Der grösste Terroranschlag jährt sich

Der Flugzeugabsturz in Würenlingen jährt sich zum 54. Mal. Der ehemalige Gemeinderat Arthur Schneider ist bis heute um Aufklärung bemüht.
Arthur Schneider, Buchautor. (Bild: sim)

Am 21. Februar 1970 erschütterte der tragische Absturz einer Swissair-Maschine (Swissair-Flug 330) die Welt. Kurz nach dem Start der Convair 30 A (CV-990 A «Coronado») in Zürich explodierte im Frachtraum der Maschine eine Bombe – ausgelöst durch einen Höhenmesser. Die Explosion verursachte im Flugzeug einen Brand. Der Versuch, nac h Zürich zurückzukehren, misslang. Um 13.34 Uhr stürzte die Maschine in unmittelbarer Nähe des Eidgenössischen Instituts für Reaktorforschung (heute PSI) bei Würenlingen in einen Wald. Alle 47 Passagiere und Crewmitglieder an Bord kamen ums Leben. Der Vorfall ist eines der dunkelsten Kapitel der Luftfahrtgeschichte und der grösste Terroranschlag, der je in der Schweiz verübt wurde.

Seither sind fast genau 54 Jahre vergangen, doch noch immer hallen die Ereignisse jenes Samstagnachmittags und die Erkenntnisse der darauffolgenden Tage und Wochen nach. Das vor allem deshalb, weil es die Schweizer Behörden bis heute vermieden, die schnell gefundenen Hauptverdächtigen für den Anschlag anzuklagen. Arthur Schneider, damals Gemeinderat in Würenlingen, hat jahrelang Akten, Korrespondenzen und Unterlagen im Zusammenhang mit dem Flugzeugabsturz gesammelt und zwei Bücher dazu veröffentlicht. «Das Thema beschäftigte mich von Anfang an. Bei mir ist es heute noch jeden Tag präsent. Ich hatte in dieser ganzen Zeitspanne immer wieder Erlebnisse und Begegnungen mit Angehörigen von Opfern des Absturzes, bei denen ich leer schlucken musste», erklärt Arthur Schneider beim Treffen bei sich zu Hause in Würenlingen.

Der Aufprall der «Coronado» im Würenlinger Wald verursachte enorme Schäden. (Bild: zvg | ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Comet Photo AG, Zürich)

Unglücksflug
Als sie ihre Reise von Zürich nach Tel Aviv antraten, wussten die Passagiere und die Besatzung nichts von den Schrecken, die sie erwarteten. Neun Minuten nach dem Start explodierte die Bombe. Der Brand und die Rauchentwicklung machten den Piloten in der Folge die Navigation offenbar unmöglich. Als die elektrischen Systeme des Flugzeugs ausfielen, stürzte es in der Nähe von Würenlingen mit hoher Geschwindigkeit zu Boden. Bis heute ist der Vorfall bekannt für die letzten Worte der beiden Piloten kurz vor dem Absturz: «Goodbye everybody.»

Augenzeugenberichte und anschliessende Ermittlungen zeichneten ein düsteres Bild der Ereignisse, die zum Absturz führten. Der Verdacht fiel schnell auf die Popular Front for the Liberation of Palestine – General Command (PFLP-GC), eine militante Organisation und Splittergruppe der Popular Front for the Liberation of Palestine, die wiederum eine Untergruppe der Palästinischen Befreiungsorganisation (PLO) ist. Die PFLP-GC ist für ihre gewaltsamen Taktiken im Streben nach palästinensischer Befreiung bekannt. Noch in der Luft verlangten die Piloten von Swissair-Flug 330 über Funk, dass die Polizei den Vorfall im Frachtraum untersuchen solle. Zeugenaussagen von Menschen am Boden und forensische Beweise liessen früh den Verdacht für das Vorhandensein einer Bombe an Bord aufkommen, was auf einen vorsätzlichen Akt des Terrorismus hindeutete.

Die Nachwirkungen des Absturzes führten zu einer intensiven internationalen Untersuchung mit dem Ziel, die Wahrheit hinter der Tragödie aufzudecken. Mitarbeitende der Swissair und diverse Einsatzkräfte waren wochenlang mit den Bergungsarbeiten befasst. Die eingesetzte eidgenössische Flugunfall-Untersuchungskommission (FUK) untersuchte die Unfallstelle, wertete den Funkverkehr aus, unternahm einen Versuchsflug mit einer Coronado und hörte Zeugen an, um den Fall zu rekonstruieren. Zur öffentlichen Einvernahme in Windisch im Zuge der Ermittlungen sagt Arthur Schneider rückblickend allerdings: «Das war eine Alibiübung. Das Ergebnis war gleich null. Man wollte gar keine neuen Erkenntnisse erlangen.»

