«Ich war mit der Situation überfordert»

Sängerin Anna Rossinelli (36) über das Album «Mother», ihre Mutter und die eigene Mutterrolle sowie ihre Eurovision-Song-Contest-Erfahrung.
Die Mutterschaft hat sie reifer gemacht: Sängerin Anna Rossinelli. (Bild: zvg | Sarah Ly)

Anna Rossinelli, Sie sehen auf dem Albumcover wie eine Madonna aus. Werden Sie als Popstar auch so verehrt?
Nein, ich hatte auch nie die Idee, mich als Heilige darzustellen. Ich habe jedoch ein Faible für Kitsch, das ich von meiner Mutter geerbt habe. Und weil das Album «Mother» heisst und ich schwanger war, als wir es aufnahmen, fand ich die Darstellung der Übermutter Maria sehr passend.

Was verstehen Sie an Ihrer Mutter erst, seitdem Sie vor einem Jahr selbst Mutter geworden sind?
Wie anstrengend es ist und wieviel Hingabe es braucht, wenn man Kinder hat. Im Gegensatz zu meiner Mutter habe ich einen Partner, dank dem ich meinen Beruf weiterhin ausüben kann. Sie stand hingegen plötzlich mit meinem Bruder und mir allein da und war unsere einzige Bezugsperson, als unser Vater starb. Es war beeindruckend, wie viel Liebe sie uns gegeben hat, obwohl sie mehr unter dem Tod ihres Mannes litt als sie sich anmerken liess.

War Ihre Mutter für Sie ein Vorbild?
So würde ich sie nicht bezeichnen, aber sie war für mich alles, was ich mir unter einer Mutter vorstelle. Obwohl wir in bescheidenen Verhältnissen aufwuchsen, fehlte es mir an nichts. Mit dem Titelsong möchte ich mich bei ihr bedanken. Sie hat vieles sehr gut gemacht, obwohl sie in einer schwierigen Situation war und auf vieles verzichten musste.

Gab es auch klassische Mutter-Tochter-Konflikte?
Ja, und der Grund dafür war meistens meine rebellische Art. Ich habe in der Pubertät mehr oder weniger gemacht, was ich wollte. Ich lief barfuss und mit roten Rastalocken herum und machte es den neuen Partnern meiner Mutter jeweils nicht gerade einfach, weil ich nur Kritik von meiner Mutter angenommen habe. Trotzdem stand meine Mutter immer hinter mir und hat mich darin bestärkt, meinen Weg zu gehen.

Hat sie Ihren Wunsch, Sängerin zu werden unterstützt? Oder wollte Sie, dass ihre Tochter «etwas Richtiges» lernt?
Da gab es kaum Konflikte. Ich war sehr realistisch und mir durchaus bewusst, dass das Leben kein Ponyhof ist. Nachdem ich von der Schule geflogen war, machte ich aus eigenem Antrieb eine Lehre in einem heilpädagogischen Kindergarten. An einer Jazzschule Musik zu studieren, lag nicht drin, weil die finanziellen Mittel fehlten. Ich litt darunter jedoch nicht, weil ich gar nicht daran dachte, irgendwann einmal von der Musik leben zu können. Für mich war sie eine Art Hobby.

Ihr damaliger Hippie-Look zum Song «I Used To Be Young», erinnert an Janis Joplin.
Ja, meine Mutter hat ihre Platten sehr oft aufgelegt. Ich habe in meiner Jugend zu Janis und anderen Singer-Songwriterinnen wie Tracy Chapman oder Carole King aufgeschaut und viel Zeit damit verbracht, sie zu imitieren – bis ich erkannte, welchen Weg ich selber gehen wollte. Am meisten Fan war ich von Lauryn Hill, da sie gerade aktuell war. Ich fand es toll, wie sie sang, und musste natürlich unbedingt so eine Latzhose haben wie sie! (Lacht.)

«Mother» schrieben Sie, bevor Sie wussten, dass Sie selbst Mutter werden. Überlegten Sie später, dies nachträglich in den Song einfliessen zu lassen?
Nicht wirklich. Es geht in diesem Lied ja nicht um mich, sondern um meine Mutter. Da ich schwanger war und die Hormone in dieser Zeit etwas verrückt spielten, hatte es vielleicht trotzdem einen Einfluss. Ich werde auch auf dem nächsten Album nicht unbedingt darüber singen, dass ich Mutter geworden bin. Natürlich war es für mich eine unglaubliche Erfahrung, doch bin ich nicht die erste Frau, die sie gemacht hat …

Wie entstehen Ihre Texte überhaupt?
Meine Songs beginnen nicht mit einem fixen Thema. Ich starte immer mit der Melodie, dann kommen die ersten Worte, und erst danach kristallisiert sich das Thema heraus. Wird es um meine Tochter gehen, ist das schön, aber andernfalls auch nicht schlimm.

