«In der Schweiz ist man viel offener»

Ein katholischer Theologe, der mitten im Leben steht: ­Ottmar Strüber (60) ist Vater von sieben Kindern, getrennt – und seit einem Jahr Schweizer.
Ottmar Strüber ist seit 20 Jahren katholischer Gemeindeleiter und plant eine Pilgerreise zum Jubiläum. (Bild: is)

Seit 20 Jahren ist Ottmar Strüber Gemeindeleiter der katholischen Pfarrei St. Blasius. Schmunzelnd erinnert er sich, wie er 2003 nach Ehrendingen kam: «Das war ein kleiner Schock für die Bevölkerung. Ich brachte eine Frau und fünf Kinder mit und sprach Hochdeutsch wie aus der Kanone geschossen.» Nach den ersten Gottesdiensten hätten sich einige Kirchgänger beschwert, man würde ihn kaum verstehen. Gleichzeitig kam Opposition von den Katechetinnen, denn der neue Gemeindeleiter wollte nur drei Tage, nicht aber eine ganze Woche ins Firmlager verreisen. «Ich wollte nicht so lang von meiner Familie getrennt sein», begründet er.

«Stimmung gegen mich»
Die ersten Jahre in seiner neuen Pfarrei seien nicht ganz einfach gewesen, sagt Ottmar Strüber heute: «Es gab ein bisschen Stimmung gegen mich. Die Quittung bekam ich bei der ersten Pfarrwahl 2006 – nur 65 Prozent der Stimmen», erzählt der heute 60-Jährige. Da Pfarreirat und Kirchenpflege hinter ihm standen, beschloss Ottmar Strüber zu bleiben. Er absolvierte ein Sprechtraining und bekam ein Headset mit Mikrofon, was auch er als Verbesserung empfand: «Man versteht mich damit von überallher gleich gut, selbst wenn ich während eines Familiengottesdienstes vom Altar zu den Kindern hinuntergehe.»

«Ein Ort der Begegnung»: Ottmar Strüber beim ökumenischen Zentrum. (Bild: is)

Inzwischen überwiegen die positiven Erinnerungen an die letzten 20 Jahre bei Weitem. «Jugendliche, bei deren Firmung ich dabei war, stehen nun vor meinem Traualtar – und es kam sogar schon vor, dass ich deren Kinder taufen durfte», erzählt Ottmar Strüber begeistert. An seinem Beruf schätzt er den Kontakt zu den Menschen aller Generationen, «in Freud und Leid – denn beides gehört zum Leben». Die Pfarrei hat er in all den Jahren als sehr offen erlebt. «Ökumene ist mit dem ökumenischen Zentrum, das nächstes Jahr sein 40-jähriges Bestehen feiert, sozusagen ‹in Stein gemeisselt›. Ich konnte einige schöne Projekte umsetzen, regelmässige Wallfahrten und Glaubenstage der Pfarrei und vor allem das Format ‹Music meets Church›, das bereits im sechsten Jahr durchgeführt wird und ganz verschiedene Musiker mit einer ganz eigenen Form von Gottesdienst in Tuchfühlung bringt.»

Vermehrt Kirchenaustritte
Mit den jüngsten Schlagzeilen zum Missbrauchsskandal hat aber auch die Pfarrei St. Blasius mit vermehrten Austritten zu kämpfen. «Teilweise wurden diese ganz bewusst mit den Missbrauchsvorwürfen begründet», schildert der Gemeindeleiter. Schade sei, dass darunter vor allem das Engagement der einzelnen Pfarreien leide – in der Jugendarbeit, in der Seelsorge, im Religionsunterricht. «Der Grossteil der Kirchensteuer kommt der Kirche im Ort zugute, nicht dem Bistum», erklärt er. Der Prozess der Aufarbeitung sei jedoch wichtig, «denn die Kirche hat grosse Schuld auf sich geladen, und die Betroffenen haben ein Recht auf Entschädigung.»

