Ein Augenschein am alten «Tatort»

Einer, der vor 60 Jahren im Effingerhof seine ersten journalistischen Sporen ab­verdiente, war ob des jetzigen Umbaus baff.
Im Effingerhof wurde Geschichte geschrieben: Er beherbergte unter anderem einen der grössten grafischen Betriebe im Aargau (Bild: Archiv)

Im 800 Jahre alten Effingerhof neben der Brugger Stadtkirche, am Rand der Altstadt, wird zurzeit mit einem tiefgreifenden Umbau ein weiteres Kapitel des geschichtsträchtigen Ortes ­geschrieben. An dieser Stelle stand ursprünglich das von Herzog Albrecht II. von Österreich erbaute Habsburger Stadtschloss, ein Wohnkastell, das seit 1323 Sitz der Brugger Junkerfamilie Effinger, ab 1508 im Eigentum der Ortsbürgergemeinde Brugg und schliesslich der Buchdruckerei Effingerhof war. Der Bau besitzt eine besondere Atmosphäre – einen ihm von der Architektur und früheren Nutzung innewohnenden Charakter.

Diese Aura wird er auch nach der jetzigen Umwandlung zum Wohnkomplex und öffentlichen Treffpunkt (Stadtbibliothek mit Café, Pro-Infirmis-Geschäftsstelle) behalten. Davon bin ich nach einer Besichtigung der Baustelle mit Architekt Daniel Christen überzeugt. Er gehörte 2004 zu den Mitbegründern der Netwerch AG, einer jungen Brugger Architektur- und Designer-Gemeinschaft, die das Zeitlose dem Trendigen sowie gute Vermittlung der Effekthascherei vorzieht und unter anderem an der Weltausstellung Expo Milano 2015 das House of Switzerland gestaltete.

Dem Brugger Architekten Daniel Christen und seinem Netwerch-Team ist mit dem anspruchsvollen Effingerhof-Umbau ein weiterer Wurf gelungen. (Bild: hpw)

Ein geistvoller Ort
Für mich war dieser Lokaltermin sozusagen ein Augenschein am alten «Tatort» – mit dem sich Erinnerungen und Vergleiche zwischen erlebter Vergangenheit und erahnter Zukunft verbanden. Am 1. Januar 1964 war ich als junger Journalist in die jahrzehntelang von Dr. phil. et theol. Lukas Bader, «Bd.», allein betreute Redaktion des «Brugger Tagblattes» eingetreten, der kleinsten von damals noch sechs existierenden, selbstständigen Aargauer Tageszeitungen, die im zunehmenden Konkurrenzkampf Verstärkung brauchte. 

Noch im selben Jahr konnte ich an der «Tagblatt»-Jubiläumsausgabe zum 100-jährigen Bestehen des Druckereiunternehmens mitwirken und die Effingerhof-Geschichte verinnerlichen. In den zwölf Jahren, die ich hier wirkte, bevor ich 1976 in die Zentralredaktion des «Aargauer Tagblattes» nach Aarau wechselte, dem das «Bruggerli» seit 1968 als Kopfblatt angehörte, ging mir der «Geist des Hauses» in Fleisch und Blut über.

Ohne überheblich zu sein: Es war ein geistvoller Ort. Der Effingerhof vervollständigte die «Bildungsecke» der Altstadt mit Bezirksschule, Lateinschulhaus und Stadtkirche. Die Druckerei entwickelte sich zu einem der grössten grafischen Betriebe im Aargau – ja, zu einer Institution in Brugg. Hier wurden Bücher und mehrere Zeitungen gedruckt und verlegt, ab dem Jahr 1900 auch das «Brugger Tagblatt», sowie technisch anspruchsvolle Publikationen hergestellt.

Viele bauliche Veränderungen
Somit hatte der Brugger Stadtrat nicht zu viel versprochen, als er der Ortsbürgergemeindeversammlung Ende 1863 die Abtretung des «Effinger samt Hof an Herrn Fisch-Hagenbuch in Zürich» zur Errichtung einer Druckerei mit dem Argument empfahl, «dass Herr Fisch für die Betreibung seines Geschäftes vorwiegend intelligente Leute braucht, also manche geistige Kraft herbeizieht, wodurch Brugg auch in dieser Beziehung gehoben wird». Schliesslich bewilligten die Bürger den Abbruch des burgähnlichen Gebäudes und die geschenkweise Abtretung des Areals, unter der Bedingung, dass das altehrwürdige Gebäude vorher noch fotografiert werde.

Zwar erlebte das Unternehmen auch strube Zeiten wie die beiden Weltkriege mit dem Generalstreik 1918 und der Wirtschaftskrise dazwischen. Aber im Grossen und Ganzen florierte die Druckerei, sodass der 1864 vom Zürcher Architekten Wilhelm Waser neu erstellte Effingerhof, bestehend aus dem Produktionsgebäude sowie einem Wohn-, Verwaltungs- und Ladentrakt, innert 100 Jahren insgesamt neun Erweiterungs- und Erneuerungsetappen erfuhr. An einem dieser Ausbauprojekte war 1924 der bekannte einheimische Architekt Albert Froelich beteiligt, der mit dem Stapfer-Schulhaus (1909), dem Vindonissa-Museum (1914) und dem neuen Bahnhof (1920) in Brugg bereits architektonische Solitäre geschaffen hatte und deswegen einen vorzüglichen Ruf genoss. Dass die von ihm neu gestaltete Westfassade des Effingerhofs mit ihren beiden halbrunden Treppentürmen auch der Westfassade des Bahnhofgebäudes glich, war kaum Zufall.

