Das volle Leben in der Region

Seit 1890 bilden die «Brugger Neujahrsblätter» Globales im Regionalen ab. Die 134. Ausgabe setzt diese lebendige Tradition fort; mit Themen aus Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und vielem mehr.
Eine Fussnote der Dorfgeschichte ist das «Bräusi-Tram» – der früheste Mahlzeitendienst für Mülliger Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter (Sujet anlässlich des Fest­umzugs 1960). (Bild: zVg | Gemeinde Mülligen)

Die «Brugger Neujahrsblätter» wären vor zwölf Jahren beinahe dem Zeitungssterben zum Opfer gefallen. Umso verdienstvoller ist es, dass sie damals auf eine tragfähigere Basis gestellt werden konnten, als Ende März 2012 die Firma Effingerhof AG das Kulturblatt übernommen und ihm im neuen Verlagsumfeld eine robuste Zukunft garantiert hat.

Davon profitiert auch dieses Jahr wieder die neueste Ausgabe, die seit 2010 in einem neuen Format (22 cm × 28 cm), reich bebildert und leicht lesbar herausgegeben wird.

So erschienen hinter einem gefälligen Titelbild von Marianne Badertscher am 29. Januar wieder sauber recherchierte und faktenbasierte Nachrichten sowie unterhaltsame Erzählungen. Gegenwärtiges und Vergangenes, Wegweisendes und Erhaltenswertes. Das, was die regionale Gesellschaft beschäftigte und die Kultur bereicherte, die Wirtschaft leistete, die Politik debattierte, die Geschichte vertiefte, den Verkehr betraf, die Bildung erweiterte, die Natur schützen wollte und die Literatur beförderte.

In Nachbarschaft mit der Aare
Die Berner Künstlerin Marianne Badertscher eröffnet den regionalen Reigen mit kraftvollen Aarebildern und kommentiert diese mit in Versform präsentierter Prosa: «Die Aare ist meine Nachbarin, sie begleitet mich Tag für Tag.»

Von Hans Hofer, dem «Photographe amateur à Gebenstorf», der mit seinen Glasplattenaufnahmen gestochen scharfe Schwarz-Weiss-Bilder vom Leben und von den Menschen auf dem Dorf schuf, erzählt der Historiker Patrick Zehnder. Besonders beeindruckt dabei eine Aufnahme von der «Rüssgfrörni» vor der Spinnerei Kunz.

Dann wird es blumig. Die Umweltwissenschaftlerin Anja Trachsel vom Jurapark Aargau stellt vier Arten von Enzianen vor und führt uns in ehrenamtlich betreute Biotope, wo die Berg-Aster und diverse Orchideen an einem speziellen Standort gedeihen.

Der ehemalige Radiojournalist Peter W. Frey stellt den Brugger Kirchenmusiker Giuseppe Raccuglia vor. Er hat Oratorien des Italieners Giovanni Battista Bassani (1650 bis 1716) aus den Archiven geholt, in eine neue Notation umgesetzt und so aufführungsreif gemacht.

Die Journalistin Elisabeth Feller begibt sich auf die Spuren des vor über 60 Jahren am Lehrerseminar Wettingen – also am Eton des Kantons Aargau – gegründeten Cabarets Schwefelsüri. Jahrzehntelang hatte es das Publikum zu Lachsalven animiert. Zwar wurde es 1998 aufgelöst, hat aber seinen Gründer, Leiter, Texter und Mitspieler, den ehemaligen «Badener Tagblatt»-Redaktor Edgar Zimmermann, dazu angeregt, erfolgreich bis heute mit eigenem Programm auf Kabarettbühnen aufzutreten.

Fachmännische Kabelabwicklung bei einer Seeverlegung am Thunersee. (Bild: zVg)

Der Wissenschaftler Peter Frey beschäftigt sich bilder- und dokumentenreich in einer umfangreichen genealogischen Studie mit der «Familie Frey im Strudel politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen». Das vom 16. Jahrhundert bis in unsere Zeit, vor allem aber von 1798 bis 1848, der Periode der grossen Umbrüche.