Dennoch sieht Ottmar Strüber, der in der Nähe von Göttingen aufgewachsen ist, in der Schweizer Kirche auch viel Positives: «Hier ist sie viel offener und gegenüber verheirateten Theologen aufgeschlossen. In Deutschland hätte ich im Gottesdienst nicht einmal predigen dürfen.» An seinen ersten Wirkungsstätten in Langnau-Gattikon ZH und Möhlin AG war Ottmar Strüber Pastoralassistent. Am 29. Oktober 2000 wurde er von Bischof Kurt Koch zum Ständigen Diakon geweiht. Das ermächtigte ihn, zwei Sakramente – die Taufe und die Eheschliessung – zu spenden. Via Baldingen und Zurzach landete Strüber schliesslich im Juli 2003 in der römisch-katholischen Pfarrei St. Blasius Ehrendingen. Die Grossfamilie – 2004 und 2006 kamen zwei weitere Kinder zur Welt – fühlte sich im Pfarrhaus sofort wohl, das etwas abseits hinter dem ökumenischen Zentrum liegt und Privatsphäre bot.

Trennung von der Familie
Vor viereinhalb Jahren hat sich Ottmar Strüber jedoch von seiner Frau getrennt und ist ausgezogen. Zuvor hatte er seine Trennungsgedanken sogar in einem Beitrag für die Lokalzeitung «Botschaft» angetönt. Die Reaktionen seien mehrheitlich positiv gewesen: «Es wurde von der Bevölkerung angenommen und hat den Menschen wohl gezeigt, dass selbst aus Brüchen Neues entstehen kann», ist er überzeugt. Mehrere Personen hätten ihm dann sogar ihre eigenen Eheprobleme anvertraut.

Seine Frau lebt mit vier der sieben Kinder weiterhin im Pfarrhaus, während er in einer kleinen Wohnung im Unterdorf wohnt. Anfangs habe er den Alltag mit den Kindern sehr vermisst. Der Kontakt sei aber nie ab­gerissen, erzählt Ottmar Strüber ­erfreut, der selbst mit drei Brüdern aufgewachsen ist: «Und mein Zwillingsbruder hat ebenfalls sieben Kinder. Wir hatten beide das Glück, eine Frau zu finden, die viele Kinder wollte», sagt er dankbar.

Nicht zuletzt wegen seiner Kinder ist Ottmar Strüber im vergangenen Jahr bewusst geworden, dass er endgültig in der Schweiz bleiben möchte, wo er seit 32 Jahren lebt: «Schliesslich habe ich mehr als die Hälfte meines Lebens in diesem Land verbracht.» Er beantragte das Schweizer Bürgerrecht in Ehrendingen. «Jetzt stimmt es für mich viel besser», hält er fest.

Pilgerweg zum Bistumsjubiläum 
2024 darf Ottmar Strüber ein weiteres Jubiläum feiern: 30 Jahre im Bistum Basel. Anstelle eines diözesanen Weiterbildungskurses will er sich dann einen lang gehegten Wunsch erfüllen und eine siebenwöchige Auszeit nehmen. «Ich habe 2022 angefangen, die Schweizer Bergwelt zu erkunden. Beim Wandern konnte ich viel über das Leben reflektieren. Daraus entstand der Wunsch, den Jakobsweg zu absolvieren», erzählt er. Vom 5. September bis 23. Oktober 2024 wird er vom Fuss der Pyrenäen auf französischer Seite bis ins spanische San­tiago de Compostela pilgern. «Das Okay meiner Kollegen, des Verbandsvorstands und des Bistums habe ich bereits, die Vertretungen sind organisiert», erzählt Ottmar Strüber zu­frieden.

Gestärkt von diesem Abenteuer möchte er dann die letzten vier Jahre bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2028 in Angriff nehmen. «Ich würde gern in Ehrendingen bleiben.»