«Und jetzt bin ich an der Reihe!»

Pfarrer Rolf Zaugg ist Jugendfestredner 2024. Im Gespräch verrät er, wie er zu dieser Ehre kam und was das Fest für ihn als Nichtbrugger bedeutet.
Pfarrer Rolf Zaugg, der diesjährige Jugendfestredner, am Tor zum Pfarrgarten, im Hintergrund das Stapferschulhaus. (Bild: cd)

Mit Rolf Zaugg wird am 4. Juli ein Mann das umkränzte Rednerpult betreten, der unser Jugendfest, unseren Rutenzug, zwar nicht bereits als Kind oder Jugendlicher erlebt hat, aber deswegen nicht weniger intensiv als Vater, Feuerwehrmann und als Mitstreiter im «Leid».

Vor acht Jahren ist er nach Brugg gekommen, hat hier ein erstes Jugendfest im Trubel des Umzugs ins Pfarrhaus nur knapp verfehlt, alle weiteren jedoch in all ihren Facetten kennen- und wertschätzen gelernt. «Ich bin ein 58-jähriger Nichtbrugger, der vor die Jugend treten wird», sagt Zaugg und lächelt.

Rolf Zaugg, die wichtigste Frage vorweg: Haben Sie Ihre Rede schon fertig abgefasst?
Rolf Zaugg (hebt die Brauen und zieht eine kleine Schnute): Nein, natürlich nicht. Ich habe mehrere Versuche gestartet, war aber jedes Mal ganz und gar nicht zufrieden. Hinten und vorn nicht. Es sind ja beinahe unmögliche Anforderungen, denen ich mich stellen muss.

Unmögliche Anforderungen?
Die grösste Schwierigkeit ist durch das extrem heterogene Publikum gegeben. Die Rede sollte Kinder der ersten Klasse ebenso ansprechen wie ihre Urgrosseltern, die ganze Bandbreite. Sie sollte kreativ und inhaltsreich sein, auch ernsthaft, aber zugleich unterhaltend – und vor allem nicht allzu lang. Seit 2017 höre ich jedes Jahr ganz genau zu, was die Redner und Rednerinnen sagen und wie sie das tun. Das flösste mir stets grossen Respekt ein, weil ich die Schwierigkeiten erahnte, die hinter diesen Auftritten stecken. Und jetzt bin ich an der Reihe!

Sie erinnern sich also an frühere ­Reden?
Ja, klar. Ich habe jederzeit sehr kritisch hingehört, aber auch mit gehöriger Ehrfurcht. Jede Rede war für mich zugleich bewegend und spannend. Und jede hatte ihre Qualitäten, aus meiner Sicht aber ebenso ihre Schwächen. Es gibt ja hundert Arten von möglichem Scheitern. Diese Einsicht macht die Aufgabe für mich nicht eben einfacher.

Wie haben Sie die Anfrage erlebt?
Zuerst war ich nur erstaunt. Wie kommen sie auf mich? Ich habe ja in Brugg noch gar nichts Aufsehenerregendes geleistet. Aber ich freute mich ausserordentlich, und ich verstehe diese Anfrage als eine Form der Wertschätzung und des Vertrauens. Mir wurde zudem bewusst, dass das eine ganz grosse Ehre ist, und diese Einsicht macht die Aufgabe für mich noch schwieriger. Es geht ja hier nicht um ein «Probieren wir es mal»; die Chance bietet sich nur ein einziges Mal, und so kann ich nicht aus einer vielleicht reichlich unvollkommenen Erfahrung meine Lehren für den nächsten Auftritt ziehen.

Spüren Sie also eine gewisse Belastung?
Durchaus. Gedanklich befasse ich mich immer wieder damit. Es geht sogar so weit, dass ich davon träume. Und dort, im Traum, geht die Sache – oje! – dauernd schief. Immerhin ist die Ansprache ja nur ein Teil des ganzen Fests, wenn auch ein wesentlicher. Aber das Jugendfest und die ganze Büscheliwoche umfassen doch so viel mehr an Fixpunkten.

Gibt es bestimmte Personengruppen, an die Sie sich speziell richten wollen?
Dazu möchte ich anmerken, dass ich selbst nie ein begeisterter Schüler war. Ich war ausserdem lang ein sehr scheues Kind. Und so ist es mir sehr wohl bewusst, dass manche Kinder und Jugendliche während der Schulzeit ihre liebe Mühe, ihre Krämpfe haben und ihnen nicht alles nur in Rosa erscheint. Manche ringen um Anerkennung, manche fühlen sich ausgeschlossen, manche erleben Misserfolge trotz aller Bemühungen und Anstrengungen. Und mit Bezug auf die letztjährige Rednerin: Nicht alle schaffen den Sprung auf das Karatesiegerpodest. Solche Kinder und Jugendliche liegen mir besonders am Herzen. Das Streben nach Glück hängt häufig von unscheinbaren Dingen am Wegrand ab.