Die ursprüngliche Vermutung bestätigte sich: Die Swissair-Maschine stürzte ab, weil eine Explosion im Frachtraum ein Feuer verursachte, dessen Rauchentwicklung die Navigation des Flugzeugs unmöglich machte. Nachträgliche Untersuchungen ergaben, dass sich die Bombe in einer Postsendung nach Jerusalem befand, die in München auf ein Swissair-Flugzeug verladen wurde. Dabei gelangte das Paket, das wahrscheinlich die Bombe enthielt, lediglich auf den Swissair-Flug nach Tel Aviv, weil der Flug der israelischen Airline El Al von München wegen schlechten Wetters ausfiel. Heute geht man davon aus, dass die Bombe auf dem Flug von München nach Zürich nicht explodierte, weil die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt worden. Die Hintergründe des Anschlags auszuleuchten und die Täterschaft zu benennen, war aber nicht Gegenstand des FUK-Berichts, der im April 1972 veröffentlicht wurde.

Die umfangreichen Bergungen an der Absturzstelle wurden von der Kantonspolizei Aargau geleitet und von unzähligen Einsatzkräften und Angestellten der Swissair durchgeführt. Wegen zahlreicher Schaulustiger und schlechter Witterung verzögerten sich die Bergungsarbeiten anfangs stark. Weiter erschwert wurden sie dadurch, weil das Flugzeug beim Absturz in den Wald zerfetzt wurde.

Etwas über ein Jahr nach dem Absturz, am 7. März 1971, wurde in Würenlingen an der Unglücksstelle ein Denkmal eingeweiht, das noch heute an die Opfer des Swissair-Flugs 330 erinnert.

Suche nach der Wahrheit
Der Bülacher Untersuchungsanwalt Robert Akeret wurde kurz nach dem Absturz der Swissair Maschine von der Bundesanwaltschaft beigezogen, um die Hintergründe des Absturzes für den Kanton Zürich aufzuklären. Akeret hatte bei der Untersuchung des Angriffs der PFLP auf ein Flugzeug von El Al am 18. Februar 1969 bereits einschlägige Erfahrung gesammelt. Damals verschafften sich Mitglieder der PFLP Zugang zu einem Rollfeld des Flughafens Kloten. Ihr Ziel war es, die Maschine mit Waffengewalt zu stoppen und Sprengladungen anzubringen, was aufgrund unerwarteter Gegenwehr aus dem Flugzeug aber misslang.

Der Bülacher Staatsanwalt führte auch im Fall des Absturzes in Würenlingen umfassende Untersuchungen durch. Dabei tauchten schnell zwei Namen auf. Sufian Radi Kaddoumi und Badawi Mousa Jawher, Mitglieder der PFLP-GC, die verdächtigt wurden, den Angriff zusammen mit Komplizen geplant und orchestriert zu haben. Robert Akeret übergab seinen Bericht der Bundesanwaltschaft. Seither herrscht in dieser Angelegenheit von offizieller Seite weitgehend Funkstille. Ausserdem verhielten sich die Schweizer Behörden bemerkenswert zurückhaltend, wenn es darum ging, die mutmasslichen Attentäter zu verhaften und anzuklagen, wie Arthur Schneider bemängelt. Letzteres ist bis heute nicht geschehen.

Das zögerliche Agieren und das Schweigen von offizieller Seite veranlasste den Wettinger NZZ-Reporter Marcel Gyr dazu, 2016 das Buch «Schweizer Terrorjahre» zu veröffentlichen. Darin vertritt er die These, dass die Schweiz im Geheimen Abmachungen mit der PLO traf, um der Terrorserie palästinensischer Organisationen in der Schweiz ein Ende zu bereiten. Gyr stellte in seinem Buch sowie einer Artikelserie in der NZZ dar, dass Bundesrat Pierre Graber, damals Aussenminister, unter Vermittlung des damaligen Nationalrats Jean Ziegler mit der PLO ein geheimes Stillhalteabkommen geschlossen hätte. Die Schweiz sollte von weiteren Anschlägen verschont bleiben. Im Gegenzug hätte sich die Schweiz bereit erklärt, sich für die diplomatische Anerkennung der PLO am UNO-Sitz in Genf einzusetzen. Die Geheimgespräche hätten gemäss Gyr mit Farouk Kaddoumi, einem ranghohen Funktionär der PLO, in einem Hotelzimmer in Genf stattgefunden.

