«Wir verstehen uns ohne Worte»

Dem deutschen Amateursänger Christoph Wieder und der Profimusikerin Joanna Skowronska aus Polen liegt der Chorgesang am Herzen.
Für Joanna Skowronska und Christoph Wieder ist Musik eine universelle Sprache. (Bild: chr)

Ein junger Elektroingenieur aus Frankenthal, einer Kleinstadt am Rhein im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz, war einst auf Stellensuche. Christoph Wieder, heute 60 Jahre alt, kam 1994 für eine Stelle in Baden Dättwil in die Schweiz. «Ich war damals ungebunden, und es hätte ebenso gut sein können, dass ich nach Berlin oder Hamburg gegangen wäre», sagt Christoph Wieder. Er bezog in Nussbaumen eine Wohnung und wurde über ein Inserat auf den neu gegründeten Gospelchor Spirit of Hope aufmerksam. Dieser war kurz zuvor für eine Konfirmationsfeier in der reformierten Kirche Nussbaumen gegründet worden und probt bis heute am gleichen Ort. «Ich war ungefähr ab der dritten Probe dabei», sagt er. Damals seien sie etwa zehn Leute gewesen.

Im Jahr 2000 übernahm Christoph Wieder zusammen mit Andrea Graf die Leitung des Chors, der stetig wuchs und sich mit seinen mitreissenden Auftritten weit über die Region hinaus einen Namen machte. «Höhepunkte waren unsere Reisen nach Deutschland, England und Italien», so Christoph Wieder, der gern an diese Zeit zurückdenkt. Ein besonderes Erlebnis sei der Auftritt mit anderen Chören auf dem Petersplatz und im Petersdom in Rom gewesen. Schon längst ist der leidenschaftliche Sänger in der Region sesshaft geworden und wohnt in Lengnau, dem Herkunftsort seiner Ehefrau.

Von ­Polen nach Turgi
29 Jahre nach dem Ingenieur zieht eine junge Musikerin aus Polen in die Schweiz. Joanna Skowronska hat an der Musikhochschule in Bydgoszcz ein Masterstudium mit Hauptfach Chorleitung abgeschlossen. «Als Musikerin in Polen zu leben, ist nicht einfach», sagt die 34-Jährige. Besonders in der Pandemie habe sie von einem Tag auf den anderen einen grossen Teil ihres Einkommens verloren, weil die von ihr geleiteten Chöre nicht mehr hätten proben dürfen.

Weil ihr Ehemann, der Apotheker ist, in der Schweiz eine Stelle fand, zog sie im März 2023 nach Turgi. Wenige Monate später, im Herbst, wurde die junge Profimusikerin auf das Stellenangebot des Nussbaumer Gospelchors aufmerksam, der eine neue Leitung suchte. «Gospel ist zwar nicht mein Spezialgebiet, aber geistliche Musik ist in Polen sehr populär», weiss Joanna Skowronska.

Die Schweiz und Polen seien sehr verschieden: «In Polen haben wir eine sehr gute Musikausbildung, aber wenig Publikum», sagt sie bedauernd. Deshalb sei sie sehr erstaunt gewesen, als viele Leute an das Konzert des Gospelchors gekommen seien, das sie im Advent besucht habe. Im über 40-köpfigen Chor habe sie viele gute Stimmen gehört, sagt Joanna Skowronska. Ihr Ziel sei es nun, den Chor noch stärker zu einer Einheit zu formen. «Ich möchte den Sängerinnen und Sängern helfen, sich musikalisch weiterzuentwickeln.» Dabei seien der Zusammenhalt und die Freude am Singen wichtig. Nach einigen Abgängen ist der Chor offen für neue Mitglieder, besonders gefragt sind So­pran- und Tenorstimmen.

Weil sie noch nicht so gut Deutsch spricht, weicht die Dirigentin manchmal aufs Englische aus oder verwendet italienische Begriffe wie «piano» oder «forte», die international geläufig sind. «Und du kommunizierst viel ohne Worte», sagt Christoph Wieder zu seiner Dirigentin, «und trotzdem verstehen wir dich.» Die beiden sind sich einig, dass Musik als universelle Sprache Sprachgrenzen überwinden kann und dass ein Chor mehr ist als die Summe seiner Teile.

Heimspiel in Nussbaumen
Schon bald steht der erste öffentliche Auftritt von Joanna Skowronska mit dem Gospelchor auf dem Programm. Am 21. April gestalten Spirit of Hope einen Gottesdienst in Nussbaumen musikalisch mit. «Wir werden von der reformierten Kirchgemeinde unterstützt und dürfen die Räume gratis nutzen», erklärt Christoph Wieder, der sich nach seinem Rücktritt als Dirigent noch sehr aktiv für den Chor engagiert. «Im Gegenzug wirken wir jedes Jahr in drei Gottesdiensten mit.»

A cappella von zart bis hart
Seit gut drei Jahren probt in Nussbaumen eine weitere, kleinere Chorformation, die sich Guys n’ Roses nennt. Der Name ist eine Anspielung auf die berühmte US-Hardrockband, die mit dem Frontmann Axl Rose Welthits landete. Mit «Guys» sind die vier Männer, mit «Roses» die fünf Frauen gemeint. Dabei sind neben Christoph Wieder weitere aktive und ehemalige Mitglieder des Gospelchors sowie Leute aus ihrem Freundeskreis. «Wir singen zusammen a cappella Popsongs, von zart bis hart, von Abba bis Zappa», erklärt Christoph Wieder. Die Gruppe hatte einen fulminanten Start und begeisterte unter anderem an der Badenfahrt und am Dorffest in Lengnau ein grosses Publikum. Die Stilrichtung ist anders, aber der Spass an der Musik ist auch hier wichtig.

Spirit of Hope: 21. April, 10.15 Uhr, Gottesdienst ref. Kirche, Nussbaumen
Guys n’ Roses: 27. April, 20 Uhr, Dorfschüür Würenlingen, «Abba bis Zappa»