Welche Beziehung haben Sie als Zugezogener ganz allgemein zum Brugger Jugendfest?
Aufgrund unserer Wohnsituation sind wir schon im Vorfeld des Fests, also während der Büscheliwoche, mittendrin, sozusagen im Auge des Sturms. Anfangs dachte ich: Um Gottes willen, was ist denn da los? Aber innert kurzer Zeit lernte ich die einzelnen Elemente dieser Tage kennen und schätzen, auch in meiner früheren Funktion als Feuerwehrmann. Ich wurde zu einem aktiven Teil des Ganzen, und ich spürte den Zauber, der all dem innewohnt, zum Beispiel bei der Vorbereitung auf den nächtlichen Heimzug. Vieles hat seinen tieferen Sinn; es gibt an diesen Tagen tatsächlich äusserst charmante, ja zauberhafte Momente. Und jedes Jahr entdecke ich wieder einen weiteren Aspekt.

Sie erleben das Jugendfest also anders als etwa ein Stadtfest?
Ja, ganz klar. Mich beeindruckt, wie das Jugendfest alle Bevölkerungsschichten vereint, vom Kindergärtler bis zur hochbetagten Heimweh-Bruggerin oder zum Heimweh-Brugger. Alle feiern gemeinsam: Kinder, Jugendliche, Eltern, Lehrerinnen, Behörden … (Rolf Zaugg ist längere Zeit still, hat den Blick in die Ferne gerichtet und fährt dann fort.) Die Kinder sind wirklich dabei, und zwar mit ihrem Innersten, das habe ich vielfach wahrgenommen. (Und nach einer neuerlichen Pause:) Trotz aller traditionellen Elemente ist das Jugendfest in keiner Weise ein verknöchertes Fest, weit entfernt von einem verstaubten Ritus. Es wohnt ihm etwas Unerklärliches inne, etwas Berührendes, sogar Ergreifendes. Ausnahmslos alle, die sich einfinden, lassen Freude erkennen, sind gut gelaunt, egal ob jung oder alt.

Es ist ein Fest, das alle einbezieht.
Es ist unglaublich, was alles im Hintergrund geschieht. Was die Lehrerinnen und Lehrer leisten, die Eltern, das städtische Personal, vor allem die Bauamtmitarbeiter, die Feuerwehr, die Polizei, die Musik, um nur einige zu nennen. So wird das Ganze zu einem Gemeinschaftswerk. Viele Leute engagieren sich auf die eine oder andere Art und Weise, alle Jahre wieder, eben nicht nur einmal wie bei einem Stadtfest, nein, immer wieder. Ich halte das für etwas Grossartiges. Darin liegt die Qualität, die wahrhaft historische Komponente des Jugendfests. Ich freue mich wirklich sehr auf diesen Tag.

Gibt es ein besonderes Erlebnis, das Sie mit dem Jugendfest verbinden?
(Schmunzelt.) Ja, das gibt es tatsächlich, und es passierte früh in meiner «Brugger Zeit». Am Vorabend des Jugendfests, also am Zapfenstreichabend, ging ich mit unserem Hund auf einen kleinen Spaziergang, der mich ins Freudenstein-Wäldchen führte. Da sah ich einen Jungen, der sich im Blattwerk eines Baumes zu schaffen machte. Er kam mit einem abgeknickten Zweig auf mich zu und fragte mich, ob das ein Eichenzweig sei. Nein, war es nicht, es war ein Buchenzweig. Der Knabe konnte seine Enttäuschung nicht verbergen, er brauchte unbedingt einen Eichenzweig. Nur: Da war im Freudenstein-Wäldchen gar nichts mehr zu machen, alle Eichenzweiglein von genügender Qualität waren bis auf Reichweite «abgeerntet». Weiter oben, in grösserer Höhe, sah die Sache besser aus. Also hob ich den Knaben hoch, weit über meinen Kopf, sodass es ihm schliesslich gelang, ein präsentables Eichenlaub zu ergattern. – Wer weiss, was aus dieser Geschichte geworden ist.

Doch zurück zu Ihrer Jugendfestansprache! Worauf dürfen wir uns freuen? Tja, jetzt muss ich noch liefern! Hm … zum Glück habe ich noch etwas Zeit. Ich bin selbst gespannt, auf welche Ideen ich noch komme.