Der ehemalige stv. Chefredaktor des «Aargauer Tagblatts», Hans-Peter Widmer, berichtet von Karl-Heinz (Charly) Hug, der das Fotografieren noch bei Max Gessler gelernt hat, weltbekannt geworden ist und aus Anlass seines 60. Geburtstags im Sommer 2023 eine Reihe von erhellenden Jugendfestbildern geschossen hat. Es folgt ein Beitrag des Journalisten Harry Stitzel über Walter Dübi, Sohn eines Altphilologen und Direktor der Kabelwerke von 1911 bis1945.

Der Historiker Simon Steiner erinnert an «Die Brugger Mordnacht von 1971», als ein US-Soldat und seine schwangere Freundin einen Feuerwehrmann töteten und einen Polizisten schwer verletzten. Was hingegen Magerwiesen und Blumenpracht alles zu bewegen vermögen, präsentiert der Agraringenieur Markus Staub in seinem Beitrag «Biodiversität vor der Haustür oder was ein Bahndamm alles kann».

Von «Bronzezeitlichen Bauern in Villigen», von Hirseanbau und Häusern erzählt der Archäologe Christian Maise.

Walter Spillman widmet sich dem «Schürhof von Windisch», in dem sich Hinterlassenschaften des Legionslagers und eine Hofanlage des Klosters Königsfelden nachweisen lassen.

Biodiversität vor der Haustür: Die kleinste Schlange der Schweiz, eine Schlingnatter (Coronella austriaca). (Bild: zVg | Markus Staub)

Geschichte und Geschichten
Der Militärhistoriker Jürg Stüssi-Lauterburg fasst in seinem fundierten Exposé zum Mönthaler 750-Jahr-Jubiläum die ereignisreiche Geschichte von «Müendel», im Besonderen detailliert auch jene des Dorflebens während der beiden Weltkriege, zusammen.

Mit der «Geburtsurkunde» von Mülligen und weshalb sie sich in einem Schuldbrief befindet, befasst sich wiederum Hans-Peter Widmer. Er erzählt in seinem Beitrag von Mülligens berühmtestem Bewohner, nämlich dem Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827), und erheitert mit dem «Bräusi-Tram», dem Mahlzeitendienst der Fabrikarbeiterinnen auf vierrädrigen Handwägelchen.

Mit einem dunklen Kapitel, zumindest was die Medizinalgeschichte im Umfeld der Klinik Königsfelden betrifft, hat sich die Konzeptkünstlerin Lea Schaffner auseinandergesetzt. Mit ihr hat sich die Journalistin Caroline Dahl unter anderem über die Frage unterhalten, was ein Eigenwilliges Archiv ist und was es kann.

Ebenfalls dieses Jahr findet sich in den «Neujahrblättern» wieder eine Totentafel mit Persönlichkeiten, die uns für immer verlassen haben. Man kannte sie, hat sich von ihnen zum Beispiel drucktechnisch beraten lassen (Paul Bieger), mit ihnen Wahl- und Abstimmungskämpfe ausgefochten (Kurt Wernli, Hans Peter Howald), war mit ihnen in der Feuerwehr (Max Kuhn) und hat sich immer wieder gern mit ihnen unterhalten (Werner Kaufmann). Sie waren im Wort und in der Tat prägende Persönlichkeiten. Requiescant in pace.

Peter Belart schliesslich zitiert zahlreiche Beispiele über den «Bezirk Brugg vor 100 Jahren». So erfahren wir, dass die Zahnbürste «Pro-phy-lactic» auch zwischen den Zähnen reinigt sowie die hinteren Backenzähne erreicht.

Schlussbouquet
Und wie immer zum Schluss fassen dann Barbara und Jürg Stüssi-Lauterburg in der Jahreschronik die Ereignisse von 2023 noch reichhaltiger bebildert als früher zusammen. Man kann hier, nur als Beispiele genannt, die Dorfchronik von Lupfig und Scherz, die Schliessung der Wollboutique in der Altstadt, Markus Schneiders Wurststand und vieles andere entdecken. Es sind Zeichen, die das regionale Leben bereichert haben.

Resümee: Einmal mehr haben die Autoren und Autorinnen dafür gesorgt, dass die «Brugger Neujahrsblätter» inhaltlich sowie grafisch ihr hohes Niveau zu halten verstehen. Sie bieten auch jetzt wieder breite, detaillierte und vertiefende Lektüren für ein ganzes Jahr, bis dann 2025 die Nummer 135 herauskommt.

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