Ihre Bandkollegen Georg Dillier und Manuel Meisel sind vor Ihnen Väter geworden. Wie hat das Ihre Zusammenarbeit verändert?
Wir sind alle viel beschäftigter, und die Planung ist komplizierter geworden. Wir können nicht mehr spontan bis um acht Uhr abends proben. Wir haben jedoch immer noch eine kindliche Freude daran, blöde Sprüche zu machen oder uns gegenseitig zu verarschen. Ich hatte am Anfang das Gefühl, das sich mein Wesen durch die Schwangerschaft und Geburt komplett verändert hat, denke aber inzwischen, dass ich immer noch die gleiche Person bin – nur mit mehr Verantwortung und einer neuen Geschichte.

Habt ihr schon eine eigene Kinderkrabbelgruppe gegründet?
Da Georgs Zwillinge schon fast fünf Jahre alt sind, ist das nicht möglich. Aber wir denken, dass wir uns bei der Betreuung abwechseln können, wenn alle Kinder ein gewisses Alter erreicht haben. Das würde vieles vereinfachen.

Was hat Sie zum dunkleren Song «Me And My Ego» inspiriert?
Wenn man Kinder hat, muss man sein Ego oft hintanstellen, weil ihre Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Viele Leute haben mich gefragt, ob es in diesem Lied um Egoismus geht. Doch das Thema ist vielmehr, dass man es sein ganzes Leben lang mit sich selbst aushalten muss. Die Beziehung zu sich selbst ist also die Wichtigste. Deshalb ist es so wichtig, sich selbst zu finden.

Wie weit sind Sie da?
Ich denke schon, dass ich eine Person bin, die sich selbst kennt und mag. Aber ich halte mich auch – wie jeder Mensch – manchmal selbst nicht aus oder mache die gleichen Fehler immer wieder. Ich versuche jedoch für meine Bedürfnisse einzustehen und das meiner Tochter weiterzugeben.

Wie war das, als Sie vor zwölf Jahren durch den Eurovision Song Contest und «In Love For A While» über Nacht bekannt wurden?
Wer so etwas nie selbst erlebt hat, kann sich nur schwer vorstellen, wie einschneidend es ist. Viele Leute meinen, dass alles wie von selbst ging und nur schön war. Ich habe in jener Zeit aber stark abgenommen und sehr viel geweint. Ich war überfordert mit der Situation und den Erwartungen, die ich und andere an mich hatten. Zum Glück verfügte ich mit 24 schon über ein wenig Lebenserfahrung und bekam von meinem Umfeld sehr viel Unterstützung. Ohne Manuel und Georg hätte ich den ESC wohl gar nicht überstanden.

Was war das Schlimmste?
Ich hatte grosse Mühe mit der plötzlichen Fremdbestimmung und dem Bild des blonden netten Mädchens, das die Medien von mir zeichneten. Trotzdem bereue ich nichts, würde diese Erfahrung aber nicht noch einmal machen wollen.

Sie haben für Ihre Debüt als Schauspielerin in der SRF-Krimiserie «Tschugger» gute Kritiken erhalten. Wie geht es mit der Bundespolizistin Annette und der Hauptfigur Bax weiter?
Das ist alles streng geheim. Ich kann nur verraten, dass ich in der dritten Staffel wieder mitspielen werde und sie dramatisch, spannend und actiongeladen ist.

Ihre interessantesten Erfahrungen bei den Dreharbeiten?
Es war aufregend, in diese ganz andere Welt einzutauchen. Es waren mega viele Leute auf dem Set, die alle ihre Funktion hatten und für den Film unverzichtbar waren. Ich würde gerne wieder einmal eine Rolle übernehmen, falls sich eine passende Gelegenheit bietet.

Wie verbringen Sie Weihnachten?
Wir haben erstmals am 25. Dezember einen Auftritt, im Zauberwald auf der Lenzerheide. Ich freue mich enorm auf unser Konzert und die Lichtinstallationen. Es wird für mich sicher nicht leicht, ausgerechnet an diesem Tag von meiner Tochter getrennt zu sein. Aber ich werde am nächsten Morgen gleich zu ihr, meinem Partner und ihren Grosseltern nach Rom reisen.