Ein Stadt-Land-Graben wird deutlich

Sieben bisherige und drei neue Mitglieder vertreten den Bezirk Brugg im Grossen Rat. Es gab eine Parteien- und eine Sitzverschiebung.
Im Grossratsgebäude werden künftig drei neu gewählte Mitglieder aus dem Bezirk Brugg ihren politischen Aufgaben nachgehen. (Bild: Archiv)

Gesamtkantonale Gewinner der Aargauer Grossratswahlen vom 20. Oktober sind die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Freisinnig-demokratische Partei (FDP) und die Eidgenössisch-demokratische Union (EDU). Wähleranteile und Sitze verloren die Grünen, die Grünliberalen (GLP) und die Evangelische Volkspartei (EVP). Die Mitte und die Sozialdemokratische Partei (SP) blieben stabil. Somit ergibt sich im 140-köpfigen Kantonsparlament ab dem nächsten Jahr folgende Sitzverteilung: SVP 48 (+5), SP 23 (±0), FDP 22 (+1), Mitte 18 (±0), GLP 11 (–2), Grüne 10 (–4), EVP 5 (–1), EDU 3 (+1). Vor vier Jahren waren Grüne, GLP und Mitte die Sieger und SP, SVP und FDP die Verlierer.

Die Wählerinnen und Wähler haben also die politischen Kräfteverhältnisse im Kanton neu justiert. Aber die Korrekturen sind weit weg von tektonischen Verschiebungen, sie bewegen sich im Promille- und niedrigen Prozentbereich. Dennoch sprechen links-grüne Kreise im Einklang mit publizistischen Beobachtern wegen der sieben Sitzgewinne der drei bürgerlichen Parteien von einem Rechtsrutsch. Numerisch hätten SVP, FDP und EDU mit insgesamt 72 Sitzen jetzt eine knappe Mehrheit im Grossen Rat – wenn sie sich denn immer einig wären. Das sind sie aber längst nicht, im Gegenteil, ihre Verbundenheit erreicht selten die links-grüne Geistesverwandtschaft und Geschlossenheit.

Verschiebungen im Bezirk
Der Wahlausgang im Bezirk Brugg entspricht mit einer Ausnahme dem Trend auf kantonaler Ebene. SVP, FDP, EDU – sowie die GLP – legten wähleranteilmässig zu. Die SVP verbuchte mit 30,9 Prozent den höchsten Wählerstimmenanteil und die meisten Sitze. Aber sie erreichte ihr ­Rekordergebnis von 2012 (32,7 Prozent) noch nicht. Die FDP überholte mit 18,3 Prozent Wählerstimmen die SP (17,4 Prozent) als zweitstärkste Partei im Bezirk und eroberte den vor vier Jahren verlorenen zweiten Sitz zurück. SP und Mitte blieben sitzzahlmässig stabil. Hingegen büssten die Grünen auch auf Bezirksebene Wählerstimmen ein – freilich ohne Sitzverlust –, während die EVP leer ausging.

So verteilen sich die 10 Grossratssitze des Bezirks Brugg nun folgendermassen: 3 SVP, 2 FDP, 2 SP, 1 CVP, 1 Grüne, 1 GLP, 0 EVP, 0 EDU. Wegen des Sitzverlustes wurde der bisherige EVP-Vertreter Roland Frauchiger, Thalheim, nicht wiedergewählt. Damit verlor das Schenkenbergertal seinen einzigen Vertreter im Grossen Rat, zumal Robert Obrist, Schinznach, bisheriger Leader der Grünen, nicht mehr kandidierte. Auch das Eigenamt und das Gebiet Bözberg-Geissberg verfügen über keine Grossräte mehr. Die regionale Verteilung konzentriert sich auf acht Gewählte aus Brugg und zwei aus Windisch. 

Grossratsgebäude in Aarau. (Bild: zVg)

Das dominierende Zentrum
Hier wird ein Stadt-Land-Graben offenkundig. Er ist so krass wie noch nie, aber kaum überraschend, weil schon 54 der insgesamt 78 Kandidierenden des Bezirks aus den beiden Zentrumsgemeinden stammten. Brugg und Windisch sind mit ihren Einwohnerräten parteipolitisch straffer organisiert als die ländlichen Gemeinden, wo etablierte Ortsparteien häufig fehlen. Zudem fällt in grösseren Orten der Lokalbonus für Kandidierende stärker ins Gewicht. Das zeigt sich beispielsweise im Stimmenvorsprung, den die Brugger Lokalfavoriten Titus Meier (FDP), Martin Brügger (SP) und Miro Barp (SVP), aber ebenso Stefano Potenza (FDP) in Hausen und Stephan Burkart (FDP) in Schinznach gegenüber Mitbewerbenden herausholten.

Die grossrätliche Delegation des Bezirks Brugg besteht weiterhin aus acht Männern und zwei Frauen: Luzia Capanni (SP, bisher), Windisch, und Julia Grieder (Grüne, neu), Brugg. Immerhin stehen fünf Frauen in der Poleposition der ersten Ersatzleute: Anita Bruderer (FDP), Windisch, Elife Biçer (SP), Windisch, Barbara Geissmann (Mitte), Brugg, Gina Sträuli (Grüne), Brugg, und Gabriele Kissling (GLP), Umiken. Die drei jüngsten Kandidierenden Paula Sommer (SP, 18-jährig), Melanie Del Fabro (SP, 19-jährig) und Loris Angelini (FDP, 23-jährig) machten die Erfahrung, dass auch in der Politik aller Anfang schwierig sein kann. Immerhin schaffte der 29-jährige Windischer Fabian Schütz (SVP) den Sprung ins Kantonsparlament. Was ausserdem auffällt: Sämtliche zehn Gewählten versehen neben dem Grossratsmandat bereits öffentliche Ämter als Gemeinderäte oder Einwohnerratsmitglieder. Das spricht für ihre persönlichen Leistungsausweise, bedeutet aber auch eine Stärkung der «Gemeinde-Lobby» im Grossen Rat. Hingegen ging die bäuerliche Seite leer aus; der gewerblich-unternehmerische Bereich ist ebenfalls untervertreten. 

Am breitesten abgestützt
Für die Gewählten sind neben den Stimmen von den eigenen Parteilisten die Panaschierstimmen wichtig – also wie oft ihr Name auch auf anderen Parteilisten aufgeschrieben wurde. Am meisten solche Stimmen verbuchte der bisherige und amtsälteste Grossrat Titus Meier (FDP), 3315, danach folgen Miro Barp (SVP), 2857, Martin Brügger (SP), 2494, und Luzia Capanni (SP), 2285. 

Das Proporzwahlverfahren sorgt dafür, dass mehrere politische Richtungen, ihrer Stärke entsprechend, im Kantonsparlament vertreten sind. Im Aargau gilt seit einigen Jahren das Kandidatenstimmen- anstelle des Listenstimmensystems. Früher zählten für die Verteilung der Grossratssitze in erster Linie die eingelegten Parteilisten. Die Wählerinnen und Wähler mussten sich für eine Partei entscheiden. Heute wird jede abgegebene Stimme für eine Person – von welcher Liste auch immer – deren Partei zugerechnet. Danach wird mit der Methode des doppelten Pukelsheimers die gesamtkantonale Sitzzuteilung ermittelt und auf die Bezirke umgelegt. Das begünstigt im Prinzip kleinere Parteien, kann aber überraschend enden, wie im Bezirk Brugg die EVP erfahren musste. Vor vier Jahren traf es die FDP.