Der letzte Erweiterungsbau an der Storchengasse wurde 1957, kurz vor meinem Debüt am «Tagblatt», durch einen weiteren einheimischen Architekten, Werner Tobler, realisiert. Doch kaum war ich in der engen Zwei-Mann-Redaktionsstube eingenistet – in der übrigens noch der schwere ­Kassenschrank des Unternehmens stand –, hiess es in ein Provisorium umziehen, weil nun das Büro- und Ladengebäude mit Papeterie und Buchhandlung an der Altstadtecke Storchengasse-Kirchplatz abgebrochen und durch einen vom Brugger Architekten Ernst Strasser entworfenen Neubau ersetzt wurde. Das zehnköpfige Büropersonal samt Direktion und den beiden «Tagblatt»-Redaktoren verabschiedete sich mit einem gediegenen Fest vom spätklassizistischen Abbruchobjekt – die Damen in Roben «à la mode de 1864». Wir waren noch alle per Sie, selbstverständlich auch der ältere Redaktor, der «Herr ‹Dokter›», und ich, sein Novize.

In den Räumen, in denen heute die Stadtbibliothek Brugg ist, ratterten früher die Druckmaschinen. (Bilder: Archiv)

Typischer Druckereigeruch
Ich erinnere mich gut an den ursprünglichen Laden- und Büroaltbau mit der steinernen Wendeltreppe (ohne Lift), die eine schlossähnliche Atmosphäre verströmte. Diesen Eindruck verstärkte die offene, einem Burghof ähnliche Bogenhalle im Zugangsbereich zur Druckerei. Sie wurde mit dem Verwaltungsneubau 1966 zugemauert. Aber die Netwerch-Architekten erinnerten sich ihrer und erstellten hier den neuen Eingang zur Stadtbibliothek mit drei leichten Rundbögen, als Hommage an den «Genius Loci», den Geist des Ortes.

Im Erdgeschoss, wo jetzt die Stadtbibliothek in grosszügiger und übersichtlicher Auslage untergebracht ist, liefen früher unter der Regie von Abteilungsleiter Fritz Bachmann ein Dutzend Druckmaschinen. Einige von ihnen produzierten wochenlang den absoluten Effingerhof-Grossauftrag: Das mehrere Zentimeter dicke Ragionenbuch, in dem alle Firmen mit Adresse, Geschäftszweck, den wichtigsten Personen und der Höhe des Kapitals verzeichnet waren, die am Ende eines Jahres in der Schweiz existierten. Die Abschaffung dieses papierenen Nachschlagwerks beziehungsweise seine Ersetzung durch digitale Datenträger bedeutete für die Druckerei eine existenzielle Herausforderung. Im ersten Obergeschoss leitete Faktor (Abteilungschef) Oderbolz die Akzidenzsetzerei mit reihenlangen Setzkästen und den darin fein säuberlich abgelegten Bleilettern, die ein tonnenschweres Gesamtgewicht ausmachten, dem die solide, auf 2000 Kilo Tragkraft pro Quadratmeter ausgelegte Gebäudestatik jedoch problemlos gewachsen war. Daneben existierten die Maschinensetzerei und die Zeitungssetzerei, in der die Text- und Inseratseiten des «Tagblatts» und «General-Anzeigers» umbrochen (zusammengestellt) wurden. Der dritte und vierte Stock waren das Reich von Buchbindermeister Konrad Pfund, wo Abermillionen bedruckte Papierbögen zugeschnitten und zu Büchern, Katalogen und Prospekten gefaltet, gebunden, geheftet und geklebt wurden. Jede Etage hatte ihren eigenen Geruch von Druckfarbe, Blei, Papier, Leim – die unverwechselbare Druckereiatmosphäre.

Wohnungen am Ex-Adeligensitz
Das alles ist vorbei. Sämtliche Obergeschosse des einstigen Druckerei- und des Büro-Laden-Trakts werden in Wohnungen umgewandelt, insgesamt 40 an der Zahl, von anderthalb bis fünfeinhalb Zimmern an bester Lage im Stadtzentrum, bezugsbereit ab Ende Februar.

Dem Netwerch-Architektenteam ist eine geschickte Raumnutzung gelungen. Dafür boten die ehemaligen grossen Produktionsräume ohne tragendes Zwischenmauerwerk flexible Möglichkeiten. Allerdings standen für die Belichtung der Wohnungen meistens nur die Fensterfronten an der West- oder Ostfassade zur Verfügung. Deshalb bedurfte es einer gut durchdachten Einteilung, um «gefangene» Räume zu vermeiden.

Die Appartements wirken individuell – dem Genre nach dürften es Liebhaber-Logis werden, zumal sie weder über Garagen noch Autoabstellplätze verfügen. Das Anbringen von Balkonen war nicht erlaubt. Es gibt aber Dachterrassen, die teilweise als gemeinschaftliche Refugien genutzt werden können und schöne Aussichten auf die Altstadt-Dachlandschaft oder den Bözberg bieten.

Jedenfalls staunte der ehemalige «Effingerhöfler», der hier vor 60 Jahren seine ersten journalistischen Sporen abverdiente, bei der Baustellenbesichtigung, was an dem geschichtsträchtigen Ort gegenwärtig passiert.

Irgendwie schliesst sich der Kreis: Der Effingerhof, im 13. Jahrhundert als adelige Absteige gebaut, wird im 21. Jahrhundert erneut und in viel grösserem Umfang zu einer Wohnstätte, aber mit einem Komfort, von dem die ursprünglichen blaublütigen Bewohner niemals träumen konnten.