam knapp.
Kirsche, Birne, Quitte: Die Familien posieren mit den Baumsetzlingen vor dem Gemeindehaus. (Bild: is)

In Reih und Glied lehnten am Samstagmorgen Hochstamm-Obstbaumsetzlinge wie die Birnenneuheit ­«Harrow Sweet», die «seltene Mme Favre»-Birne und die «robuste alte Quittensorte Gyrenbader» an der Fassade des Gemeindehauses. Umweltkommission, Natur- und Vogelschutzverein (NVV) sowie die Gemeinde ­hatten zur jährlichen Baumpflanz­aktion für Neugeborene in Freienwil eingeladen. Rico von Känel, Präsident des NVV und Mitglied der Umweltkommission, erklärte den Eltern, Geschwistern, Grosseltern sowie den Gotten und Göttis, wie es zu dieser Tradition kam: Zwischen 1950 und 1970 sei der Markt für Obst in der Schweiz schwierig gewesen. Viele Bauern stiegen deshalb aufs Brennen von Obstschnaps um, was jedoch vermehrten Alkoholkonsum zur Folge hatte.

«Baum-Mord»
Um diesen einzudämmen, habe die Regierung im Zuge des «Baum-Mords» für jeden gefällten Obstbaum zwischen 20 und 40 Franken gezahlt. Insgesamt wurden in der Schweiz dadurch bis 1975 über elf Millionen Hochstammobstbäume gefällt oder gesprengt. Dass diese Bäume aber ökologisch wertvolle Strukturelemente sind, welche die Landschaft abwechslungsreicher gestalten und Lebensraum für Insekten und Vögel darstellen, erkannte man erst später. Mitte der 1990er-Jahre wurde in Freienwil deshalb die Baumpflanzaktion für Neu­geborene eingeführt: «Seit Anfang dieser Tradition wurden bei uns etwa 280 Hochstammobstbäume gesetzt», wusste von Känel zu berichten. Im vergangenen Jahr haben in Freienwil elf Babys das Licht der Welt erblickt.

Für die Familien ist der symbolische Akt ein Erlebnis, an das sie sich noch lang gern erinnern. «Vor einigen Jahren stand ich selbst hier», erzählte der Gemeinderat und Vater Manuel Oeschger in seiner kurzen Ansprache. Er hoffe, dass diese Tradition noch lang erhalten bleibe. «Es wird jedoch von Jahr zu Jahr schwieriger, geeignete Standorte zu finden. Bald sind alle Plätze bei den Landwirten besetzt.» Bei der Entwicklung der Einwohnerzahlen kein Wunder: 1990 lebten im kleinsten Dorf des Bezirks Baden 641 Menschen, Ende 2022 waren über 1100 registriert.

Kirschbaum im Chriesigarten
Den ersten Obstbaum – eine Kirsche für Baby Thor – setzten Mitglieder des NVV gleich hinter dem Gemeindehaus im «Chriesigarten», in der Nähe eines älteren Kirschbaums. Zuerst beschnitt von Känel das Wurzelwerk, dann wurde ein Gitterrost als Schutz vor Mäusen eingelegt, mit einer Pfahlramme ein Holzpfosten eingebracht und der Wurzelballen mit dem Gitter umschlossen. Zum Schluss brachte man noch einen Verbissschutz an – fertig. «Im Frühling wird dann der erste Pflanzschnitt erfolgen, um dem Baum die gewünschte Form zu geben», erklärte Rico von Känel.

Nach einem Apéro begaben sich die einzelnen Familien zu den indi­viduellen Standplätzen, wo die Obstbäume gepflanzt wurden. Diese gehören übrigens den Landbesitzern, welche die Bäume schliesslich hegen und pflegen. «Aber wenn der Baum in sechs oder sieben Jahren erstmals Früchte trägt, darf man bestimmt bei den Bauern anklopfen und fragen, ob man ein paar Früchte bekommt», so Rico von Känel.