Bundesrat Graber, Nationalrat Ziegler sowie verschiedene Exponenten der PLO bestritten Gyrs These. Ein solches Geheimabkommen habe es nie gegeben. Allerdings änderte zumindest Jean Ziegler später teilweise seine Meinung. In einem Interview mit der «Sonntagszeitung» vom 14. Februar 2016 sagte er, dass er sich nicht mehr sicher sei, ob es einen solchen Geheimdeal gegeben habe. Seiner Meinung nach wäre das zumindest eine plausible Erklärung dafür, dass im Fall des Flugzeugabsturzes in Würenlingen gegen die Verdächtigen nie mit internationalem Haftbefehl gesucht und nie Anklage erhoben worden sei.

Kampf um Gerechtigkeit
Genau dieser Umstand motiviert Arthur Schneider heute noch, sich mit dem Absturz am 21. Februar 1970 zu befassen. Als junger Würenlinger Gemeinderat war er einer der Ersten an der Unglücksstelle. In seiner Rolle hatte er im Nachgang engen Kontakt mit vielen Angehörigen der Opfer. Die Ereignisse und Eindrücke von damals prägen ihn nach wie vor. Anlässlich der 40-Jahr-Gedenkfeier sicherte er Ruedi Berlinger, dem Sohn des Piloten von Flug 330, zu, dem Grund für die Zurückhaltung bei der juristischen Aufarbeitung des Falls nachzugehen.

Fünf Jahre später, 2015, erschien «Goodbye Everybody – Flugzeugabsturz Würenlingen 1970», in dem Schneider akribisch Unterlagen, Zeugenaussagen und Presseberichte zum Absturz und zu den darauffolgenden Untersuchungen sammelte. Weitere fünf Jahre später veröffentlichte er Band II: «Goodbye Everybody – Kampf um die Gerechtigkeit». Darin legt Schneider unter anderem detailliert dar, wie er sich jahrelang bei verschiedensten Stellen darum bemühte, dass der Fall neu aufgerollt und tatsächlich abgeschlossen wird. In seinem zweiten Buch befasst sich Schneider überdies mit inzwischen in den USA freigegebenen Akten des Federal Bureau of Investigation (FBI), die sich im Zuge einer Charakterisierung palästinensischer Terroristen auch mit dem Flugzeugabsturz in Würenlingen befassen. Gemäss den Informationen des FBI spielten damals zwei westdeutsche Staatsbürger eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung des Anschlags. Eine im Bericht nicht genannte Quelle will zudem gewusst haben, dass zwei Agenten des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad das Paket mit der Bombe auf den Swissair-Flug umleiteten, damit es nicht in einer Maschine von El Al landete.

Ursprünglich war die Strafuntersuchung im Fall des Flugzeugabsturzes in Würenlingen aus weiterhin unbekannten Gründen eingestellt worden. Trotz Verjährung rollte die damalige Bundesanwältin Carla del Ponte den Fall wieder auf. Nachdem sie die Bundesanwaltschaft verlassen hatte, wurde das Verfahren im Jahr 2000 ohne wesentliche neue Erkenntnisse eingestellt. Als 2016 die Akten des FBI öffentlich wurden, setzten sich Arthur Schneider und gleichgesinnte Mitstreitende abermals dafür ein, dass das Verfahren unter Berücksichtigung der FBI-Akten wieder aufgenommen wird. Der damalige Bundesanwalt Michael Lauber nahm den Fall an die Hand. Allerdings wurden die Unterlagen des FBI nicht beantragt, und Lauber gelangte zu dem Schluss, dass der Fall verjährt sei. So der Stand der Dinge.

Im Fall des Flugzeugabsturzes von Würenlingen am 21. Februar 1970 sind also weiterhin viele Fragen offen. Die Angehörigen der Opfer haben über das Schicksal ihrer Lieben bis heute keine Gewissheit erlangt, die mutmasslichen Täter und Drahtzieher wurden nie vor Gericht gestellt. Deshalb wird auch Arthur Schneider nicht lockerlassen, weiter Unterlagen sammeln, sich für die Herausgabe von Akten und für die Aufklärung des Falls einsetzen. Mittlerweile befassen sich Historikerinnen und Historiker mit dem Thema. Die Chancen, die Hintergründe der Tat nach so vielen Jahren aufzuklären, sind bei heutigem Wissensstand aber nicht gut.