Nachtwächter-Melodie ist Signal

Wenn in Unterwindisch allabendlich vor Weihnachten die Nachtwächter-Melodie erklingt, wird ein neues Adventsfenster geöffnet.
Zu den Adventsfenster-Eröffnungen in Unterwindisch gehört der Nachtwächter. (Bild: hpw)

Unterwindisch am tiefsten und Oberburg am höchsten Punkt sind die ältesten Dorfteile von Windisch. Die Oberburger mögen vom sanften Hang des Lindhofs aus die bessere Aussicht haben, dafür besitzen die Unterwindischer mehr «Speuz» und Kreativität sowie ein ausgeprägteres Selbstbewusstsein und Gemeinschaftsgefühl. Das Quartier, das zweieinhalb Jahrhunderte lang durch die von Heinrich Kunz 1828 errichtete mächtige Spinnereifabrik dominiert wurde, hat nach der Stilllegung der Garnproduktion in den letzten Jahrzehnten einen grossen Wandel erlebt, aber trotzdem Eigenheiten bewahrt, die es als Ort des Wohnens und der Begegnung aufwerten. Zu dieser Qualität trägt ein Adventsbrauch bei, der seit nunmehr 43 Jahren gepflegt wird.

«Hört, ihr Leut»
Wenn vom ersten Adventsabend bis zu Weihnachten in den Häuserreihen zwischen der Ländestrasse und der Dorfstrasse – oder in «Unterwindisch Süd», wie eingefleischte Pappenheimer zu präzisieren pflegen – die Nachtwächter-Melodie «Hört, ihr Leut, und lasst euch sagen» erklingt, strömt Jung und Alt herbei, um der Eröffnung eines Adventsfensters beizuwohnen. Allabendlich gibt es neue, mit Fantasie und Geschick gestaltete Sujets zu bestaunen. Dem Publikum wird Punsch und Glühwein ausgeschenkt und Weihnachtsgebäck gereicht.

Der Nachtwächter – unbestrittener Spiritus Rector des Geschehens, der im Voraus auch die «Nümmerli» für die Herstellung und die Reihenfolge der Adventsfenster verteilt – spielt in Frack und Zylinder mit der Trompete und auf der im Leiterwägeli mitgeführten Drehorgel weihnachtliche Melodien, die Erwachsenen halten einen Schwatz, und die Kinder wuseln herum. Nach einer halben Stunde verklingen die Töne, und vom nahen Flusswehr dominiert wieder das Rauschen der Reuss – in den letzten Hochwassertagen war es ein bebendes Tosen.

Alternative zum Flitterwerk
Die Unterwindischer Tradition der Adventsfenster mit ihrem feinen stillen Leuchten wurde in den 1980er-Jahren quasi als Gegenentwurf zu den nach Grossstadtvorbild aufkommenden blendenden Lichterketten eingeführt. Dem am Reussufer wohnhaften Nachtwächter stach eine solche neu montierte Gartenhagbeleuchtung besonders ins Auge. Er konnte den Besitzer vom Abschalten überzeugen, dafür kaufte er ihm kurzerhand für zwei Hunderternoten das funkelnde Gepränge ab.

Die Bewohner an der Ländestrasse liessen sich für die Adventsfenster-Alternative gewinnen. Einer von ihnen war der im Jahr 2000 verstorbene Max Brogli, Oberpfleger in Königsfelden. Er und seine Frau Liseli gestalteten einmal ein Fenster mit dem Nachtwächtersujet. Damit es nicht nur ­optisch, sondern auch akustisch zur Wirkung kam, sang Max Brogli bei der Eröffnung das Nachtwächterlied. Damit hatte der Brauch seinen Sound. Und die musikalische Entwicklung ging weiter, indem Jugendliche den Nachtwächter zum Vorbild nahmen, ebenfalls Blasinstrumente spielen lernten und gelegentlich als Ersatz oder Verstärkung des Hauptsolisten einsprangen.

Singen auf der Ländestrasse
Die Adventszeit findet in Unterwindisch am Heiligen Abend ihren Abschluss und ihren Höhepunkt in einem gemeinsamen offenen Weihnachtssingen auf der Ländestrasse. Daran nehmen in der Regel weit über 100 Quartierbewohner teil. Sie finden traditionsgemäss gegen 21 Uhr zusammen. Jedes Mal dabei ist ein altes Klavier, das übers Jahr in des Nachtwächters Schopf steht, wo es das mächtige Reusshochwasser 2005 leidlich überstand und deswegen nicht mehr immer ganz rein klingt, aber umso mehr den Status eines Kultobjekts hat. Die erprobte Quartierdirigentin lässt a cappella singen und Vokal- und Instrumentalstimmen zusammen erklingen. Für die stimmungsvolle Begleitung steht ein quartiereigenes Bläserquartett zur Verfügung.